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Wer einen Marathon so richtig erleben möchte, sollte früh hingehen. Es ist ein sonniger Sonntag und ich habe Dienst. Das ist nicht schön. Noch unschöner ist der heutige Düsseldorfer Marathon. Er sorgt dafür, dass eine Annäherung an den Arbeitsplatz, der ja zentral in der örtlichen City liegt, nur mehr per Fuß möglich ist.

Nun bin ich ja ein Freund von Großveranstaltungen, deren Besuche regelmäßig die Urlaubsplanung unmöglich machen – Rolling Stones? Karte längst gekauft. August? Geht nicht, Robbie-Konzert. An dem Wochenende? Stadtfest. Vor dem 9. Juli irgendwo hin? WM – also bitte!

Allerdings bin ich ein großer Befürworter ordentlich durchorganisierter Veranstaltungen. Die Bereitschaft zu erscheinen, vielleicht sogar stimmliche Unterstützung zu leisten, meist auch ein nicht geringes Entgelt zu erstatten, sollte zumindest durch ein gewisses Maß an logistischer Unterstützung von Seiten der Organisatoren honoriert werden.

Womit wir beim Düsseldorf Marathon wären. Der riegelt die Stadt ab. Komplett. Mit dem Auto wäre ich schon ab 8 Uhr nicht mehr aus meinem Viertel gekommen, es sei denn als polizeibegleitete Kolonne Richtung Autobahn. Straßenbahn? Fährt nicht. 40 Minuten dauerte der Fußweg Richtung Kasernenstraße.

Nun ist mir ein Marathon als Zuschauersport höchst suspekt. Wenn Freunde mitlaufen, sicher, kann man ein wenig Unterstützung leisten. Nur: Hilft den Freunden tatsächlich ein sekundenweises Vorbeihuschen an Bekannten, die „HOPPHOPPHOPPDUSCHAFFSTDASKLAAAAAASSE!“ brüllen? So ein Marathon ist ja bekanntermaßen 42,195 Kilometer lang. Wie groß muss der Bekanntenkreis von Besenwagen-Kandidaten sein, um eine leidlich ausreichende Schrei-Hilfe zu bekommen?

Gut, zugegeben, ein Marathon ist Fan-technisch Web 2.0. Der eine brüllt für den Freund und weil der andere für einen anderen Freund brüllt, brüllen ja beide für beide Freunde. Kommen nun von vielen Freunden viele Freunde, muss nur noch die gleichmäßige Verteilung über die Strecke geklärt werden.

Außerdem gibt es ja die wohltätigen Unterstützer. Die Junge Union zum Beispiel hatte in einer Kurve einen Stand aufgebaut. So sieht sie also aus, die politische Arbeit einer Jugendorganisation: Wasserbecher an Menschen verteilen, die sich freiwillig und ohne Bezahlung an gesundheitliche Grenzen führen. Im Sinne des Gesundheitssoli eine höchst bedenkliche Einstellung. Andererseits sind ist die JU doch eine Art Wasserträger für die CDU – und stimmt das Bild ja wieder. Vielleicht wird gemeinsam mit dem Wasser ja auch politisches Info-Material gereicht, das würde dann ja der Partei helfen, auf 42,195 Kilometern hat man als Läufer viel Zeit zum Lesen und zum Sich-Gedanken-über-Deutschland-machen.

Ich mag abgesperrte Städte, bevor der Grund für die Absperrung Realität wird. Wenn sonst vollgestaute, breite Straßen wirken wie am Tag nach einer Wasserstoffbomenexplosion. Fast scheint es, der Asphalt atme auf, entspanne sich ein wenig, die Häuser husten nicht die Abgase von ihren Mauern sondern lehnen sich aneinander wie Zechen-Kumpels nach getaner Arbeit. Gleichzeitig fehlt etwas, das Bild der Stadt ist wie die „Mona Lisa“ ohne Lächeln, wie da Vincis „Abendmahl“ ohne Judas.

Wer also einen Marathon – ich nehme jetzt mal an, die generelle Marathon-Organisation unterscheidet sich nicht groß zwischen den einzelnen Orten – richtig erleben möchte, sollte früh kommen. Ganz früh. Und er wird eine bekannte Stadt mit anderen Augen sehen. So müssen sich Beduinen fühlen, wenn sie am Horizont den Sandsturm nahen sehen.

Ohne Vorwarnung bricht aus rucksackenstellten Anfangzwanzigerin im Kirchentags-Look, die eine einsame Straße entlang spazieren, ein schrilles „KLASSEKLASSEWEITERWEITER“, als die Rollstuhl-Fahrer die Grafenberger Allee herunterkommen in einem Tempo, dass rätseln lässt, ob der Schreck über die voran gegangene Anfeuerung oder die Angst um die Gesundheit der Teilnehmer den Puls so beschleunigt haben.

Längst ist so ein Marathon nämlich ein Marathon. Da gibt es die Rollstuhlfahrer und die Inline-Skater, Halb-Marathon und Kurzstreckenläufer. Den Nachwuchs natürlich auch, der anscheinend zu menschenverachtend früher Zeit antreten muss: Als ich die Kasernenstraße erreiche, begegnet mir bereits ein hochrotwangiger Junge im durchgeschwitzen T-Shirt, die Medaille um den Hals demonstriert, dass entweder sehr, sehr viele Jungen eine Medaille bekommen, oder Big-Mac-gepflegte Figuren, die bayerische Mütter als „pumperlgsund“ umschreiben würden, im Laufsport nicht an Erfolgen hindern.

Zu jener frühen Zeit also ist all der unnötige, unmusikalische, pseudo-brasilianische (weil die sind ja so lebensfreudig, deshalb mach ich auch Samba) Lärm nur eine Vorstellung im Kopf des Passanten,…

…der sich fragt, warum jemand um kurz nach neun schon mitgebrachte Camping-Stühlchen mit Kühltasche aufbaut. Und ob dieser hart gesottene Fan überhaupt Ahnung hat, wer da kurz an ihm vorbeiwischen wird, ein paar Stunden später.

Warum nur so viel Aufhebens um Menschen, die sich freiwillig quälen? Die Antwort bietet die Königsallee. Zwei Smart stehen da, gefüllt mit Wasserflaschen. Die werden von einigen studentischen Hilfskräften verteilt, gewandet sind sie in dunklem Rot, das immer ein wenig billig wirkt. Air Berlin schickt sie und beim Anblick der verzweifelten Versuche, möglichst schnell Wasserflaschen und Gewinnspiel-Zettel zu verteilen um von hier wegzukommen, ereilt mich die Lösung. So ein Marathon ist halt wie das Leben: Es gibt Gewinner, Verlierer und jene, die kämpfen, obwohl das Rennen schon verloren ist.


Kommentare


Olaf 8. Mai 2006 um 16:03

Beim Kölner Marathon (zumindest 2003) ist/war der Vorname des Läufers mit auf der Startnummer, so dass man auch von völlig Fremden mit Namensnennung angefeuert wurde – mir hats geholfen.

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