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Wenn eine Journalistenvereinigung darauf besteht, nichts mit PR am Hut zu haben, hat sie ein Problem, wenn sie PR für sich machen soll. Das Netzwerk Recherche ist jenes Clübchen, über das in der Szene reichlich debattiert wurde. Es hat einen Medienkodex herausgegeben, der rein ist wie das Herz einer Debütantin und so realitätsnah wie der Glaube an reinherzige Debütantinnen.

Wie die Medien so funktionieren, wie man was erreichen kann, das ist dem Netzwerk nicht immer klar. So gab es in einer der vergangenen Ausgaben des „Journalist“ einen bösen Artikel mit dem Vorwurf, jener Medienkodex sei von seinem Propagandisten und Netzwerk-Chef Thomas Leif entworfen worden, ohne die Mitglieder zu Rate zu ziehen.

Das konnte dem Netzwerk nicht gefallen und es drängte nach meinen Informationen auf Wiedergutmachung. Mit dem „Journalist“ einigten sich die Werker, so habe ich aus dem Umfeld des Affärchens gehört, auf einen Artikel, der erzählt, wie jener Kodex nach Meinung des Netzwerkes entstanden ist. Doch statt einen solchen Artikel zu senden, traf beim „Journalist“ ein Schreiben mit der Überschrift „Richtigstellung“ ein. Dies erfreute anscheinend die Redaktion nur mäßig – die Wiedergutmachungsabsprache wurde gekündigt.

Dem Autor des Artikels, dem freien Journalisten Florian Dittges, wirft das NR nun vor, gar nicht Mitglied gewesen zu sein. Grund: Er mache ja laut seiner Homepage PR. Dittges bestreitet PR-Aufträge. Und es wundert ihn, dass die NR-Finanzer nicht nur den Mitgliedsbeitrag abgebucht haben, sondern offensichtlich der Vorstand über ihn Erkundigungen eingezogen hat. So wird er als Journalist und „Dozent“ geführt, ohne dies selbst angegeben zu haben.

Jenes Netzwerk nun wird am kommenden Wochenende seinen Jahreskongress abhalten. Und damit alle Welt davon erfahre, wird getrommelt. Nun sind hier ja Journalisten zusammengeschlossen und wissen, dass eine Mitgliederversammlung bestenfalls in kleineren Ortschaften medialen Niederschlag findet, wenn man Glück hat auch noch in der Lokalpresse von Großstädten per Interview (Peter Heinlein, der Interviewer ist übrigens nicht Mitglied im Netzwerk, erklärte er mir gerade. Wer überhaupt Mitglied ist, wissen nicht mal die Mitglieder: ein Verzeichnis gibt es nicht, was die Sache mit den Netzwerken schwierig machen dürfte. Das erinnert mich an meine Kindheit, als wir selbst gemalte Geheimausweise gebastelt haben, die auch keiner sehen durfte. Später gab es dann die Agenten-Pässe aus „Yps“.).

Und deshalb greift das NR zum bewährten Mittel von Studien – werden immer gerne genommen in den Redaktionen. Hier aber kommt das systemimmanente Loch: Denn PR-Leute will man ja nicht. Die aber können Pressemitteilungen schreiben. Nun müssen Netzwerker Pressemitteilungen verfassen, gleich drei Stück. Ihre Autoren werden sicher am Wochenende aus dem Netzwerk ausgeschlossen, schließlich betreiben sie PR. Aber so viel Opfer muss sein für den reinherzigen Journalismus.

Ups, wer ist der Kontakt für Rückfragen?
„Kontakt für Rückfragen: Dr. Thomas Leif, Tel: 0171/***“ Vielleicht tritt er ja zurück.

Aber zurück zum Problem der PR-Kompetenz. Die kann das Netzwerk ja laut eigener Definition nicht haben. Und so lesen sie sich dann auch, die Mitteilungen, die mir zwei Studien verkaufen wollen.

Für Studien lassen sich verschiedene Definitionen finden, in der Regel aber sind jene, die Journalisten angepriesen werden Umfragen. Anscheinend auch beim Netzwerk Recherche. Und als gutmeinender Mensch nehme ich einfach mal an, dass jene Studien auch Fleisch haben, also tatsächlich sorgfältig ausgewählte Menschen befragt wurden. Herauslesen aber kann ich das nicht.

Beim einen Werk geht es um Weblogs und Journalismus. Und tatsächlich taucht in der Pressemitteilung die Passage auf:
„90 Prozent der Befragten gaben an, Informationen auch dann zu veröffentlichen, wenn sie denken, dass es sich nur um ein Gerücht handeln könnte. Doch drei von vier Befragten sagten auch, sie machten ihre Vorbehalte kenntlich.“

Tja, wer wurde denn da befragt für das Werk, das im Münsteraner Lit-Verlag erschienen ist, einem Hause, das sich vor allem für die Veröffentlichung von Dissertationen von den Autoren der Werke bezahlen lässt? Hoffentlich steht es wenigstens in der Studie.

Menschen scheinen zum Thema nichts sagen zu wollen. Und so werden Zitate erfunden um vorzutäuschen, irgendjemand habe etwas gesagt. Beispiel:

„,Wer mit Blogs umgeht, sollte wissen, dass er es in aller Regel mit Beiträgen von Amateur-Publizisten zu tun hat, die ihre Themen nach ganz eigenen Kriterien auswählen und auch dann publizieren, wenn die Informationen ungesichert und die Quellen fragwürdig sind‘, lautet eines der zentralen Ergebnisse.“

Der Rest der Pressemitteilung ist eine Anhäufung von Plattitüden wie:

„Weblogs können den Journalismus anspornen und bereichern, aber niemals ersetzen. Das ist ein Ergebnis der aktuellen Studie, die in der Schriftenreihe des Netzwerkes Recherche erscheint. Sie zeigt, dass es für Journalisten zahlreiche Gründe gibt, Blogger als Konkurrenten, Kritiker oder sogar als die Kopfjäger des Internet einzuschätzen. Außerdem kosten Blogger lieber die Freiheiten des Internet aus, als sich mit den Qualitätsansprüchen des Journalismus aufzuhalten. Auf der anderen Seite stellt der Autor Matthias Armborst unter Beweis, dass es ein Fehler ist, wenn Medien-Profis die so genannten ?Netz-Tagebücher? reflexartig ablehnen oder sogar als ?Klosprüche des Internet? diffamieren.“

Übrigens: Es waren Klowände, nicht Klosprüche.

Noch unterhaltsamer wird es bei der zweiten Pressemitteilung, in der es um den Einfluss von PR auf den Journalismus geht.

„Die Grenzen zwischen dem unabhängigen Journalismus und der interessengeleiteten Auftragskommunikation, der Public Relations (PR), verschwimmen mehr und mehr in der täglichen redaktionellen Praxis, in der Ausbildung des journalistischen Nachwuchses und in der Definition des Berufsbildes der Journalisten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche.“

Hier versucht das Netzwerk nicht mal mehr, irgendwelche Befragungen vorzutäuschen. Denn schon im zweiten Teil wird aus der Studie eine „Dokumentation“. Also nix befragen, sondern Fakten sammeln, die in den Kram passen:

„Die Dokumentation mit dem Titel ?Getrennte Welten? Journalismus und PR in Deutschland? soll die laufende Debatte über die Macht der PR und die Beziehung zwischen Journalisten und Öffentlichkeitsarbeitern auf ein solides Fundament stellen. Sie dient dazu, die wichtigsten Argumente zu sortieren, Fakten und Stellungnahmen zusammenzutragen und die Diskussion auf dieser Basis rationaler zu gestalten.“

Und:
„Abgerundet wird die Dokumentation durch Interviews mit dem Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael Konken, und mit der Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, Ulrike Maercks-Franzen. Dokumentiert werden zudem die Ergebnisse einer schriftlichen Kurzumfrage unter Experten durch das Netzwerk Recherche, wichtige Interviews sowie kontroverse Stellungnahmen zur Diskussion um den Medienkodex.“

Und schließlich fordert das Netzwerk noch eine Recherche-Ausbildung und offeriert:

„Das Netzwerk Recherche will bei der Umsetzung dieser fünf ?Recherche- Module? folgende Hilfestellung und Service-Leistungen anbieten:
1) Ein Handbuch für Recherche-Trainer.
2) Eine Mappe mit Fallbeispielen für die Recherche-Ausbildung (Trainingsaufgaben, Rekonstruktionen u.a.).
3) Eine Seminar-Anleitung für Trainer, die auf der NR-Homepage heruntergeladen werden kann.
4) Netzwerk Recherche vermittelt für alle Formen der Recherche- Ausbildung qualifizierte Referentinnen und Referenten, die über langjährige Erfahrungen im Bereich der Recherche verfügen.
5) Netzwerk Recherche bietet Weiterbildungsträgern an, auf erprobte Trainingseinheiten zurückzugreifen.
6) Netzwerk Recherche bietet interessierten Weiterbildungseinrichtungen an, dass potentielle Recherche-Trainer bei Seminaren von NR Trainingshospitanzen absolvieren.“

Vielleicht seh ich das ja etwas platt, aber ich halte es gern mit meinem Lehr-Herren Ferdinand Simoneit. Der amüsierte sich prächtig über jene Theoretiker, die ganze Bücher darüber schreiben, wie man recherchiert: „Wenn Sie das nicht wissen, suchen Sie sich einen anderen Beruf“, meinte Simoneit einfach.

Seien wir ehrlich: Recherche ist nicht wirklich schwer – dafür braucht man keine Bücher sondern Zeit, Geld und eine gewisse technische Ausstattung. Aber vielleicht bekehrt mich ja ein Autor irgendwann von dieser Einstellung, und vielleicht kommt er ja aus der Chefetage des Netzwerks Recherche.

Thomas Leif wurde kürzlich mit folgendem Satz zitiert:
„Wenn wir etwas verbessern wollen, müssen wir selbst den Finger in die Wunde legen.“

Wenn das Netzwerk sich selbst ernst nimmt, wird es viele blutige Finger geben am Wochenende in Hamburg.


Kommentare


Björn Eichstädt – Storyblogger 18. Mai 2006 um 12:45

Auweia. \“Sie zeigt, dass es für Journalisten zahlreiche Gründe gibt, Blogger als Konkurrenten, Kritiker oder sogar als die Kopfjäger des Internet einzuschätzen.\“ Ich finde, da fehlt noch irgendwas mit Satan…

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johnny 18. Mai 2006 um 13:23

Ich mag das hier am liebsten: \“Weblogs können den Journalismus anspornen und bereichern, aber niemals ersetzen. Das ist ein Ergebnis der aktuellen Studie, die in der Schriftenreihe des Netzwerkes Recherche erscheint.\“

Frage mich beim Lesen solcher Sätze immer, wie man diese grandiosen Zukunftsvorhersagen mit Worten wie \“niemals\“ in einer Studie belegt bekommt.

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niels 18. Mai 2006 um 15:07

Pfeiffen im Walde eben. Ich glaube ja auch nicht daran, daß das Berufsbild des klassischen Journalisten in absehbarer Zeit durch Blogger verdrängt wird, aber mit so stahlhart formulierten Prognosen wie der oben wäre ich vorsichtig.

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virtual bites 18. Mai 2006 um 15:33

Was tun, wenn man unbedingt meint Fragen, die niemanden interessieren und die sich auch nicht stellen, beantworten zu müssen? Man fabriziert eine Studie und gibt ihr einen Titel, der sich aufplustert wie der Auerhahn bei der Balz.

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Jörg 18. Mai 2006 um 16:46

Kopfjäger? Oder doch nur Schweinetreiber?

Allein die Wahl des Wortes \“Kopfjäger\“ zeigt die Seriösität und Ernsthaftigkeit des Clubs.

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Björn Hasse 18. Mai 2006 um 17:10

Jörg & Björn, ich finde den \“Kopfjäger\“ hier grandios! Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang tatsächlich keinen sinnvollen Zusammenhang ergibt.
Finde es klasse, dass es auch heute noch Literaten mit ausschweifender Phantasie gibt! Respekt!
Schade, dass – das ein oder andere Mal wohl leider zurecht – PR eine Unausgewogenheit der Quellen vorgeworfen wird, wenn mal wieder eine \“Studie unter 25 Konsumenten, die das Produkt getestet haben\“ als wunderbare News proklamiert wird, wenn auf der anderen Seite jegliche Zahlen über die Basis der Studie direkt weggelassen werden. Das macht es wesentlich einfacher. Gute Idee.

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Matthias Armborst 18. Mai 2006 um 18:29

Als Autor der Studie würde ich gerne ein paar Informationen beisteuern, die zum Teil nicht aus der Pressemitteilung hervorgehen:

Das Buch ist die erweiterte Version meiner Diplomarbeit am Institut für Journalistik der Uni Dortmund. Die Studie ist weder eine Auftragsarbeit des Netzwerks (wie anderswo zu lesen ist) noch hat das Netzwerk auf irgendeine Weise Einfluss auf den Inhalt genommen. Im Übrigen bin ich Journalist, aber kein Netzwerk-Mitglied. Das Netzwerk hat es mir lediglich ermöglicht, das Buch herauszubringen (meint: Druckkostenzuschuss gezahlt. Was als Zuschuss zu dem Druckkostenzuschuss zu verstehen ist, den ich an den Verlag gezahlt habe).

In der Pressemitteilung werden keine Zitate erfunden, um vorzutäuschen, irgendjemand habe irgendetwas gesagt. Vielmehr wird zitiert. Aus der Studie.

Die empirischen Ergebnisse stützen sich auf die Befragung von 148 Bloggern, die sich im letzten Spätsommer an meiner Befragung auf www.bloggerbefragung.de beteiligt haben. Was ihnen hoch anzurechnen ist, da sie sich immerhin durch 47 Fragen klicken mussten. Dass die Umfrage anonym war, gehörte zu den Spielregeln. Auf die Namen der Teilnehmer an der Befragung kann ich nur in den Fällen schließen, in denen die Blogger freiwillig den Namen ihrer Blogs hinterlassen haben oder mir Mails geschrieben haben. Ein paar Dutzend A-Blogger waren auch dabei.

Die Pressemitteilung als PR-Aktion? Meinetwegen – wobei man aber fairerweise berücksichtigen sollte, dass es sich um PR für ein Produkt handelt, bei dem der Produzent kräftig draufzahlt.

Dass ich mit der Publikation im Dunstkreis des Netzwerks stehe, ist klar. Schließlich ist deren Logo drauf, weil es in der NR-Reihe erschienen ist. Aber wer das Buch liest, wird sich möglicherweise wundern, wie wenig manche Thesen mit dem zu tun haben, was etablierte Journalisten mitunter zu Blogs und Bloggern äußern.

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Jens 18. Mai 2006 um 19:13

Kopfjäger find ich cool. Denkt die Idee, Foren und Blogs seien Pumpguns auf einer Parkbank, irgendwie sehr praktisch weiter 🙂

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…noch ein J-Blog 18. Mai 2006 um 21:26

…um sich damit in die Öffentlichkeit zu wagen, muss mit Kritik leben können. Speziell, wenn er es wagt, sich ein paar Gedanken zu Bloggern zu machen. Und sich zu überlegen, was das Weblog-Phänomen eigentlich mit der eigenen Pr…

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stoltesa 19. Mai 2006 um 12:19

Äh, Moment mal.

Bedeutet die Aussage, Zitat: \“Die Pressemitteilung als PR-Aktion? Meinetwegen – wobei man aber fairerweise berücksichtigen sollte, dass es sich um PR für ein Produkt handelt, bei dem der Produzent kräftig draufzahlt.\“

dass zukünftig alle Pressemitteilungen von Unternehmen, die Verluste machen – bspw. weil ihre Produkte Schrott sind – durch Journalisten gnädiger behandelt werden sollen? Ist das dann journalistische Fairness? Oder sollte man lieber darauf verzichten, Diplomarbeiten zu veröffentlichen?

Na ja, wie heißt es so schön: Kunst kommt von können, nicht von wollen, sonst hieße sie Wunst.

Schönes WE

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Stylewalker 19. Mai 2006 um 14:53

Nanu, wo ist denn der Kommentar von eben? Waren da zuviele Links drin?

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WT 19. Mai 2006 um 15:13

Die Pressemitteilung ist Etikettenschwindel. Nicht \“Netzwerk Recherche veröffentlicht Studie zu Blogs und Journalismus\“ sondern Matthias Armborst publiziert seine Diplomarbeit. Wie man bei \“geschätzten 200.000 Blogs hierzulande\“ und ganzen 148 Befragungen von \“einer der ersten empirischen Untersuchungen der Weblog-Szene\“ sprechen kann, will mir nicht so ganz einleuchten.

Gut fände ich, wenn man das Inhaltsverzeichnis irgendwo einsehen könnte. ? Die Arbeit nach der Pressemitteilung zu beurteilen, halte ich für unfair. Da von einem Verlag, der sich von seinen Autoren bezahlen lässt, kein üppiges Kontingent an Rezensionsexemplaren zu erwarten ist, werde ich warten, bis die Publikation in irgendeiner Bibliothek auftaucht.

Ich bin sehr für die Trennung von PR und journalistischer Arbeit, trotzdem erinnern mich die hehren Grunsätze des Netzwerkes Recherche an die Doktrin von der jungfräulichen Empfängnis. Aber muss ich das bei einem frischgebackenen Dipl. Journalisten abladen?

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Chat Atkins 19. Mai 2006 um 19:35

Hihi …

\“Kommet her zu mir alle, die ihr reinen Herzens seid\“, plakatiert des Teufels PR-Abteilung am Eingang zur Hölle.

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Der nackte Kaiser beim Netzwerk Recherche 4. Juli 2011 um 21:50

[…] Kritik am Netzwerk erschall selten. Wer es wagte, bekam Ärger. Es hatte sich ein rund laufendes System erschaffen. Denn allüberall in der Republik sitzen in den […]

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