Warum erscheinen in Deutschland Zeitungen eigentlich nur noch am Morgen? Dann, wenn die Lesezeit entweder vom Schlaf oder von der Arbeitszeit abgeht? Bei der „Frankfurter Rundschau“ hat man sich das wohl auch gefragt. Vor einigen Jahren verbrachte ich ein paar Monate im Londoner Handelsblattbüro. Aus dieser Zeit stammt meine Liebe zu Arsenal London, üppig belegten Sandwiches und englischen Zeitungen.
Letztere sind erheblich geschmackvoller produziert als ihre kontinentaleuropäischen Gegenstücke (wenn ich recht überlege, gilt das eigentlich auch für Arsenal und Sandwiches – aber das ist einen andere Geschichte). Seit jenen Tagen also sind „Guardian“ und sein Sonnntags-Gegenstück „Observer“ meine Lieblingszeitungen.
An jedem Werktagsnachmittag verschönerte aber der „Evening Standard“ meine U-Bahn-Heimfahrt Richtung Islington. Kein journalistisches Meisterwerk, aber eine ordentliche Mischung aus Boulevard und Ernsthaftigkeit und im ÖPNV-freundlichen Tabloidformat gehalten. Vor allem aber: Der „Standard“ ist aktuell, denn er erscheint erst ab Mittag und wird dann ständig aktualisiert.
Seit dieser Zeit wünsche ich mir auch in Deutschland die Rückkehr der Abendzeitung (ein fälschlicher Begriff, der wohl aus jenen Tagen stammt, da der Abend mit dem sommerzeitlosen Hereinbrechen der Dunkelheit begann). Soviel ich weiß, war die Siegener Lokalzeitung aber die letzte, die als Abendblatt erschien.
Nun wagt die „Frankfurter Rundschau“ einen neuen Versuch: eine kleine Zeitung am tatsächlichen Abend. Mit der Erscheinungszeit 20 Uhr wohl eher etwas für den Kneipenverkauf, aber doch eine Idee, die es wert ist, beobachtet zu werden.
Kommentare
Engelke 27. März 2006 um 10:23
Die MOPO in Hamburg gibts schon ab 22 Uhr, und kann dann in fast jeder S-/U-Bahn und Kneipe erstanden werden.
Andreas Kunze 27. März 2006 um 10:49
Vielleicht ist das eine lebensverlängernde Maßnahme, das Ende der gedruckten Zeitung ist aber m.E. nicht aufzuhalten (Handelsblatt natürlich ausgenommen).
In zehn Jahren hat jeder Pendler und jeder Kneipengänger seinen Mini-Laptop dabei, mit 10-Std-Akku, Wlan, UMTS und eingebautem Mobiltelefon. Für die Sehschwachen gibt es eine kleine Monitor-Brille dazu.
Die Lokalnachrichten liefert dann Google News Local (Beta), die Veranstaltungstipps Google Dating Local (Beta). Wenn gar nichts los ist, geht man ins virtuelle Online-Museum – und guckt sich die FR-Abendausgabe von 2006 an.
dogfood 27. März 2006 um 10:58
In Frankreich steht „Le Monde“ an der Kippe sein Erscheinen vom frühen Nachmittag auf morgens umzustellen (evtl. haben sie es sogar schon gemacht). Zwei Gründe: Verkaufszahlen und günstigerer Vertrieb
tknuewer 27. März 2006 um 11:05
Auch ich glaube, dass die gedruckte Zeitung ihrem Ende entgegen geht. Allerdings wird es mehr als zehn Jahre brauche, glaube ich. Vor allem braucht es aber optisch größere Darstellungsmöglichkeiten als PDA oder Handys, die leichter sein müssen als Laptops heute. Stichwort: digitales Papier.
Die Nachrichten aber werden nicht von Google kommen. Sie werden bestenfalls (bestenfalls für Google) von Google sortiert werden. Bis dahin, habe ich ja schon prophezeit, wird Google aber massive Probleme haben.
sebastian 27. März 2006 um 11:33
Die Zeitung hat Kino und Fernsehen überlebt. Sie wird auch das Web überleben. In der Mediengeschichte gibt es meines Wissens keinen Fall, in dem ein älteres Medium durch ein neues ersatzlos abgelöst wurde. Allerdings müssen sich Tageszeitungen verändern: Weg von tagesaktueller Berichterstattung, hin zu Kommentaren und Hintergrundberichten. Sie müssen mehr als bisher einordnen und sortieren, was im Mediendschungel verborgen liegt. All das wird seit Jahren beschworen. Umgesetzt ist es noch nicht. Gerade diese Überfülle an Informationen wertet eigentlich die alten Medien als Ordnungsinstanzen enorm auf – sie müssen ihre Chance nur wahrnehmen und sich verändern!
Übrigens gab es vor ein paar Jährschen den Hype um eBooks. Tolle Dinger und recht komfortabel, belegten fast eine halbe Halle der Frankfurter Buchmesse. Durchgesetzt haben sie sich nicht. Ich bin sehr gespannt, wann der Hype um das ePaper wieder endet.
Christoph Maier 27. März 2006 um 11:59
abendausgaben sind eine prima sache, weil man dann ggf. noch den aufmacher umschreiben kann – siehe tz münchen, die abends mit „wettskandal & schweini“ aufmachte und am morgen mit „riesenwirbel um tz-bericht“ aufmachte. auch die gegendarstellung wurde -glaub ich gesehen zu haben- so nur am abend veröffentlicht :->
Björn Eichstädt – Storyblogger 27. März 2006 um 16:52
Die Abendausgabenpolitik begreife ich nicht so ganz. Der Kneipengänger will doch mit den Kumpels quatschen und nicht Zeitung lesen. Besser würde doch ein erscheinen ab 17 Uhr sein, und das Ding sollte man dann in den U-Bahnen verkaufen…oder??
Frank 27. März 2006 um 17:02
@sebastian:
Ersatzlos ist immer relativ aber die CD hat die Schallplatte ziemlich verdrängt. Gleiches bahnt sich für VHS Kaufkassetten an. Gut zu haben ist beides noch aber eine Marktbedeutung hat beides nicht mehr.
ePaper Geräte sind noch nicht auf dem Markt, von daher muss man abwarten was da kommt. Gleiches gilt für die Inhalte. Aber ob, was Musik und Filmindustrie bisher nicht verstanden haben, die Zeitungsmacher verstehen wird sich noch zeigen. Bisher werden die elektronischen Formen ziemlich vernachlässigt.
sebastian 27. März 2006 um 17:39
@frank:
Da würde ich nochmal kurz gegenhalten und so meinen vorherigen Beitrag etwas präzisieren: Die CD erfüllt ja genau denselben Zweck wie die Schallplatte – sie spielt Musik ab, und das in besserer Qualität. Die Bedienung, Optik und Haptik sind sich sogar recht ähnlich. Und sogar am eigentlichen Akt der Mediennutzung hatte sich mit der Einführung der CD nicht verändert: Tonträger aufgelegt, aufgedreht und los gehts. Ähnliches gilt für Telegrafen und Telefon, für VHS und DVD (zumindest, seit man mit diesen auch aufnehmen kann). Selber Zweck, bessere Technik, komfortablere Bedienung – Medium verschwindet.
Eine mobile Lösung mit Nachrichten aus Google – wie oben beispielhaft vorgeschlagen – wäre eben nicht dasselbe wie eine Zeitung, die weniger Nachrichtenorientiert ausgerichtet ist. Vielleicht wäre es so denkbar: Die kurzfristigen News knallen in ein paar Jahren aus allen Ecken auf uns Medienjunkies und ein paar gut gemachte Tages- oder Wochenzeitungen geben ein wenig Orientierung.
Und auch wenn die Zeitung meiner Ansicht nach eben nicht ausstirbt – viele Zeitungen werden sterben.
blog.50hz.de 29. März 2006 um 10:00
Bei Thomas Knüwer war am Montag zu erfahren, dass die Alte Tante aus Frankfurt (FR) sich nun als Abendzeitung retten will.
Keine blöde Idee finde ich, wenn auch die Umsetzung halbherzig ist. Wenn, dann müsste die Abendausgabe um 16.30 Uh…
auch-einer 29. März 2006 um 19:09
bloss mal so gefragt:
wäre es denn möglich, eine zeitung als morgen- mittag- und abendausgabe herauszubringen?
die morgenausgabe für die abonnenten so um 24.00 Uhr fertiggestellt, die mittagsausgabe für die kioske und die kolportage so um 09.00 Uhr und die Abendausgabe für kioske und kolportage so gegen fünfzehn uhr. hat da eben jemand „Und warum keine Nachtausgabe! gesagt? sowas gabs auch mal, wurde so ab zehn in den kneipen verkauft.
die mittags. und abendausgabe wäre im umfang keiner als die morgenausgabe, dafür billiger aber sicher als werbeträger nicht uninteressant. warum auch nicht im lesefreundliche tabloidformat, damit man im öffentlichen nahverkehr was zum lesen hat.
tknuewer 30. März 2006 um 9:19
Das wäre kostentechnisch vermutlich schwer zu machen. Denn dafür bräuchte es eine ständige Redaktionspräsenz, Layout & Co. eingeschlossen. Außerdem müsste man entsprechende Druckkapazitäten haben. Den gesamten Tag über drucken würde aber nicht mehr den Druck von Broschüren und Beilagen erlauben, der ganz erheblich Geld einspielt.
Schöne Idee wäre das – auf gedrucktem Papier vermutlich aber nicht zu bezahlen.
auch-einer 30. März 2006 um 9:57
das hiesse dann im (ja, hier unzulässigen) umkehrschluss, eigentlich werden zeitungen nur gedruckt, um die teuren anlagen (sie sind schon gewaltig, die druckmaschinen) auszulasten, wenn eben mal keine prospekte zu drucken sind.
blog.50hz.de 31. März 2006 um 9:24
Thomas Knüwer wünschte sich vor ein paar Tagen die Abendzeitung zurück. Der Ansatz der FR erschien jedoch weder ihm noch mir so richtig geglückt.
Der trueffeljaeger vom Mittwoch berichtet nun über das Ringier-Projekt “…