Was so im Internet rumsteht, kostet doch nix, oder? So denkt manches Unternehmen, das grübelt, wie man jene anscheinende frei zu nutzenden Inhalte weitervermarkten kann. Die meisten Ideen, die dann entstehen fallen unter die Rubrik Inhalte-Diebstahl. Möglicherweise übt sich jetzt sogar Reuters in dieser Disziplin. Namen wie Donnerhall: Reuters, der Titan der Nachrichtenagenturen! Harvard, die Eliteschmiede! Wenn die beiden sich zusammentun, dann muss doch, ja dann muss doch, dann MUSS doch einfach etwas Großes entstehen.
Nein. Muss nicht. Eher etwas, was nach dem ersten Durchgrübeln nach traurigem Inhalteklau aussieht.
Reuters arbeitet also mit Global Voices zusammen. Global Voices ist ein Projekt des Berkman Center for Internet and Society an der Uni Harvard:
„Our global team of regional blogger-editors is working to find, aggregate and track these conversations. Each day they link to 5-10 of the most interesting blog posts from their regions in the ?daily roundups? section. A larger group of contributing bloggers is posting daily features in in the left-hand Weblog section, shedding light on what blogging communities in their countries have been talking about recently.“
Sprich: Die wichtigsten Themen eines Landes sollen aus Blogger-Sicht zusammengefasst werden, interessante Beiträge sollen der Öffentlichkeit präsent gemacht werden. Das betrifft wohl vor allem Krisengebiete. Denn die Auswahl von Artikeln zu Blogs der westlichen Welt sind eher kryptisch: So kommen die französischen Studentenproteste seit November gar nicht mehr vor und wir Deutschen haben begeistern uns anscheinend für den Big River Artists Workshop und sonst – gar nichts: Seit Juni 2005 gab es gerade mal drei Einträge.
Dieses unausgegorene Projekt also ist der neue Kooperationspartner von Reuters:
„“Wir müssen unsere Website für andere Meinungen öffnen“, meint der geschäftsführende Redakteur für Verbraucherdienste, Dean Wrigt, gegenüber der britischen Zeitung Guardian. Im Internet gebe es eine Menge an öffentlichen Diskussionen über Nachrichten, diese Quelle wolle man anzapfen, sagt Wright. Reuters will die Kommentare der Blogger entweder direkt auf der Website als gekennzeichnete Posts veröffentlichen oder Links unter die Meldungen setzen um die Leser zu den Kommentaren zu leiten.“
Übrigens stammt die Geschichte vom 13. April und wird nun in Deutschland breitgetreten, von W&V bis Spiegel Online.
Schauen wir uns also nochmal den Originaltext aus dem „Guardian“ an, der andernorts nicht verlinkt wird, vermutlich, weil jene Medien die Geschichte irgendwo übernommen haben. Wer zuerst da war, kann ich auf die Stelle nicht festmachen:
„The blog content will be displayed in two ways – either as clearly labelled posts within the company’s own websites, or as a link to a separate website placed at the end of a Reuters story offering readers a broader perspective.“
Die zweite Variante klingt wunderbar: Ein Link von Reuters auf ein Blog dürfte dem Blogger in der Tat einiges an Leserschaft bringen – so sieht das derzeit zum Beispiel in Sachen Staatsbesuch von Hu Jingtao aus.
Die erste Möglichkeit aber, also das Einstellen von Artikeln auf der Reuters-Seite, wäre ohne Zustimmung und Entlohnung der Weblog-Autoren wieder einmal schlichter Inhalteklau à la Bloxbox und Blogwurst, äh, Blogburst. Bemerkenswerterweise sehe ich derzeit noch kein Beispiel dafür online.
(Danke an Jutta Lorberg für den Hinweis)
Kommentare
Ringfahndung -Weblog- // 19. April 2006 um 13:06
Blogger werden aggregiert. Jetzt auch von Reuters, was für Diskussionen sorgt.
Die Welt ist Scheisse – Aber ohne Geruch 19. April 2006 um 13:33
Thomas Knüwer vom Handelsblatt stellt eine wichtige Frage:”..Was so im Internet rumsteht, kostet doch nix, oder?..”, gute Frage, nächste Frage: Ist das dann Web 2.0?…
Ich stelle einfach mal fest, wie auf vielen anderen Seiten auch zu …
che2001 19. April 2006 um 15:43
Klar, wir Deutschen interessieren uns doch wirklich für nichts anderes als Big River Artists. Wirklich, ich brauche nur aus dem Fenster zu sehen, überall jubelnde Massen, die „Big River Artist“-Flaggen schwenken. GNihihhihi!!!
dirk.schroeder 3. Mai 2006 um 8:34
a) Wie viel bei Global Voices aus einer Region kommt, hängt davon ab, ob, wie viele und welche Blogger denn mitmachen. Wenn kein Deutscher was tut, kommt nichts Deutsches. Sieht man über Deutsch Bloggistan hinaus, findet man kaum Reisende aus der Heimat, Naturwissenschaftler und Ingenieure, sonst fast keinen. In deutschen Blogs stehen viele Links nach Hollywood und noch mehr Anglizismen – aber Englisch spricht man scheint\’s so schlecht, dass man sich aus der globalen Blogosphere lieber heraushält. Da geht es kaum einem Projekt besser als Global Voices.
b) Der Contentklau klingt ja so was von fies. Dabei war die freie Verfügbarkeit der Inhalte eine der Grundideen des Netzes. Wenn es vor allem um den Schutz des geistigen Eigentums geht, dann gibt es Projekte wie Gobal Voices bald gar nicht mehr, bzw. sie bewegen sich in Schattenzonen am Rande des Markplatzes Internet und werden im hellen Licht der Buden nicht wahrgenommen. (Sowieso: Suchmaschinen, Google, Technorati etc., dürfen die überhaupt…?) Auch ich finde die GV-Reuter-\’Kooperation\‘ nicht wirklich toll, aber eher aus politischen Gründen, als aus Gründen des Urheberrechtsschutzes. Und höre ich \’Reuters\‘, sorge ich mich mehr um die Tagespresse – druckt denn das Durchschnittsblatt im überregionalen Teil noch anderes als dpa, AP, Reuters…?