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Ein Trick, der einmal funktioniert, muss doch auch ein zweites Mal klappen. So denken Übersteiger-fixierte Jung-Fußballer, wenn sie schon wieder vor dem Abwehrspieler stehen, den sie vor zwei Minuten lächerlich gemacht haben – und so denkt Ludwig Siegele, Autor des so honorig tuenden „Economist“. Wir Journalisten haben ein Problem. Wir glauben: „Der Leser/Hörer/Zuschauer merkt das nicht“. Im Radio gibt es den geflügelten Satz „Das versendet sich.“ Er wird immer verwendet, wenn man keine Lust hat, den kleinen Räusperer im Beitrag nochmal rauszunehmen, das winzige Knacken, das leichte Rauschen.

Im Print-Bereich geht es meist um Größeres, was der Leser schon nicht merken wird. Das Foto, zum Beispiel, das vor sieben Monaten schon mal im Blatt war. Oder der Kommentar, den man vor einem Jahr ganz ähnlich verfasst hat.

Und seien wir ehrlich: Ja, der Leser/Hörer/Zuschauer merkt in der Tat vieles nicht. Das ist menschlich, man kann nicht alles im Gedächtnis halten und man hört/sieht auch nicht mehr voll konzentriert zu wie zu jenen Zeiten, das der Konsum von Medien etwas besonderes war.

Das aber verleitet manchen zu einer gewissen Hybris. Womit wir bei Ludwig Siegele wären.

Der verfasste im vergangenen Jahr für den „Economist“ eine Titelgeschichte, in der er – Überraschung! – den Wirtschaftsstandort Deutschland über den grünen Klee lobte. Gerhard Schröder hielt das Blatt dekorativ in die Kameras und vermutlich erzielte der „Economist“ einen Rekordverkauf in Deutschland. Siegele erhielt viel Lob, vielleicht eine Flasche auserlesenen Alkohols als Dank und ein paar Einladungen zu Diskussionen und Vorträgen obendrauf.

Danach kam das Loch. Gerade noch heiß begehrt, nun seinen 15 Minuten Ruhm nachtrauernd, saß er im Büro und musste sich mit der Normalität abfinden. Eben so wie das berühmte One-Trick-Pony, das seinen kurzen Auftritt absolviert hat.

Warum als das ganze nicht zweimal bringen? Gerade scheint sich sein Optimismus in Sachen Deutschland doch zu bewahrheiten. Warum also nicht wieder eine Wende, wieder „gegen den Kamm löcken“, wie es mancher Chefredakteur gerne bezeichnet?

Und so schreibt Siegele eine neue Deutschland-Story. Sein Chefredakteur – in der Hoffnung auf weitere gute Deutschland-Verkäufe – bremst ihn nicht.

Es ist ein lächerlich leicht zu durchschauendes Spiel mit der erhofften Dummheit seines Publikums. Wahrscheinlich wäre es sogar gut gegangen. Doch die Gier war zu groß, Siegele und der „Economist“ machten einen großen Fehler: Innerhalb von nicht mal einem halben Jahr lässt sich dieser Trick nicht zweimal bringen. Dafür zahlt Siegele jetzt den gleichen Preis, wie vor einigen Jahren die Internet-Aktien-Hochjubel-Analysten: Niemand wird ihn mehr ernst nehmen.


Kommentare


breezer 10. Februar 2006 um 15:28

Da könnte man glatt auf den Gedanken kommen, dass er Siegele überhaupt keine eigene Meinung hat. Diese riskante Grätsche zwischen Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt ist nicht nur ordentlich schief gegangen, sondern auch unfair. Die Öffentlichkeit orientiert sich schließlich auch an der Presse. Wenn man keine Ahnung von so brisanten Themen wie Wirtschaft hat oder keine klare Meinung, sollte man sich lieber mit etwas leichterer Kost begnügen.

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Die Stimme der freien Welt 11. Februar 2006 um 12:05

Nun, aber daß er Unrecht hatte, läßt sich auch nicht direkt behaupten.

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Ludwig Siegele 12. Februar 2006 um 16:03

Lustig, was man als Blogger (ganz ohne Hybris und mit viel Meinung) so ungestraft behaupten kann. Und das offenbar ohne die Artikel je richtig gelesen zu haben… 😎 Wer sich seine Meinung selbst bilden will, dem schicke ich gerne beide Artikel zu. E-Mail genügt: germanysurvey@googlemail.com.

Es grüsst,

Der meinungslose Herr Siegele

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tknuewer 13. Februar 2006 um 9:15

Journalisten haben ein Problem. Wenn ein Leser sie kritisiert, können Sie ihm nicht ins Gesicht werfen: „Ach, Du hast den Text nicht verstanden.“ Denn wenn ein Leser ihr Produkt nicht versteht, sind sie als Schreiber gescheitert. Auch: „Du hast die Zwischentöne nicht erkannt“ ist schon schwierig, allenfalls „Du hast die Ironie nicht erkannt“ geht noch. Nach Kierkegaard ist die nicht erkannte Ironie ja angeblich die beste.

Somit bleibt den kritisierten Schreibern nur die Behauptung, der Kritiker hätte den Text gar nicht gelesen. Das wiederum ist eine kühne Behauptung, denn warum sollte er sich dann damit beschäftigen? Und: Was verleiht einem das journalistisch sichere Fundament, um diese Behauptung aufzustellen?

Aber dieser Vorwurf ist immer noch besser, als das eigene Scheitern einzugestehen.

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