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Derzeit versuchen Unternehmen negative Artikel in Internet-Foren und Weblogs per Abmahnung zu tilgen. Das Ergebnis ist kontraproduktiv – für die Unternehmen wie auch langfristig für die Juristen. Einst setzte sich der Adel vom Pöbel auch durch seine Sprache ab. Geziert war die, höflich und floskelreich. Das beeindruckte das Volk gar sehr, das nicht so parlieren konnte wie die hohen Herren.

Wer eine scheinbar höhere Sprache spricht, genießt Ansehen. Egal, ob er Wissenschaftler ist, Romancier – oder eben Jurist. Denn auch Anwälte und Richter befleißigen sich einer überkommenen und gezierten Wortwahl, die von alter Macht kündet und deshalb leicht zur Einschüchterung genutzt werden kann.

Deshalb greifen Anwälte so gern zu einer Abmahnung, ärgert sich einer ihrer Klienten über einen anderen Menschen. Kostet doch nur einen Brief und der wird vom Mandanten bezahlt. Bei Unternehmen klappt solch ein Einschüchterungsversuch meist nicht ganz so gut: Die haben selbst Juristen, weshalb auch die meisten Gegendarstellungsbegehren bei Medien keinen Erfolg haben.

Beim normalen Bürger aber hat ein drohendes Anwaltsschreiben den gleichen Effekt wie ein Messer an der Kehle und die Forderung „Her mit der Kohle“. Und deshalb zucken selbst Menschen, die im Recht sind, einfach zurück.

Auf diesen Effekt setzen wohl auch die Unternehmen, die derzeit Weblogs und Internet-Foren abmahnen. So wie vor einiger Zeit eine nicht genannte Firma, die ihre Drohungen gegen das Supernature-Forum aber wieder zurückzog. Noch dreister erscheint das Vorgehen eines Designers wenig anspruchsvoller Online-Auftritte namens Euroweb gegen ein Netz-Forum und gegen das Blog von Jens Scholz.

Abgesehen davon, dass die rechtliche Basis höchst wackelig sein dürfte, wie auch der Lawblogger schreibt, müssen sich Anwälte fragen lassen, ob sich ihre Zunft immer mehr von der Dienstleistungsfunktion, also der Rechtsberatung, verabschiedet und in die Falle läuft, in der schon PR-Agenturen ihrer Verelendung entgegenbluten: Der Kunde hat immer Recht, er zahlt – also macht man einfach. Die einen hauen sinnlose Pressemitteilungen raus, die anderen Abmahnungen. Als Berater ernst genommen werden solche Dienstleister irgendwann nicht mehr, denn die Resultate ihrer Arbeit zeitigen ja nicht die gewünschte Wirkung.

Und wer sich über deftige Beleidigungen und Angriffe im Netz aufregt, also der Kollerkommunikation nahe kommt, dem sei ein Erlebnis unseres Südafrika-Korrespondenten Wolfgang Drechsler geschildert. Der wurde einmal überfallen und nachdrücklich per Schusswaffe um den Transfer seiner liquiden Mittel gebeten. Daraufhin setzte der Kollege ein Lächeln auf und sagte: „My dear friend…“ und er wolle doch keine Probleme haben, werde jetzt sein Geld übergeben und bitte deshalb um Nicht-Einsatz der Waffe. Der Räuber war so verblüfft ob der Reaktion, dass er flüchtete – ohne Geld.

Manchmal ist freundliches Entgegenkommen eben die beste Methode, meint auch der Werbeblogger.

Nachtrag: Außerdem sind solche Aktionen auch nicht gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Denn nun fragen sich weltweit die Nutzer der Weblog-Suchmaschine Technorati schon wieder, was zum Teufel Euroweb ist und weshalb so viele Menschen danach suchen, so dass es der Nummer-Eins-Suchbegriff wird:

Andererseits fördert das die Fremdsprachenfertigkeiten deutscher Blogger, die sicherlich schon an den englischen Versionen ihrer Kommentare tippen.

Nachtrag II: Und jetzt bin ich gespannt, ob die ganze Sache zum Musterfall wird…


Kommentare


Weltherrscher 20. März 2006 um 12:32

man kann nur hoffen, dass bald von seiten der politk(er) etwas passiert. die juristen unter sich werden sicherlich die abmahnpraktiken nicht angehen wollen, warum auch, ein standbein ist ein standbein..:-)

allerdings werden durch genau diese abmahnpraktiken grundrechte ausgehöhlt und bis ins absurde überführt.
ein millionenunternehmen kann da ganz schnell eine privatperson in den finanziellen ruin treiben. schnell mal die schadenssumme auf 500.000 euro gesetzt und schon ist das schwert bereit.

hier helfen nur noch gesetzliche vorgaben, die die anwaltsmeute zur vernunft bringt.

ein kompromiss wäre ja:
– erste abmahnung kostet nie!
– die abmahnung eines gewerblich tätigen gegen eine privatperson ist immer kostenfrei.
– oder einfach max. kostenhöhe für abmahnung = 50 euro oder noch weniger.

wenn überhaupt wird sich sicherlich nur durch die politik hier etwas ändern können oder einer schafft es endlich vors BGH…

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hirnrinde.de – was in unseren Köpfen herumspukt… 20. März 2006 um 12:49

Einen wirklich lesenswerten Kommentar zu den aktuell durchs Netz schwappenden Abmahnungen (siehe auch Heise-Urteil: Erste Nutzniesser der vermuteten Forenhaftung (Update)) und Abmahnversuchen (siehe auch www.jensscholz.com) kann (und sollte) man bei Ud…

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MeOnly Weblog – Gespinst einer Netzbewohnerin 20. März 2006 um 14:14

Hier hat mal einer das Dilemma, dem sich immer mehr private Webautoren und Betreiber von Kommunikationsplattformen im Internet seit einiger Zeit ausgesetzt sehen, auf den Punkt gebracht – Thomas Knüwer vom Handelsblatt Weblog* : Beim normalen Bürger…

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sagichdoch? 20. März 2006 um 15:28

Aber in diese Richtung gleich mal richtig. Das wird sicher lustig, die Geschichte um Euroweb – das sind die, die Jens aufforderten, irgendwelche ominösen angeblich “Persönlichkeitsrecht”-schädigenden Aussagen, die er getätigt haben s…

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Compyblog 20. März 2006 um 19:01

Udo Vetter hat zusammengefasst, was man in einem Blog rechtlich unbedenklich schreiben kann. Dabei macht er auch klar, dass manche Forderung von Anwälten vor Gericht nicht standhalten würde, in einem Brief aber trotzdem einfach mal behauptet wird.Sein

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Reality on the Rocks 20. März 2006 um 21:34

Mein Gott. Diese dauernden Abmahnungen können einem langsam wirklich den Spaß am Bloggen und am Publizieren von Inhalten im Web verderben. Es vergeht ja kaum eine Woche, in der nicht irgendein Unternehmen / Anwalt / sonstwas meint, einen Blo…

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Pottblog 21. März 2006 um 0:47

Erst kürzlich hatte ich etwas zum Thema Euroweb und Meinungsfreiheit geschrieben.
Ohne jetzt auf die juristischen Details eingehen zu wollen (hierfür empfehle ich diese Lektüre, vor allem mit dieser Fortsetzung), am Ende stand:
Die abschlieÃ?end…

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Karla 21. März 2006 um 8:19

Juristen haben sich das Recht zur Beute gemacht. Dabei gehen nach meinem Eindruck manche so weit, sich zu willigen Handlangern dubioser Gestallten zu machen. Für Geld spielen sie die Papiervariante des Mietschlägers. Recht im eigentlichen Sinn, nicht in der verkorksten Variante von Juristen, bleibt dabei auf der Strecke.

Traurig ist dabei, daß das Korps der Juristen meinem Eindruck nach auch noch das schwärzeste Schaf in ihren Reihen schützt.

Ich glaube, Juristen sehen sich über dem Recht stehen und sie sind ja auch weitgehend unangreifbar. Sympatisch sind sie mir daher bestimmt nicht.

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F!XMBR 21. März 2006 um 11:57

Jeden Tag sehe ich in meinen Referers, wie jemand über den Suchbegriff “Euroweb GmbH” über Google zu F!XMBR stöÃ?t. Falls sie es sind, liebe Euroweb GmbH, würde ich vorschlagen, sie setzen fixmbr.de auf eine Whitelist. Ich werde ihnen n…

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Bandini 21. März 2006 um 13:43

Dass das Unternehmen keine (vernünftigen) PR-Berater hat, dürfte offensichtlich sein. Sollten sie welche haben, dann wird deren berufliche Zukunft schwierig (und mein Bild dieser Profession erneut erschüttert). Wer seinen Kunden so ins Messer laufen lässt, ist doch nur noch als verantwortungslos zu bezeichnen. Gleiches gilt für Awälte. Das interessante daran ist aber doch, dass es eigentlich nur noch den Weg voran gibt. Zurück weichen ist Schwäche und mit dem Ego der Geschäftsführung wohl nicht kompatibel. Außerdem ist der Imageschaden sofort immens. Vorwärts aber wird nicht erfolgreich sein und die Anwaltskosten, wenn man es dann doch irgendwann einsieht, die eigene Insolvenz befördern. Haften Anwälte eigentlich für den Imageschaden? Dann zahlts die Berufshaftpflicht, dann ist es ja (vermeintlich) nicht so schlimm.

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Wilhelm [Schoggo-TV] 21. März 2006 um 13:53

Wer sich Sorgen um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ macht und Abmahnungen als kontraproduktiv bezeichnet, der möge doch bitte erklären, wie sich eine Firma, egal was sie nun produzieren oder verkaufen möge, gegen den „Pöbel“ tun solle.
Einst sagte man ?quod licet Jovi, non licet bovi? – heut‘ darf indes der „Pöbel“ alles und der „Adel“ hat zu schweigen.
Dümmliches Geschmiere kostet des Pöbel nichts, aber es kann Firmen schädigen und vernichten.

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thayer.de 21. März 2006 um 20:13

und Jens Scholz erhält eine durchaus interessante, und für mich zugleich erschreckende, e-mail:
..zeigen wir die Vertretung der rechtlichen Interessen der Euroweb Internet GmbH, Neumannstraße 02, 40235 Düsseldorf an.
… In vers…

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//misunderstanding 21. März 2006 um 22:43

es geht um meinungsäusserungen die einer firma nicht gefallen. also wird ein brief zugestellt. dieses intessante spiel betraf erst forenbetreiber und nun blogger. im moment sieht es so aus, dass ein blogger auch einen anwalt haben muss, denn es kann …

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Jens 23. März 2006 um 21:08

> der möge doch bitte erklären, wie sich eine Firma, egal was sie nun produzieren oder verkaufen möge, gegen den „Pöbel“ tun solle

kunden nicht als „pöbel“ ansehen wär ein anfang.

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MittelstandsBlog.DE 25. März 2006 um 11:35

Während die juristische Bemängelung der Verwendung von Wörtern in redaktionellen Beiträgen eine noch relativ junge Masche ist, sind Abmahnungen von mehr oder weniger professionell formulierten Kritiken so alt wie es Publikationen gibt. Nur mit dem kle…

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lina 27. November 2007 um 14:11

Klasse Artikel.
Wirklich, man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus, wenn man sich mal mit dem Thema \“Abmahnungen\“ beschäftigt.

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