Skip to main content

Langsam öffnet sich die schwere Tür der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Senior Consultant Sabine schaut kurz von ihrem Bildschirm auf, dann wieder zurück, dann wieder Richtung Tür. Dann kreischt sie überrascht los: „TAAAAAAAANJAAAAAA-AAAAAAANJAAAAA!!!!“ Weinend liegen sich die beiden Kolleginnen in den Armen, da springt auch schon die bulgarische Sekretärin Polia auf das Bündel Frauen.

„Warum hast Du nicht Bescheid gesagt?“, will Sabine wissen. Und Polia setzt hinzu: „Du sieht sooooo, sooo andärs aus!“.

„Ich wollte Euch überraschen“, erklärt Tanja-Anja und zu Polia gewendet: „Findste das nicht gut?“

Langsam schiebt sich bei Sabine der Realitätssinn über die Wiedersehensfreude. Und wäre sie ehrlich würde sie ihre Kollegin fragen: „Hast Du einen ander Schacke? So kannst Du doch nicht zu Kunden!“. Denn hennarote Haare kommen bestenfalls beim Biobauern an, der aber kann sich nicht mal die kleine PR-Agentur leisten. Das türkise Batik-Shirt unter der lila Samtjacke und der weite Krinkelrock in Fäkalienbraun werten den optischen Eindruck nicht auf.

Doch diese Frage verkneift sich Sabine besser, denn Tanja-Anja hatte ja kürzlich wirklich gewaltig einen an der Schacke, weshalb sie auch zwei Monate in psychiatrischer Betreuung verbrachte.

„Wie geht?s Dir denn?“, fragt Sabine.
„Du, echt voll besser. Ich kann auch wieder arbeiten.“
Sabines Augenbrauen kräuseln sich, ob der langsamen, merkwürdig schwebend wirkenden Sprechweise ihrer Kollegin. Früher hatte sie doch mit hoher Stimme und einer Aufgeregtheit genervt, die an hormonell euphorisierte US-Teenagerinnen erinnert. Doch davon scheint nichts mehr übrig.

Dafür registrieren die Mitarbeiter der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt schnell eine ganz neue Geisteshaltung bei der Rückkehrerin. Senior Consultant Alexandra, zum Beispiel, die in liebevoller Detailarbeit eine Studie gefälscht hat, laut der 45 Prozent aller Bundesbürger sich während der Fußball-WM Sorgen um die Sicherheit machen, weil das Funknetz der Polizei veraltet sei.

„Und dafür interessieren sich echt so viele Menschen? Für das Funknetz?“, wundert sich Tanja-Anja mit unaufgeregter Stimme und großen Augen.

Alexandras abschätziger Blick wäre von jedem als klare Antwort interpretiert worden, erst recht ihr bissiges: „Ja klar, Kindchen, was interessiert die Menschen mehr als Polizeifunk?“

„Siehst Du, deshalb geht es unserer Welt so schlecht. Der Polizeifunk während eines Fußballspiels ist wichtiger als die hungernden Kinder in Afrika.“
Nur Alexandras flackernde Lider verraten, dass sie aus dem Konzept ist. Seid wann ist die Schnepfe noch zynischer als sie?

„Also wir machen das so nach dem Motto: Deutsche haben Angst vor Hooligans“, schlägt Alex vor.

Tanja-Anja legt ihren Kopf schief und applaudiert ein wenig: „Das ist ein ganz, ganz toller Vorschlag.“ Dann streichelt sie Alexandra ganz leicht den Oberarm. „Aber das mit der Angst, das ist nicht gut, ne. Ich find, das sollte einfach positiver sein. Siehst Du? Draußen ist schon Frühling, die Amsel singt ihr Lied, da wollen die Menschen nichts lesen von Angst. Wir sollten den Leuten eine Stimme verleihen, ihnen Macht geben. Sie wollen doch damit nur eines sagen: Sie wollen uns warnen vor der Gefahr.“

Wieder flackern Alexandras Lider. „Bitte?“
„Na, so, zum Beispiel:

,Repräsentative Umfrage im Vorfeld der Fußball-WM 2006
Bevölkerung warnt vor Sicherheitsrisiken

Rund 45 Prozent der Bundesbürger sehen Gefahr durch veraltetes Funknetz für Polizei und Feuerwehr (BOS-Digitalfunk)
Eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zum 4. Nationalen Paging-Kongress am 13. Februar 2006 in Berlin
ergab: 45 Prozent der Bundesbürger sehen Sicherheitsrisiken zur Fußball-Weltmeisterschaft durch veraltetes Funknetz für Polizei und Feuerwehr. Die Hälfte der Befragten fühlt sich nicht ausreichend über die Alarmierung im Katastrophenfall informiert.‘

Dann blickt Tanja-Anja auf ihre Uhr und entnimmt ihrer Basttasche eine kleine, silberne Pillendose. Einen Moment schwebt ihre Hand über der Tablettenauswahl, dann entscheidet sie sich für eine kleine grüne Pille und nimmt sie mit einem Schluck Wasser ein.

Senior Consultant Lars bekommt die neue Tanja-Anja einen Tag später zu spüren, als er mit ihr an einer Pressemitteilung für Letsworkit arbeitet, eine Plattform, auf der Handwerker um Aufträge buhlen.

„Mein Gott, was für eine Jammerei“, grummelt Lars. „Handwerker ärgern sich, dass ihre Rechnungen nicht bezahlt werden. Sollen sie erstmal pünktlich kommen und sich an Kostenvoranschläge halten.“

„Aber Lars, sei nicht so böse“, sagt Tanja-Anja mit leiser Stimme. „Handwerk – das ist harte Arbeit. Da geben Menschen ihr Fleisch, ihr Blut, ihre Seele, damit wir Menschen Licht haben und Wärme. Wo wären wir denn ohne Handwerker? Und dann werden sie nicht bezahlt, können nicht Essen kaufen für ihre Familien, ihre Kinder müssen darben, kommen ohne Brot zur Schule.“

Lars schaut sie an. Irgendwann muss sie jetzt das Gesicht zum Grinsen verziehen. Eine Scherz machen. Auf den Tisch hauen. Nichts. Tanja-Anja meint das ernst. Soll er was sagen? Sich lustig machen über seine Kollegin? Aber was, wenn sie dann einen Rückfall erleidet? Nein, das könnte er nicht verantworten „Wie, ähm, wie würdest Du das denn jetzt formulieren?“

Tanja-Anjas Kopf schwankt ein klein wenig von links nach rechts nach links, als sei sie ein klein wenig angetrunken. „Ja, hm, Du, ne, wir müssen mal ne Lanze brechen für die Handwerker, oder? Vielleicht so:

,Umfrage: Handwerker unzufrieden mit Zahlungsmoral ihrer Kunden
Kunden erhalten Durchschnittsnote 2,8 / Handwerkerzufriedenheit lässt sich noch steigern

Die deutschen Handwerker bemängeln das schlechte Zahlungsverhalten ihrer Kunden. Bei einer Umfrage von LetsWorkIt, der Online-Vermittlungsplattform für Dienstleistungs- und Handwerksaufträge, ärgerte sich knapp die Hälfte der 478 befragten Handwerker über die schlechte Zahlungsmoral. Weitere 19 Prozent empfinden die Ansprüche ihrer Kunden als überhöht und elf Prozent stört die Unfreundlichkeit, die ihnen entgegengebracht wird. 22 Prozent sind mit ihren Kunden völlig zufrieden und freuen sich über Aufträge für ihren Handwerksbetrieb.‘

Lars fährt sich mit rechten Hand über sein Gesicht. Das kann jetzt nicht wahr sein, oder?

Mit einem zufriedenen Lächeln entnimmt Tanja-Anja, nach Konsultation ihrer Uhr, der Pillendose eine rosa Kapsel und schluckt sie.

Dann macht sei unbeirrt weiter:

,Hier können sich Handwerkskunden noch verbessern“, erklärt LetsWorkIt-Geschäftsführer Carsten Seel. „Wenn Rechnungen schneller bezahlt werden, sind Handwerker zufriedener, was wiederum zu besseren Leistungen und mehr Qualität führt. So profitiert letztlich auch der Kunde.‘

(Vielen Dank an Axel Postinett)

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter


Keine Kommentare vorhanden


Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*