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Lockt das Spiel, verliert mancher jede Hemmung Und ausbaden müssen es dann manchmal seine Untergebenen. Selbst in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Als Schiedsrichter Dr. Markus Merk abpfeift, klopft der Marketing-Leiter der Stadt Kaiserslautern dem Chef der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt ermunternd auf die Schulter. „Tja, die Bayern könnens halt auch nicht.“

Dabei war sich der Chef so sicher, dass sein geliebter FCB es heute schaffen würde, hier in Stuttgart. Den VFB schlagen – und Trapattoni abschießen. Deshalb hatte er auch gewettet mit seinem Sitznachbarn in der VIP-Loge. Dass Bayern siegen würde. Wäre es so gekommen, hätte der Chef für ein Spiel eine Loge beim 1. FC Kaiserslautern gestellt bekommen – pfälzer Wein inklusive. Doch nichts wars, nur 0:0.
So muss nun die kleine PR-Agentur ran. Das Image der Stadt heben. „OK, wir sind WM-Stadt“, hatte der Marketing-Leiter erklärt. „Aber die kleinste. Uns kennt doch keine Sau. Obwohl wir Hightech-Standort sind.“ Der Chef behält das „Wie jede Stadt…“ für sich.

Das Ziel ist klar: Ohne Geld den anreisenden Fans den Eindruck geben, sie befänden sich in einer Metropole.

Wie schwer das sein wird, wird der Abordnung der kleinen PR-Agentur schnell klar, als sie auf dem Bahnhofsvorplatz von Kaiserslautern stehen. Schweigend schauen sich Senior Consultant Alexandra, Senior Consultant Lars und Praktikantin Julia an. Vor ihnen erstreckt sich ein weiter Platz, ein überdachter Busbahnhof von fußballfeldartiger Größe, der durch den einzigen Bus, der an diesem kalten Wintermittag wartet, noch leerer wirkt als ohnehin.

Julia zieht fröstelnd die Schultern nach oben,
a) weil es kalt ist,
b) weil alles hier grau wirkt und
c) weil Alexandras Anwesenheit die Hoffnung zerstört, vielleicht doch wieder mit Lars… Nein, das ist vorbei.

„Metropole geht echt anders“, sagt Julia.
„Muss man halt was drehen. Kreativ sein, dafür bist Du noch zu jung“, schnippt Alexandra zurück. Dass der Chef unbedingt Julia mitschicken wollte, passte ihr gar nicht. Zum einen wegen Lars, zum anderen weil das Mitschleppen von Praktikantinnen zum Kundenkontakt einfach unter ihrer Würde war. Aber der Chef will sich nichts nachsagen lassen, da muss eine ausreichend große Delegation her. Wettschulden gleich Ehrenschulden und so.

Und so lassen sich die drei durch die Stadt führen. Schön ist es. Und historisch. Und ruhig. Sehr, sehr, sehr ruhig. Auch im Stadion. „Das ist ein Problem“, konstatiert Lars. „Die Fans kriegen doch nichts von der Stadt mit. Man kommt aus dem Bahnhof raus und sieht direkt die Tribüne – da geht doch keiner in die City.“
„Also müssen wir was am Bahnhof machen“, bestätigt Alexandra.

Am Ende des Tages steht eine Führung durch das Fritz-Walter-Stadion an. An der Südtribüne angekommen meint Alexandra zum Guide, den die Marketing-Abteilung der Stadt abgestellt hat: „Mein Kollege und ich bleiben hier und lassen die Atmosphäre auf uns wirken. Meine Kollegin Julia begleitet Sie aber gerne weiter. Vor allem die Katakomben sind sicher interessant, da könnte man ein paar Events fahren.“
Von Julia kommen giftige Blicke, als sie mit dem Führer abzieht.

„Was soll das denn jetzt?“, fragt Lars.
„Na komm, ein ganzes Stadion. Nur für uns. Und da oben gehts aufs Dach. Hast Du schon mal mit so einem Blick…“
Lars stutzt. „Ist das nicht ein wenig kalt?“
„Memme!“
Alexandra zieht ihn hinauf in den Aufstieg zum Tribünendach. Oben breitet sie ihren Max Mara-Kaschmir-Mantel als Unterlage auf das kalte Metall. Und auch Lars kann sich der ungewöhnlichen Situation nicht verschließen.

Seine Finger wandern an Alexandras Hüfte entlang, hinauf zu den Knöpfen ihrer hellblauen Armani-Bluse. Doch aus den Augenwinkeln sieht er – Julia und den Führer. Aus dem Gang kommend, der Richtung Geschäftsstelle führt.
„Julia!“, ruft er unterdrückt und zieht seinen rechten Arm unter Alexandra weg.
Sofort rutscht die Senior Consultant ab, ihr Kopf poltert über das Stahldach, erst im letzten Moment kann sie sich an einer Verstrebung festhalten. Hilflos zappeln ihre Beine in der Luft, nur dank ihrer Tae-Bo-gestärkten Arme kann sie den tödlichen Sturz auf die Sitztribüne verhindern.
„Oh, Gott!“ Geistesgegenwärtig erinnert sich Lars an die Metallstange, die er im Treppenhaus gesehen hat. Mit ihrer Hilfe zieht er die geliebte Kollegin nach oben.

„Haben sie das auch gehört“, fragt Julia ihren städtischen Begleiter, als sie sich wieder zurück ins Warme begeben. „So ein dumpfes Klopfen?“
Der Führer zuckt mit den Schultern: „Nein. Aber hier wird noch sehr viel gebaut.“

KLONG macht die Metallstange, die Alexandra aus Lars Hand gerissen hat. Der erste Schlag der Senior Consultant landet an einem Stahlträger knapp neben Lars Kopf.
„HABEN SIE DIR INS HIRN GESCHISSEN?“, brüllt ihn die Gerettete an
„Ich, ich wollte doch nur, da unten“, stammelt Lars.
KLONG! „Ich geb Dir ,Ich wollte nur‘!“
Lars flüchtet nach unten, „Alex, mach keinen…“
KLONG macht es an der Verstrebung rechts neben ihm.

20 Minuten und viele Schläge später wirft Alexandra die Stange weg, Lars sinkt atemlos aber unverletzt zu Boden. Der Rest des Tages verläuft still.

Irgendwann zwischen Mannheim und der Stadt, an deren Rand die kleine PR-Agentur liegt, versucht Julia das eisige Schweigen zwischen Alexandra und Lars zu brechen: „Und was schlagen wir jetzt vor?“
Alexandra Augenbrauen fahren nach unten, ihr Blick wird noch kälter als das Stahldach der Tribüne: „Sag was.“

Julia richtet sich auf. Endlich darf sie zeigen, was in ihr steckt. Ein kleiner Adrenalinschub befeuert ihren Eifer. „Ja, also, was ich ja von einer Metropole erwarte ist ein großer Flughafen, wo man Fernweh kriegt. Den gibts aber in Kaiserslautern nicht. Aber einen Bahnhof. Und den müssten man irgendwie weltstädtischer machen. Mit mehr Gleisen. Ist aber zu teuer. Also könnte man die Gleise umbenennen, so dass er größer wirkt. Gleis 45 und so. Der riesigen Busbahnhof passt doch dazu.“

„Was für eine blonde Idee“, denkt Alexandra. Mitleidig lächelnd tätschelt sie Julias Hand: „Das ist eine ganz feine Idee, Julia. Schreib das doch auf, es wird Zeit, dass wir Dich in der Agentur mal besser positionieren. Aber wir müssen da noch einen Trend anflanschen.“

Julia überlegt.

Und überlegt.

Und überlegt.

„Gleich explodiert ihr süßes Köpfchen und versaut das Zara-Twinset“, denkt Alexandra für sich.

„Alsooooo“, setzt Julia an, „bei Zügen denke ich immer an Harry Potter. Der fährt nach Hogwarts ja immer vom Gleis 9 dreiviertel ab. Warum also nicht so ein Stadtmusical machen, wo es um einen zaubernden Winzersohn geht. Und dessen Zug geht immer von einem Gleis ab, zum Beispiel Gleis 120.“

Alexandra legt scheinbar begeistert ihren Kopf schief und schaut bewundernd auf Julia: „Genial“, schauspielert sie Euphorie. „Schreib das auf!“

Wenige Tage später ruft der Marketing-Leiter der Stadt den Chef der kleinen PR-Agentur an: „Großes Ding, mein Lieber. Haben sich Deine Leute richtig reingehangen. Das mit den Gleisen haben wir schon gemacht:

„Alles weitere, wenn wir die Sache mit dem Stadion geregelt haben…“

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter


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