Heute berichtet Olympia-Korrespondent Grischa Brower-Rabinowitsch von seinem ersten Arbeitstag. Oder besser: Vom Versuch eines Arbeitstages. Der erste Arbeitstag! Theoretisch. Wenn es denn so einfach wäre, zur Arbeit hin zu kommen.
Unsere schnuckelige Wohnung ist in Oulx, das auf 1.100 Meter Höhe liegt. Unser Arbeitsplatz ist im Deutschen Haus im Sestriere, denn wir machen für das Haus auch eine tägliche Sonderausgabe, die Handelsblatt Olympia News. Sestriere ist ca. 25 Kilometer von Oulx entfernt und liegt auf 2.035 Metern Höhe. Eigentlich sollte aber nicht weit weg von unserer Wohnung ein offizieller Olympia-Shuttle-Bus halten und sich dahin den Berg hinauf quälen.
?Achtet auf grüne Haltestellenschilder? hatten uns die Organisatoren vom Deutschen Haus mit auf den Weg gegeben. Und so marschierten wir ? mein Kollege Ralf Drescher, unser Mitbewohner Wolfgang und ich – um 8.30 Uhr morgens los.
Haltestellen haben wir keine gefunden, als wir nach einer strammen halben Stunde Fußmarsch – so langsam zerrten die Laptoptaschen an unseren Schultern – wieder am Bahnhof angekamen. Dort fuhr tatsächlich ein Bus, was auch den Kollegen Drescher freute:
Kurz vor halb zehn ging es los. Die Abfahrt hatte noch eine Horde Engländer verzögert, die mit Ski und Schneeanzügen bewaffnet den Bus stürmten.
Als wir knapp eine Stunde später in Sestriere ankamen, stellten die Engländer entsetzt fest, dass sie in den falschen Bus eingestiegen waren. Statt Ski zu fahren machten sie nun eine Bustour ? eineinhalb Stunden später sollten sie wieder in Oulx am Bahnhof sein, wo sie dann in den richtigen Bus einsteigen konnten. Und der coole Busfahrer hob nur immer lässig die Arme und sagte ständig ?no comprende?. Willkommen bei Olympia, liebe Engländer! Uih, waren die genervt.
Übrigens stellte sich später heraus, dass die Haltestellenschilder, nach denen wir so fleißig Ausschau gehalten hatten, beweglich sind und die Italiener sie gerne mal spontan wieder abbauen oder umstellen.
So dauerte es zwei Stunden, bis wir das Deutsche Haus erreichten. arbeiten konnten wir immer noch nicht. Erst mussten wir uns akkreditieren. Und Sicherheit wird hier ganz groß geschrieben. Jeder, ob Promi oder nicht, muss drei digitale Fingerabdrücke vom linken und vom rechten Zeigefinger abgeben.
Der wird dann bei jedem Einlass an einem Drehkreuz (wie im Schwimmbad) überprüft. Oder man verschafft sich Zutritt mit Waffengewalt, was sich aber verbietet ? während der olympischen Spiele sollen die Waffen ja eigentlich ruhen.
Endlich arbeiten! Oder doch nicht. Die WLan-Leitung stellte sich als lahme Ente heraus, wir kämpften mehr mit der Technik als mit der Arbeit. Von der Eröffnungsfeier im Deutschen Haus habe ich kaum etwas mitbekommen und unsere Olympia News war erst um 1.20 Uhr nachts fertig. Es und wir waren geschafft.
Mit den italienischen Polizisten werde ich mich wohl übrigens nicht mehr anfreunden. Scheinbar haben die hier alle Langeweile. Gestern Nacht haben uns zwei Carabinieri geschlagene 20 Minuten aufgehalten ? nur um unsere Pässe zu kontrollieren. Zugegeben: Wir saßen zu sechst in einer Mercedes E-Klasse und angeschnallt waren auch nicht alle. Mein Kollege Ralf Drescher hatte seine langen Beine ? er ist 1 Meter 97 groß – vorne unter dem Handschuhfach verknotet. Ich hatte meine Knie in seine Rückenlehne gepresst, Schenkel an Schenkel mit Wolfgang, dem Kellerkind aus unserer Wohnung. Neben ihm saßen zwei Hostessen aus dem Deutschen Haus mehr über- als nebeneinander.
Die Polizisten bewegten sich aufreizend lässig, setzten sich mit einer stoischen Ruhe in ihren Dienstwagen und kontrollierten unsere Pässe. Vielleicht war ihnen nicht gefallen, dass Tim, unser Mann am Steuer vom Fahrdienst des Deutschen Hauses, die Kurven mehr wie Bode Miller genommen hatte. Aber wer wollte es ihm verübeln? Er musste mit den Hostessen noch über den Berg rüber nach Frankreich und es war schon zwei Uhr nachts. Vor vier Uhr war er nicht im Bett.
Bei uns wurde es auch drei Uhr. Und nachdem ich mich heute morgen um acht im Spiegel angeschaut habe, kann ich nur sagen: Turin macht Falten.
Autor: Grischa Brower-Rabinowitsch
Kommentare
jo jmatic 10. Februar 2006 um 18:28
Jetzt weiß ich auch, warum Ihr in Turin seid und ich nich‘: Ich hab’nur zwei Zeigefinger-Fingerabdrücke 🙂 und die sind auch noch analog (d.h. schrumpelig, wenn nass). 🙁
Gut, ich will nicht neidisch sein, denn Ihr kämpft mit beweglichen Halte-Schildern (was rein wortspieltechnisch schon auf Gemeinheiten schließen läßt). 🙂
Aber hey, dafür ist die digitale Fingerabdruck-Lady wie es scheint doch recht angetan vom digitalen Ringe-Reporter-Fingerabdruck. 🙂
Übrigens, cooles Ringe-Reporter-Abschluss-Bild. 😉
jo
Grischa Brower-Rabinowitsch 10. Februar 2006 um 20:42
Die Schrumpelfinger sind ein guter Punkt! Was ich nicht erwähnt habe: Viele Besucher kommen nicht ins deutsche Haus, weil das System ihre Fingerabdrücke am Eingang nicht richtig erkennt. Und dann müssen sie ihre Pfötchen befeuchten 😉
Die Fingerabdruck-Lady war übrigens etwas unterkühlt. Der Eindruck täuscht also.
hb 13. Februar 2006 um 18:44
interessant finde ich ja, dass das ganze procedere mit den fingerabdrücken zusätzlich von einer art osama-bin-laden-lookalike gefilmt wird… ist das so eine art „memento mori!“-service vom veranstalter, damit die zu akkreditierenden den sinn der zeitaufwendigen kontrollen nie aus den augen verlieren?!?
hb
Grischa Brower-Rabinowitsch 13. Februar 2006 um 20:08
Der Osama-bin-Laden-lookalike ist von der Produktionsfirma, die im Deutschen Haus Hausrecht hat, und läuft den ganzen Tag hier herum. Der filmt so ziemlich alles und jeden.
Die zeitaufwendigen Kontrollen kann man übrigens gar nicht aus den Augen verlieren. Jedesmal, wenn man ins Haus rein geht, muss man seinen Abdruck digital hinterlassen. Bisher ist nur eine Person darum herum gekommen: Bundespräsident Horst Köhler…
hirnrinde.de – was in unseren Köpfen herumspukt… 17. Februar 2006 um 13:28
Auch zu diesen Olympischen Winterspielen gibt es wieder die schön anzusehenden Google Doodles (siehe auch „Logo-Geschichten zu feierlichen Anlässen“), mit denen Google die aktuellen Wettkämpfe in Turin aufgreift.
Im Gegensatz zu den Fabel-Ansätzen….