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Paderborn ist, die Paderborner mögen es mir verzeihen, aber es muss einfach offen gesagt werden, Paderborn ist nicht der Nabel der Welt. Umso überraschender ist es, wenn dort eine Diskussion stattfindet mit zwei Rednern, um die sich jede Metropole reißen würde: Fifa-Chef Sepp Blatter und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Es gab einmal eine Zeit in der nordrhein-westfälischen Landesgeschichte, als der Beton billig und Auslandsflüge teuer waren. Zu jener Zeit begab es sich, da findige Architekten der Landesregierung den Floh der Campus-Unis ins Ohr setzten. Zu überprüfen, dass jene Hochschul-Areale bei den großen Vorbildern USA und England ganz anders, viel historischer und hübscher aussehen, fehlte wohl das Geld. Und so dürfen sich einige Uni-Städte mit selbstmordquotenfördernden Gebäudewüsten abplagen die in den Semesterferien aussehen wie eine Geisterstadt für Space-Cowboys.

Womit wir bei Paderborn wären.

Jenes idyllische Paradies massiver Bauweise lässt sich durch nichts aufrütteln. Gestern zum Beispiel fuhren Übertragungswagen an, wurden Kameras in den Audimax geschleppt, durften Sprengstoff-Schnüffler durch den Hörsaal schnuppern.

Denn angesagt war eine Diskussion zum Thema Fußball und Gesellschaft – mit Sepp Blatter und Wolfgang Schäuble. Professor Wolf-Dietrich Brettschneider konnte sich die diebische Freude nicht verkneifen, als ihn die angereisten Journalisten – darunter prominente Namen wie Spiegelaner Jürgen Leinemann und „FAZ“-Sport-Urgestein Roland Zorn – rätselten, wie ihm dieser Coup gelungen war. Eigentlich wusste Brettschneider das wohl selbst nicht so recht: Vor fünf Jahren hatte es eine ähnliche Veranstaltung schon mal gegeben – jetzt hat es wieder geklappt.

Doch egal, ob Blatter, ob Schäuble, ob Medien, die Uni-GH Paderborn ist nur schwer aus ihrer ostwestfälischen Ruhe zu stoßen. Pressesprecher Tibor Szolnoki empfing die Medienvertreter mit einer so überbordenden Hektikfreiheit, dass man all die überdrehten Tanjaanjas einfach mal bei ihm ins Praktikum schicken möchte.

Sicher, ein paar Fahrradabstellplätze mussten weichen, aber ohnehin scheint deren Zahl eher optimistisch berechnet.

Nur ein paar Schritte vom Audimax entfernt, verteilte derweil der studentische Bibelkreis kostenlose Bratwürste auch für Journalisten. Das Motto „Wer’s glaubt wird selig“ war nicht schlecht gewählt, wenn kurze Zeit später der Fifa-Präsident den Glaube an das Gute im Fußball beschwört.

Vielleicht ist es die Verklärung eines Lange-schon-nicht-mehr-Studenten, aber würde man bei solch einem Auftritt nicht politische Aktivität erwarten? Demo gegen die reichen Bonzen? Protest gegen Studiengebühren? Irgendwas? Oder ist es die bewusste Betonung der Internationalität am Hörsaaleingang, die den Revolutionsdrang bremst?

Statt Parolenbrüllern gab es die Begrüßung der Fachschaft Mathematik für den Innenminister. Fachschaft grüßt CDU-Minister? Und das ohne Eierwürfe? Das hätte es zu meiner Zeit vielleicht im Jura- oder Wirtschaftswissenschaften-Bereich gegeben – und selbst dort hätte neben dem Gruß eine Schmähung gestanden.

„Wer mit 30 noch nie Kommunist war, hat nicht gelebt. Wer mit 30 noch Kommunist ist, ist ein Idiot“, heißt es ja – und vielleicht ist der erste Teil jenes berühmten Zitats mittlerweile verlustig gegangen. Kurz bevor die Limousinen anrollen, rollt wenigstens noch oben, über dem Eingang jemand ein Plakat aus.

Na, das wird nicht reichen, um sich ähnlich wie „Unter den Talaren…“ in die Hirne zu brennen. Aber so ist sie halt, die ostwestfälische Direktheit.

Gewünscht hätte man sich die auch bei der Diskussion. Doch mit einem Blatter mochte es sich dann ein Brettschneider auch nicht verderben. Und so blieb es beim Wattebällchenwerfen mit alt bekannten Themen.

Wolfgang Schäuble entpuppte sich leider als kettensatzfanatischer Themenspringer, der weite Teile der Zeit absorbierte mit staatstragenden Wolken wie: „Wir wollen uns alle versprechen, dass wir uns auf diese Weltmeisterschaft freuen, unabhängig vom Abschneiden unserer Mannschaft.“

Deren Chancen sah die versammelte Sportpresse vor der Veranstaltung ohnehin als stark gesunken an: Der Name Odonkor wurde in einem Tonfall gewispert als sei er Teil einer Achse der Dilettanten.

Sepp Blatter übrigens mag den DFB und Jürgen Klinsmann anscheinend auch nicht so sehr. Die Verbandsdoppelspitze bezeichnete er als „dieses Zweierlei“, grinsend kommentierte er die Bekanntgabe der WM-Kader: „Die Spieler können nun eingestimmt werden auf das Turnier. Die einen nach amerikanischen System, die anderen nach anderen Systemen.“ Die deutsche Mannschaft musste vor ein paar Jahren auf „Vordermann, oder wenigstens auf Klinsmann“ gebracht werden.

Dafür gabs Gelächter und so lockerte sich der große Sepp entspannt die Krawatte. Heute, hier, würde es keine Kritik geben. Sie waren wegen ihm gekommen, nicht wegen des Innenministers. Und weil Paderborn war und hier selten Menschen seines Kalibers vorbei schauen, wurde applaudiert, was Blatter wohlmeinend zur Kenntnis nahm: „Ich glaube gar nicht, dass ich in Deutschland bin, zum ersten Mal hab ich keine Pfiffe gehört.“ Tja, aber Paderborn ist halt kein WM-Spielort und deshalb: Viel Spaß beim Turnier.

Viel wurde geredet über die Welt, die zu Gast bei Freunden sein würde. Dass nicht alle Gäste aus dem Ausland gleich als Hooligans bezeichnet werden sollen und dass Fußball „nicht nur ein Spiel, sondern die Erziehung zu Disziplin und Respekt“ ist. Was ja gerade die Spieler der Türkei in der WM-Qualifikation gezeigt haben.

Und die Ökonomisierung? All das Gewirbele um Markenrechte und werbliche Sperrzonen? „Es kommt darauf an, was man mit dem Geld macht“, sagte Blatter. Was mit einem Teil der Einnahmen geschieht, lässt sich derzeit ja nachlesen.


Nach 90 Minuten lauer Diskussion noch eine kurze Pressekonferenz. Eine bemerkenswerte Situation: Blatter vor den Medien – ohne, dass vorher die Fragen eingereicht werden mussten. Das nämlich ist das übliche Procedere bei den Pressegesprächen in der Fifa-Zentrale. Kann man fast verstehen, wenn man in Paderborn die hysterische Dame im Wallawalle-Gewand erlebt mit ihrer Frage, warum denn nun Coca-Cola Sponsor sei und nicht Sinalco, jenes gute, deutsche, mittelständische Unternehmen.

Das restriktive Vorgehen der Fifa entlädt sich aber in einem Vorgehen wie dem der Kollegen des ZDF-Magazins „Frontal 21“. Offensichtlich war ihnen ein Blatter-Interview abgelehnt worden, also mussten sie ihre Fragen zum Thema „Fifa zahlt für die WM keine Steuern in Deutschland“ hier loswerden und das „Zu diesem Thema sage ich nichts“ von Blatter mitdrehen.

Nun ist einmal fragen ja kein Problem. Doch das ständige Dazwischenpöbeln des ZDF-Manns um Kollegen zu übertönen, die ebenfalls Fragen hatten, machte mich wundern: Wann genau sind die öffentlich-rechtlichen Reporter mutiert zu Karikaturen der unsympathischen Bedränger, die Soap-Opera-Autoren oder Schreiber schlechter TV-Filme gerne als Neben-Bösewichte aufbauen? Vielleicht wird es nach dem Bildblog Zeit für ein ZDF-Blog (Und vielleicht kommt so was ja auch bald…).

Ach ja, eine Nachricht gab es auch noch. Auf die Frage, ob die strengen Vorschriften bei der Kartenweitergabe und die angekündigten Kontrollen wirklich so durchhaltbar sind, orakelte Schäuble das Gegenstück zu einem Politiker-Rückzug:

„Ich vermute, dass diese Regelungen nicht mit 150prozentiger Präzision durchgeführt werden. Sie haben aber eine Signalwirkung, so dass wir im Endeffekt ein gutes Ergebnis haben werden.“ Und dann verwies er auch noch auf die Spiele nach der Vorrunde, wo ja Fans die Möglichkeit haben müssten, noch Karten für die Spiele ihrer Mannschaft kaufen zu können. Sprich: Wie schon erwartet, bricht das Kartenhaus der Fifa langsam aber sicher in sich zusammen.

Irgendwann kurz nach Acht war es dann vorbei mit dem hohen Besuch. Und Paderborn wurde wieder Paderborn. Die nächste Fußballveranstaltung steht schon an. Nicht so hochkarätig besetzt – aber vermutlich interessanter.


Kommentare


Patrick Breitenbach 16. Mai 2006 um 11:39

Da wird einem ganz schnell klar, warum Journalisten richtig bloggen sollten. Herrliche Sub-Berichterstattung und astreine Bildsprache. Sowas liest man eben nicht in der Zeitung. Wäre einfach nicht genug Platz.

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Farlion 16. Mai 2006 um 11:44

Hey komm, sooo schlimm ist Paderborn auch nicht. Mir scheint, Du warst noch nie in Bielefeld 😉

Farlion (gebürtig aus dem Paderborner Umland)

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Patrick Breitenbach 16. Mai 2006 um 12:16

Nichts kann schlimmer sein als Gießen. Städtebashing!

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Peter Giesecke 16. Mai 2006 um 12:28

Kleine Logikaufgabe:

A: Paderborn ist nicht der Nabel der Welt.
B: Es überrascht Herrn Knüwer, dass gerade dort eine Diskussion mit Sepp Blatter und Wolfgang Schäuble stattfindet.

Lässt sich daraus schließen, dass Herr Knüwer den FIFA-Präsidenten und den Bundesinnenminister für Personen von Rang hält, die eine entsprechende Hofierung in einer Metropole wie Berlin verdient hätten?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese beide Herren der Nabel in der Knüwerwelt sind. Da gibt es doch schließlich schon Preußen Münster, die – nebenbei bemerkt – gerade aus der Regionalliga absteigen, während der SC Paderborn sich einen Platz in der oberen Hälfte der zweiten Bundesliga erkämpft hat. So!

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Thomas Knüwer 16. Mai 2006 um 13:14

Ob sie die Hofierung verdient haben? Nö. Überraschend ist es aber sicherlich, wenn solche eine Diskussion in Paderborn stattfindet. Und um es klar zu machen: Ich fand die Atmosphäre absolut liebenswert – nur den Beton nicht.

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Fischkopp 16. Mai 2006 um 13:18

Paderborn? Bielefeld?? Gießen??? Pah, Amateure – wohl noch nie in Bremerhaven gewesen?

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Farlion 16. Mai 2006 um 14:26

Lange vor Bielefeld war übrigens eine andere, nahezufastschonvielleichtostwestfälische Stadt der Kalauermagnet Deutschlands: Osnabrück.
Wer sich noch an Insterburg&Co erinnert, der kennt vielleicht noch die Initiative \“Ein Dialekt für Osnabrück\“. 🙂

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Christian 16. Mai 2006 um 15:05

Schlimmer als verlieren ist nur Siegen!

Dort sieht übrigens die Uni genauso aus wie in Paderborn.

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Blogbote 16. Mai 2006 um 22:33

Ich merke mal wieder: Wie gut, dass ich das Glück habe in Berlin zu leben…

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Weltherrscher 17. Mai 2006 um 14:48

Was muss ich da lesen:
\“..Nichts kann schlimmer sein als Gießen. Städtebashing! …\“

recht hasste.
aber trotzdem ist gießen auch schön, wenn man weiß wo und wann und wie.

ich war in verschiedenen projekten in sehr vielen städten und städtchen unterwegs, meine lehre daraus: ob nun berlin, münchen, hamburg, köln, frankfurt oder wo auch immer. eine stadt ist eine stadt und zudem immer ein moloch.

jetzt mal im ernst, wer will schon in den großen städten leben?
das ist kein leben, dass ist vor allem mief, krach und hektik.

aber in paderborn möchte ich auch nicht zu hause sein. der frühe und alte osten..*lol*

und bielefeld: ein hoch auf die ETs dort, noch immer glauben menschen diese stadt würde existieren.
ich war dort, dort ist nichts. rein gar nichts. nur ein paar eingänge zu unterirdischen anlagen. die man nur leider nicht betreten darf, sicherheitszonen, wachhunde, schusswaffelgebrauch schilder überall usw. usf.

bielefeld scheint man-in-black-II-ab-und-ankunft-halle zu sein.
vorsicht vor bielefeld!
rennt um euer leben!

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Ulli 7. Juli 2006 um 20:56

Hallo Herr Küwer!

Ich habe nach der Lektüre dieses Artikels den Eindrucks, dass hier einer der idiotischen notgeilen 68er Generation nachtrauert und aufgrund seiner Position und seiner (Star-)Stadtallüren über Menschen herzieht, die nicht wie pöbelnde Herdentiere jede Diskussion zerstören.
Wenn man sich mit der Uni (übrigens nicht U-GH)auseinander gesetzt hat, stellt man sehr schnell fest, dass dort hauptsächlich BWLer und Informatiker studieren. Diese zählen nun nicht gerade zu den gesellschaftskritischen Studenten. Außerdem war das Publikum handverlesen, wie ich aus direkter Quelle erfahren habe.

In diesem Sinne, ein netter Beitrag, aber anscheinend lernt man investigativen Journalismus nicht in der Großstadt 😉

Und wer über Praktikanten lästert ist sowieso untendurch, aber vorsicht, Praktikanten gehen auf die Barrikaden gegen Ausbeutung und Ausnutzung. Ich hoffe, dass ist beim Handelsblatt nicht der Fall…
Nicht, dass ein \“neuer\“ Holger Meins einen \“neuen\“ Film dreht und am Ende ist nicht Springer die Zielscheibe.
Aber genau das haben Sie bemängelt, oder nicht?

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Sven 20. Juli 2006 um 13:40

@Farlion:

\“Osnabrück ist eine schöne Stadt. Sie liegt in einer Gegend. Viele Häuser zieren das Weichbild.\“ (aus\’m Kopp, mann, was für einen Schmonzenz man doch im Hirn durch die Jahre durch schleppt :-)))

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Chris 20. Juli 2006 um 21:11

An Christian:
Ich habe mal ein Semester in Siegen studiert. Diese Stadt ist wirklich schlimm. Unter Studies heißt der Spruch: \“Siegen heißt gewinnen\“

An Blogbote:
Ja, ja Berlin. Die Stadt der Zugezogenen. Komt man in der Welt nicht klar, dann geht man nach Berlin. Dort ist man nie allein -Entertainment Tag und Nacht- ….am Nabel der Welt. Puh, ganz schön crazy sowas.

PB ist super ok. Ich verstehe dieses Gelaber über diese Stadt (oder Bielefeld, etc.) überhaupt nicht. Was ist schlimm an der Provinz? Besonders die Erhabenen Großstädter (z.B. Berliner) schauen gerne von oben herab und erklären welche Städte lohnen und nicht. Uh, ganz schön anstrengend. Ach weißte was……geht doch nach Berlin.

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Hajo 25. Juli 2006 um 23:20

Geiler Artikel – Glückwunsch.

Bitte mach weiter so und schreib einen Bericht über den mühsamen Versuch Paderborns, ein Stadion zu bauen 😀

Der Rasen liegt übrigens schon… 😀

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Sara 29. Juli 2006 um 17:42

Siegen hat aber zwei Schlösser auf 100.000 Einwohner, mein sweetheart aus Boston hat\’s gemocht, und ich wohne jetzt in Athen wo\’s nicht mal Abwasserkanäle für die Augustregen gibt – give me the Sieg, the forest, and the Krombacher ANYTIME!

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