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„Ich kenn den. Bestimmt“, sagt Junior-Consultant Tanja-Anja und zwirbelt eine blonde Haarsträhne, während sie aus der Kaffeeküche der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt hinüber schaut zum gläsernen Konferenzraum. Dort sitzt Managing Partner Marcel, noch immer im Rollstuhl, und ein dunkelhaariger Mittfünfziger in einem edlen, hellgrauen Maßanzug. Senior Consultant Sabine dreht sich um, ihre Cap-Gemini-Werbetasse mit dampfendem Vanille-Bärlauchtee in der Hand: „Saaaag mal, ist da nicht der, sag schon, der Werber, hier, der von Matt?“
In diesem Moment kommt auch die bulgarische Sekretärin Polia hinzu: „Doooch, chist Schong-Rämie von Matt. Neua Kunde viellaicht? Chich soll Agentur-Meeting einbärufen fürrr cheute Nachmittaaag.“

Eine Stunde später sitzt Marcel wieder im im Konferenzraum, diesmal mit einem bärtigen, älteren Herrn. Den kennt nun wieder niemand. Tanja-Anja schaut hinüber zu Sabine. Die zuckt mit den Schultern.

Beim Agenturmeeting um vier zeigt sich, dass Polia richtig lag. Jean-Remy von Matt nämlich ist ein alter Bekannter von Marcel. Und der hat dem Mit-Gründer der Werbeagentur Jung von Matt versprochen, wieder mal ein wenig in die Schlagzeilen zu kommen. Ist nämlich ruhig geworden um ihn. Außerdem braucht er „Net-Credebility“, wie Marcel der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt erläutert. Und das soll die Vorlage sein für einen großen Schlag: „Wir brauchen a new model. Haben die ganzen Consultants doch auch. McKinsey kürzt immer nur, BCG pusht ihr Portfolio-Modell. Nur wir PieArr-Guys haben nothing“, sagt Marcel. Und wegen der bösen Blicke fügt er hinzu: „OK, die charming PieArr-Ladys auch nicht. We got to change this.“

Und deshalb hat er sich schon etwas überlegt – Koller Counter Strike Communication: „KCSC bedeutet: Wir pushen ein Issue selbst hoch. Ganz smooth and easy, aber higly explosive im Web. Der Kunde stellt sich scheinbar selbst dumm an, das Issue wird hot im Netz diskutiert – und dann macht er elegant die Rolle backwards und steht als nice guy da. Und damit ist er in everybodys mouth. Angreifen, bevor der Angreifer weiß, dass er angreifen will. First Strike. Das ist unser kommunikatives Guantanamo.“

Einen zweiten Kunden gibt es auch schon: Günther Klum, Vater und Manager von Super-Model Heidi will endlich aus Schatten der Tochter treten. „Keiner würdigt ihn“, erklärt Marcel. „Rips his ass apart für Töchterchen – und was gibt?s als Dank? Nada. Das werden wir ändern. Hinterher wird er Berater in Sachen Copyright und Issue Management.“

Die Augen von Senior Consultant Lars weiten sich: „Tschuldige, Marcel. Aber Du schlägst vor, dass sich unsere Kunden gegen Bezahlung zum Affen machen? Sich selbst schaden?“

Marcel blickt entnervt an die Decke des Großraumbüros: „Sag mal, checkst Du gar nichts? Durch das turnaround wird der client doch absolutely human. Manchmal muss man durch die hell walken, um in den heaven zu kommen.“

Die Blicke der Mitarbeiter verraten, was sie von Marcels Modell halten: nothing.

Doch die Meinung einfacher Angestellter zählt nur selten im Großraumbüro der kleinen PR-Agentur. Und so grübeln Marcel, Lars und der Chef persönlich an den ersten beiden KCSC-Kampagnen. „Dirty jobs sind nur für boys“, hatte Marcel noch gemurmelt, als sie sich am Abend in den Konferenzraum zurückzogen. Die Girls waren eher froh, nicht dabei zu sein. Auch, weil Aufträge mit Prominenten bisher wenig erfreulich verliefen.

Für von Matt ist schnell eine Idee geboren: Er soll sich aufregen über die Gegner von „Du bist Deutschland“, jener umstrittenen Imagekampagne, die sein Haus mitentworfen hatte. „Mean muss das werden. Und für die Babes unter den Lesern auch weich. Metrosexual eben“, listet Marcel auf.

Und so beginnt er zu tippen:

„Meine Mutter hat mir beigebracht, dass man sich für ein Geschenk bedankt, selbst wenn man damit nichts anfangen kann. Wie Recht sie hatte, ist mir gerade wieder klar geworden.
Vor zwei Wochen startete „Du bist Deutschland“, die größte gemeinnützige Kampagne aller Zeiten und ein riesiges Geschenk.“

„Gefällt mir. Macht menschlich. Sehr gut.“, lobt der Chef.
Lars sagt nichts.

„Aber now: die Wende“, kündigt Marcel an:
„Das Ziel: Die Miesepetrigkeit bekämpfen. Der Dank: Miesepetrigkeit.“

„Groß. Ganz groß“, lobt der Chef.
Lars sagt nichts.

„Welche target groups sollen wir besonders kitzeln?“, fragt Marcel.
„Die Konkurrenten. Brauchen Branchenklatsch. Von Matt muss wieder Ehrfurcht einflößen“, sagt der Chef.
Lars nickt.

„Ok…. Let’s see…“ – Marcel tippt:
„Glücklicherweise nur von den Gruppen, von denen man nichts besseres erwarten konnte:
1. Von den Werbekollegen, die sich in den Branchenblättern eifrig zu Wort meldeten. Viele von ihnen finden die Kampagne nutzlos, „weil Werbung doch nicht das gegeignete Mittel sein kann, eine Nation wirtschaftlich wieder nach vorn zu bringen“. Nicht gut, wenn unsere Branche selber nicht mehr an die Kraft von Kommunikation glaubt.“

„Brillant!“, ruft der Chef in einem seltenen Anflug von Begeisterung aus: „Journalisten müssen auch noch rein. Sollen die Geschichte weitertragen.“
„Und Weblogs“, ergänzt Marcel. „Das gibt der Sache monstermäßige net credibility.“
Lars verbirgt sein Gesicht mit der rechten Hand.

Marcel schreibt weiter:
„2. Von den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? Und die meisten Blogger sondern einfach nur ab. Dieser neue Tiefststand der Meinungsbildung wird deutlich, wenn man unter www.technorati.com eingibt: Du bist Deutschland.)
3. Von den intellektuellen Journalisten von FAZ bis TAZ, die ihre Meinung zwar insofern gefragt absondern als sie eine nachweisbare Leserschaft haben, aber: „Den Höhepunkt an Zynismus gewinnt die Kampagne aber in dem Fernsehspot, der Schwule und Behinderte auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals versammelt“ (Die Zeit).“

„We hit them hard!“, jubelt Marcel und reißt seine rechte Hand zum High Five hoch. Der Chef kann damit nichts anfangen und schaut ihn verwundert an.
Und Lars mag nicht einschlagen.

„Jetzt brauchen wir noch eine Art Claim. Muss hängenbleiben“, fordert der Chef.
„Vielleicht was mit Herz?“, schlägt Marcel vor.
„Zu weich. Aber – Bauch? Bauch und Kopf?“
Marcel hebt den Zeigefinger und deutet wippend in Richtung seines Vorgesetzten und Verwandten. Dann hackt er in die Tastatur:
„Blöd, wenn man soviel Kopf hat, dass einem jedes Bauchgefühl verloren gegangen ist.“
„Das kann ja munter werden“, murmelt Lars kaum hörbar.

„Was hast Du gesagt? Ach, Turner! Right, der muss auch noch rein, meldet sich doch immer zu Wort. Und Jean-Remy mag ihn nicht. Good idea, Lars“, sagt Marcel und schreibt weiter:
„Übrigens: Sebastian Turner findet die Kampagne einfach nur falsch.“
Lars verbirgt sein Gesicht in den Handflächen, langsam sinkt sein Kopf Richtung Tischplatte.

„Schlechter Ausstieg. Zu hart“, moniert der Chef.
Marcel pflichtet ihm bei: „Right, not metrosexual enough. Wie wärs damit?“:
„Falsch, was ist das? Auch nach dem 50. Mal gucken, bin ich von dem TV-Spot immer noch berührt bis ergriffen – obwohl ich nicht einmal Deutschland bin. Kann das falsch sein? Euer Jean-Remy“

„Glänzend“, lobt der Chef. „Wie geht?s weiter?“
„Das lancieren wir nächste Woche an ein tiny blog, dann wirkt es glaubwürdig. Und schon rollt die Lawine.“
„Aber was machen wir mit Klum?“
Auch da hat Marcel schon vorgedacht: „Der mahnt ein Werbeblog ab. Und zwar mit einer so dünnen Begründung, dass er als Idiot dasteht. Und genauso wie von Matt schreibt er dann einen eleganten Entschuldigungsbrief – mit etwas Abstand, natürlich. They’re on vacations, you know“ Marcel zwinkert mit dem linken Auge. „Und dann ist the whole net impressed, dass es solche Größe noch gibt. Kaboom – das Image ist gerettet und der Kunde trotzdem in den Schlagzeilen. KCSC eben.“

Schon wenige Tage später ist der erste Teil der Mission erfüllt. Günther Klums Image ist am Boden. Dann kommt Jean-Remy von Matt dran – und die Meldung schlägt noch heftiger ein.

Am Montag morgen, kurz vor elf, ist die E-Mail vorbereitet, die die Wende bringen soll. Praktikantin Julia hat seit Tagen die Weblog-Szene gemonitored und eine Adressliste mit Empfängern der persönlich gehaltenen Entschuldigung erstellt.

Nun erhebt sich Marcel aus seinem Rollstuhl wie ein Panzergeneral aus dem Turm seines stählernen Gefährtes, streckt den Arm Richtung Decke und ruft „Attacke“. Lars bewegt den Mauszeiger auf das „Senden“-Symbol, klickt, und senkt dann seine Stirn auf das Mousepad des Online-Auktionshauses Ricardo.de, das ihn immer daran mahnen soll, wie schnell alles vorbei sein kann.

„Und jetzt der Klum“, fordert Marcel. Doch Junior Consultant Tanja-Anja, die den Kontakt zum Kunden halten soll, schaut den Managing Partner ratlos an: „Ich weiß auch nicht, was da los ist. Er hat mir geschrieben, er würde sich um den Rest kümmern…

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit


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