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In Deutschland weiß gerade einmal ein Bruchteil der Wirtschaftsentscheider, was Youtube ist, was Web 2.0 oder sogar was Weblogs sind. Man muss diese neuen Dinge nicht gut finden, man muss sich nicht für zukunftsfähig halten – aber man muss sie kennen und sollte sich intensiver Gedanken darüber machen. Amerikaner und Engländer sind da längst weiter, wie die jüngste Ausgabe von „Time“ beweist.
Ganz nebenbei sagt es Reza Pahlavi, der ältesten Sohn des ehemaligen Schahs von Persien, im „Time“-Interview. Seine Nummer-Eins-Forderung an EU und USA in Sachen Iran-Krise:

„If there was a first item on the shopping list, it would be communication to bypass the regime’s blocking of weblogs and so on.“

Ich tippe mal: Jedes deutsche Medium hätte diese Antwort so nicht stehen lassen. Entweder hätte man ihn noch einmal gefragt, ob der Weblogs wirklich für so wichtig hält. Oder es hätte einen Erklärkasten über Blogs gegeben. Oder man hätte diesen Nebensatz einfach rausgestrichen.

Ebenso bemerkenswert ist eine Kurzmeldung in der aktuellen „Time“, in der es um die britischen Zeitungen „Times“ und „Guardian“ geht, die sich in New York behaupten wollen.

Und was sagt „Times“-Chefredakteur Robert Thomson:
„To have the Times on the streets of Manhattan is a wonderful advertising campaign for Times Online.“

Eine Zeitung als Werbung für das Online-Angebot? Hoppala, das würde in Deutschland niemand denken, geschweige denn aussprechen. Denn es hätte beträchtliche Folgen: Müsste die Zeitung dann nicht kostenlos verteilt werden? Müssten Online- und Printredaktionen nicht ihre Arbeit ganz anders verteilen? Müsste der Online-Auftritt kostenpflichtig werden? Und wenn nicht: Wenn die Zeitung Werbung für das Internet ist, dieses aber rein werbefinanziert ist – bedeutet das nicht eine zu große Einflussmöglichkeit der Werbekunden auf den Inhalt?

Die Diskussion in den USA und Großbritannien ist längst weiter als in Deutschland. Wieder einmal klappert man hier hinterher. Und wenn dann aus dem Fortschritt eine Übertreibung wird, bleibt nicht die Zeit zu hinterfragen, welche Welle man mitgehen sollte und welche nur mit eine von heißer Luft getragene, dünne Schicht Gischt ist.


Kommentare


Don Alphonso 26. Juni 2006 um 12:42

Umgekehrt ist doch auch Web2.0 und der ganze Krempel voller Lügen, angefangen von den Zahlen der Coke-WG über die lancierten 2 Millionen Viewer von Mobuzz TV bis zu der Million MSN Spaces in Deutschland und den 50,000 angeblichen Bloglesern beim Börsenkoch. Das einzige echte, halbwegs erfolgreichen \“Business Blog\“ von frosta steht vor dem Aus, VNU und Süddeutsche Zeitung haben bei den Blogs längst den Rückwärtsgang eingelegt. Trotzdem wächst da etwas langsam heran. Es ist doch gar kein Problem, wenn die Veränderungen langsam, aber dafür um so nachhaltiger kommen. Das ganze Gehype der üblichen interessierten Kreise schadet nur, da entstehen Skalierungsprobleme, die die in diesem bereich tätigen Pfeifen wahrscheinlich ebenso gut beherrschen wie die Dotcommies – nämlich gar nicht, oder eben mit PR-Lügen.

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hANNES wURST 26. Juni 2006 um 17:41

Ihr Weblog interessiert mich nicht mehr, wie kann ich es abbestellen?

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Peter Turi 26. Juni 2006 um 17:41

Na Thomas, warum denn in die Ferne schweifen? Die Frage nach \“zu großen Einflussmöglichkeit der Werbekunden auf den Inhalt\“ stellt sich doch auch bei Euch im Haus.

Was sagst Du denn, als einer der wenigen Blogger, die in Print und im Web ihre Fühler haben, zu dem neuen Projekt \“Business News\“. So wie die Fachpresse berichtet üben Herr Madzia und seine Mitarbeiter sich künftig wohl im Foyer-Journalismus. Will sagen: Der künftige Handelsblatt-Abkömmling soll in Foyers von Deutscher Bank und Co. zur Erbauung und Information der Mitarbeiter und Besucher aufgestellt werden.

Wie sieht\’s denn da aus mit der Unabhängigkeit des Journalismus? Und strahlt so ein Projekt nicht auch auf Euch ab? Ich habe meine Meinung auf turi2 gesagt – jetzt bist Du dran.

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mark793 26. Juni 2006 um 18:29

Peter, das Problem stellt sich Holtzbrinck (und dem Handelsblatt) nicht erst jetzt mit dem unbedeutenden Empfangsbereichsblättchen (das hier nichts zur Sache tut). Die meisten großen Verlage sind doch schon seit Jahren als Corporate-Publishing-Anbieter auf Baggertour bei allen Großunternehmen. Und wie in den Sonderbeilagen und Themenschwerpunkten redaktionelle Inhalte vermarktet werden, weißt Du doch so gut wie ich (und der Herr Knüwer auch).

Und Herr Knüwer, wenn ich eine Phrase aus der New-Economy-Ära nun wirklich nicht mehr hören oder lesen kann, dann ist es \“in den USA ist die Diskussion (oder auch der Markt oder der Anwender oder was auch immer) schon weiter, während hierzulande hinterherblablablabla…\“

Die Zeit zu hinterfragen, was nur von heißer Luft aufgewirbelte Gischt ist und was eine wirkliche Welle, die sollte sich ein Unternehmen nicht nehmen lassen von windigen Beratern und Zukunftsgurus. Und anstatt das Wissensdefizit deutscher Wirtschaftsmenschen in Sachen zwonull zu beklagen, müsste sich ein Wirtschaftsjournalist ja wohl eher fragen: Und was habe ich in meinem Blatt/in meiner Redaktion dazu beigetragen, um diese Wissenslücken zu stopfen?

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björn 26. Juni 2006 um 20:11

die frage ist: gibt das eigene medium überhaupt möglichkeiten dazu? hab keine ahnung von den abläufen in einer redaktion, aber schätze das es eher möglich ist, in einem blog derartige themen aufzugreifen.

das viele unternehmen und deren führungspersonal weder mit der materie noch mit deren möglichkeiten vertraut sind, ist denke ich unbestrittenes faktum.

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Thomas Knüwer 27. Juni 2006 um 9:26

@hanneswurst: Einfach nicht mehr lesen. Das ist ganz einfach. Schließlich sind Sie es, die diese Seite aktiv anklicken. Wenn Sie jetzt diese Seite nicht mehr lesen möchten, trotzdem aber hierher zurückkehren, so sind deutliche Züge von Manie oder Sucht erkennbar. Vielleicht wäre die Gründung einer Gruppe der Anonymen Indiskreten Ehrensächlichen eine Idee?

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Thomas Knüwer 27. Juni 2006 um 9:31

@Mark793: Was ich für das Wissen der Leser tue? Artikel schreiben. Zum Beispiel haben wir im Mai eine Sonderseite zum Thema Web 2.0 gemacht. Übrigens starten die Kollegen der „Financial Times Deutschland“ gerade eine Serie dazu. Leider haben sie im ersten Teil gestern nicht verraten, wann es weitergeht. Und ich spreche mit Chefs und Kollegen darüber, was sich so tut.

@Peter Turi und Mark793: Ich hab eigentlich ständig drauf gewartet, dass mich jemand auffordert eine Entwicklung im Hause Holtzbrinck zu kommentieren. Erstaunlicherweise braucht es dafür fast 1,5 Jahre. Vielleicht aber ahnen die meisten Leser, was jetzt kommt.

Ich werde \“Business News\“ nicht kommentieren. Ich bin Angestellter des Handelsblatts, einer Tochter der Holtzbrinck-Gruppe. Und deshalb halte ich mich mit Kommentaren über meinen Arbeitgeber zurück. Niemand kann auch ernsthaft etwas anderes erwarten.

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elkweaver 27. Juni 2006 um 9:33

Das Problem dürfte aber auch daran liegen, dass Bogs sofort von Unternehmen als die nächste große Gelddruckmaschine gesehen und dementsprechend behandelt werden. Da sitzen doch jeden Tag der Marketin-Fuzzi und die Leute vom Verkauf zusammen versuchen herauszufinden, wie man aus diesem Blog-Dings schnellstmöglich einen messbaren Profit herausholen könnte. Dass das (wie z.b. bei Coke) bizarre Formen annimmt und sich die Blogging-Community auch noch dafür einkaufen lässt, ist ja nur Beweis dafür, dass Blogs die gleiche Entwicklung durchmachen, wie früher Webseiten – wenn\“s nix bringt, ist es halt nur \“nice to have\“

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Simon 27. Juni 2006 um 11:05

Es ist halt nun mal so: Blogs sind keine neue Form des \“Citicen Journalism\“, sie sind kein neues großartiges Marketing-Instrument, sie sind nicht die Rettung der Meinungsfreiheit, kein philosophisch-theoretischer Umsturz und auch nicht der Untergang der Medienbranche. Sondern einfach nur eine neue Art und Weise, Homepages zu gestalten.
Der wirkliche Umbruch? VDSL, Triple Play, interaktives Fernsehen.

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mark793 27. Juni 2006 um 11:18

Herr Knüwer, Sie haben recht, und das in beiden Punkten. Für offizielle Verlautbarungen zur Verlagspolitik kann man sich an den Herrn Ickstadt wenden. Und es stimmt ja auch, dass sich die Wirtschaftszeitungen und die sonstige Tagespresse da und dort durchaus des Themas Zwonull angenommen haben.

Vermutlich liegt das Problem eher auf der Rezipientenseite. Die Leser sind halt noch gebrannte Kinder des vorigen NE-Hypes und des nachfolgenden Dotcom-Crashs. Ich kann es keinem verdenken, der bei der Lektüre von irgendwelchem visionären Web-2.0-Gedöns stöhnt, \“oh no, geht das schon wieder los?\“

Im Übrigen wäre es durchaus eine anspruchsvolle publizistische Aufgabe, herauszuarbeiten, warum ein mittelständischer Schraubenhersteller oder Kfz-Zulieferer unbedingt von Youtube gehört haben müsste…
Hypes

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björn 27. Juni 2006 um 12:23

diesbezüglich wäre interessant, ob es einen positiven effekt der shopblogger-seite auf die zwei supermärkte von herrn harste gibt.

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Robert 27. Juni 2006 um 13:16

@björn: björn harste hat nur noch einen supermarkt, der in achim wurde geschlossen…

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Thomas Knüwer 27. Juni 2006 um 13:54

@Peter Turi: Ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Das ist kindisch.

@Georg: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Erstens ist der Begriff \“Web 2.0\“ nur eine Marketing-Hülse. Es tut sich viel im Internet in diesen Tagen. Aber: Jedem Trend hinterherrennen und platt imitieren führt nicht zum Erfolg. Wer vorne sein will, ist vom Wissen her auf der Höhe der Zeit, überlegt aber sehr genau, welchen Trend er mitgeht und welchen nicht. Im hier verlinkte Fall Burda ist das Problem ja, dass schlicht US-Vorbilder kopiert werden und das so schnell und mit so unterschiedlichem Fokus (nein, nicht \“Focus\“), dass keine ordentlichen Angebote oder Produkte entstehen können.

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georg 27. Juni 2006 um 14:35

Der Begriff \“Web 2.0\“ wurde von Ihnen hier eingeführt … Nachdenken alleine reicht nicht. Umsetzen und Ausprobieren gehören mit dazu.

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Dorin Popa 28. Juni 2006 um 15:51

Bitte mehr Respekt gegenüber den Altmedien. Zum einen, lieber Don Alphonso, sitzen da die Lehrmeister in Sachen Auflagenkorrekturen, Luftbuchungen, Sonderverkäufe und ähnliche Tricks wie sie gerade beispielsweise die Süddeutsche Zeitung der Park Avenue nachsagt…
Und, lieber Thomas Knüwer, das Haus Holtzbrinck weiß mit konzerninterner Kritik durchaus souverän umzugehen. So wie Sie es formulieren, klingt es (mißverständlich?), als versteckten Sie sich andeutungsvoll hinter ihren Vorgesetzten. So lange man die geschäftliche Verquickung, sprich: Konzernzugehörigkeit offenlegt, kann man durchaus loben oder kritisieren…

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