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So langsam müsste sich doch jeder mit der Existenz des Internets abgefunden haben. Das denkt man so lange, bis man einem Medien-Gewerkschafter begegnet. Gewerkschaften haben ja so etwas verstaubtes, altertümliches, steifes. Deshalb symbolisiert man sie so gern mit Gegenständen, die man seit den 70ern mit ihnen verbindet. Diese hässlichen roten Plastikschürzen zum Beispiel, mit denen der protestierende oder streikende Gewerkschafter meint, sich verunstalten zu müssen. Oder die billigen aber lauten Plastikpfeifen. Wenigstens die oberen Funktionäre, denkt man im Sinne des Umweltschutzes, hätten sich im Laufe der Streikjahre doch mal Mehrweg-Triller zulegen können.

Wir Journalisten sind ebenfalls mit solchen, der Zukunft eher abgewandten Funktionären gesegnet. Weder der DJV noch Verdi tun sich da viel. Und deshalb bescheren sie uns auch Organe, die eher eine Peinlichkeit für unseren Berufsstand sind und tun sich so schwer mit den neuen und vor allem digitalen Errungenschaften in unserer ach so bunten und turbulenten Welt.

Das Internet ist da so etwas ganz, ganz, ganz Düsteres, eine Macht, die noch immer nicht geheuer ist. Nachzulesen in der aktuellen Ausgabe von „Insight“, einem Magazin mit dem Untertitel „Markt & Management für Journalisten“, ein Schwesterblatt der DJV-Postille „Journalist“.

Da geht es auch um Weblogs. Etwas, was sich Kolumne nennt, schäumt die üblichen Seifenblasen auf Anzeigenblatt-Niveau wie:
„Heute schon gebloggt? Wer sich jetzt fragt, was ,bloggen‘ überhaupt bedeutet, ist dabei, einen Trend zu verpassen. Die Weblog-Welle hat Deutschland erfasst. Bereits vor mehreren Jahren in den USA gestartet, schwappt sie seit einiger Zeit spürbar nach Europa herüber. Deutschland mit geschätzten 200.000 Weblogs zählt eher noch zu den Entwicklungsländern in Sachen ,Blogging‘.“

Und weil uns das so unheimlich ist mit „Blogging“ schreiben wir es hübsch in Anführungszeichen, weil das ja etwas ist, was alle so nennen, wir aber nicht gut finden und deshalb ironisieren wollen, was aber so ironisch ausfällt wie ein Fips-Asmussen-Witz.

Eigentlich sollte dies „Kolumne“ dann wohl richtig negativ werden. So von wegen „Bringt doch alles nix“. Im letzten Moment hat dann wohl jemand eingegriffen: „Möööönsch“, hat dieser jemand gerufen. „Kannst Du doch nicht runtermachen! Dann kommen wir wieder so verstaubt daher!“
Und deshalb musste da noch ein positives Ende rein:
„Experten rechnen damit, dass die Weblogszene in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Eine Chance auch für journalistische Angebote.“

Puh, der Schein ist gewahrt. Aber: Der mahnende Zeigefinger, wo ist der? Den braucht man doch heutzutage. „Insight“ packt ihn deshalb in das Editorial von Chefredakteurin Katharina Skibowski.

Die, so darf man ihren Zeilen entnehmen, hält den gemeinen Journalisten für ein der Wirklichkeit hilflos ausgeliefertes, unmündiges, nicht zu selbstständigem Denken fähiges, am Rande zur Halbdebilität dahin wucherndes Bündel Fleisch und Knochen. Und dieses Gewürm ist hilflos dem Internet ausgeliefert, verfängt sich in dessen Netz wie ein Delfin im Thunfischfanggeflecht.

Jaeiderdaus, stellt Skibowski fest, was man da so ins Internet schreibt, das kann gelesen werden! Nugehmirwechundkommnichwieder!
„Passen Sie aber ein wenig auf, wenn Sie selbst dem Bloggen verfallen sind. Seien Sie immer gewahr, dass alles, was Sie da veröffentlichen – einschließlich der Fotos -, von jedem auf dieser Welt, der einen Internetanschluss hat, gelesen werden kann. Auch von Ihrer Ex-Freundin, Ihrem Chef, der Steuerbehörde oder Ihrer Schwiegermutter.“

Und da lauert auch schon die Gefahr, hat sie beim ehemaligen „Kress Report“-Chef Peter Turi festgestellt (den sie aber nicht nennen mag, wahrscheinlich, weil er es lesen könnte):
„Aber als ich mir das gerade eingerichtete ,Hausmann-Blog‘ eines ehemals sehr erfolgreichen Medienredakteurs angesehen habe, habe ich mir schon ernsthaft die Frage gestellt, ob er etwa mit der Bemerkung, dass ihn das Weblog doch sehr viel mehr Zeit koste als gedacht, nicht potenzielle Auftraggeber abschreckt. Neben Bloggen und Kinderversorgen arbeitet der Mann noch als freier Autor, als Medienprofi.“

Böse, böse… Da könnte sich doch wirklich ein Auftraggeber sagen: „Der Turi, der bloggt so viel – da liefert er bestimmt schlechte Qualität ab.“ Nein, da schwingt richtig das Mitleid mit diesem „ehemals sehr erfolgreichen Medienredakteur“ mit. Am Hungertuch wird er nagen, weil er bloggt, die arme Sau.

Und damit es anderen nicht auch so geht, sie womöglich sogar noch auf die Idee kommen, so ein Weblog könnte eine prima Eigenwerbung für freie Journalisten sein, rät Frau S. in schönster deutscher Schwarzmal-Manie:
„Und warnen Sie andere davor, sich in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Das hat zwar weder bei den Nachmittags-Talkshows noch bei Big Brother etwas genutzt, aber geben Sie nicht auf, vielleicht halten Sie ja doch den einen oder anderen Privatblogger davon ab, in aller Ausführlichkeit über seine Hämorriden-Operation oder den letzten Ehekrach zu berichten. Sollten Sie Kinder haben oder Medien bedienen, die sich an Kinder richten, hören Sie bitte nicht auf, eindringlich vor den Risiken des leichtfertigen Umgangs mit dem Netz und mit privaten Daten zu warnen.“

Auf dass die kleinen Kinderchen auch brav weiter „Insight“ lesen. Gedruckt, versteht sich. Das Magazin, das als Recherchetipp für das kommende Jahr in der gleichen Ausgabe zu Themen rät wie „120 Jahre Telefonbuch“ und „140 Jahre Schreibmaschine“. Ja, so wird er siegreich beendet der Kampf mit dem Internet: Einfach mal Aufwachen und reinen Tisch mit dem Bedränger machen, erst wenn wir sie vertrieben haben, dan scheint die Sonn‘ ohn‘ Unterlass.


Kommentare


che2001 13. Dezember 2005 um 11:50

Hätte die Dame mal lieber die „Auseinandersetzung“ mit Turi und den herrlich anarchischen Subthread einer sich selbst nicht allzu ernst nehmenden Community gelesen!

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che2001 13. Dezember 2005 um 11:51

Sorry, ich vergaß: Bei rebellmarkt natürlich!

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FoolDC 13. Dezember 2005 um 18:06

Ach Gottchen. Die schon wieder. Journalisten fallen gerne dem Größenwahn anheim, vom Objekt ihrer Berichterstattung tatsächlich etwas zu verstehen. Das ist in seltenen und wohltuenden Ausnahmen so. Nur die wenigsten Journalisten dürfen über etwas schreiben, von dem sie auch wirklich Ahnung haben.

Das bei den Gewerkschaftlern solche Themen gänzlich unbeackerter Boden sind, überrascht mich nicht. Bei der kompetenten Website sollte man Insight verbieten, überhaupt was dazu zu schreiben.

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