Ich bin baff. Geschockt, geradezu. Denn die Zeitungsverleger und Journalistenverbände haben schier unglaubliches geschaffen: eine Plastikkarte. Journalistenausweise gehören noch immer zu den Sagen umwobenen Einrichtungen der Mediengesellschaft. Tür und Tor sollen sie öffnen, den Weg zu ausverkauften Robbie Williams-Konzerten oder Rolling Stones-Auftritten ebnen, einen Platz in der Arena auf Schalke sichern und das alles mit bester Sicht und für nottig, gar nix, gratis, für Umme.
Schön wärs. Faktisch brauche ich meinen Presseausweis eigentlich nur für Messen, dort wollen die Akkreditierungsschalter immer noch Presseausweise sehen. Herausgebeben werden diese von den Verlegerverbänden und Journalistengewerkschaften.
Die zweiten Teile dieser Worte – Verbände! Gewerkschaften! – deuten bereits auf eine stark limitierte Innovationsfreude hin. Und so waren Presseausweise bis zum Ende des letzten Jahrtausends grauenhafte Lappen, gegen die mein Studentenausweis wie die Eintrittskarte in die Weltz der High Society wirkte.
1999 nun wurden Ausweise im Scheckkartenformat angekündigt – welch Sensation. Heraus kamen Pappkärtchen, auf die seit sechs Jahren in jedem Januar ein Silberfölchen (Verniedlichung von Folie) gepappt wurde. Noch bemerkenswerter als das Design – bei dem einem niemand glaubt, dass es sich nicht um gefälschte Imitate handelt – dieser bedruckten Witze, ist aber die verwendete Farbe. Sie nämlich löst sich bei Körperwärme langsam ab, so dass der Ausweis in seiner Plastikhülle zu einer der abstrakten Kunst zuzuordnenden Grafikmasse verschwimmt.
Dies kommt nun vor allem bei Männern vor, da wir unsere Geldbörsen oft in der Hintertasche aufbewahren. Dies sieht zwar nur mäßig toll aus, aber wohin sonst damit? Liebe Frauen, das habt Ihr nun davon, Herrenhandtaschen fandet Ihr ja auch blöd und irgendwo muss ja das Geld hin, mit dem wir Euch einladen.
Aber weil ja auf dem Pappkärtchen in Würgreiz erregendem Mintgrün Platz für sechs dieser Silberfölchen war, wurde die offensichtliche missratene Konstruktion durchgezogen bis ins Jahr 2006.
Nun aber ist der da, der neue Presseausweis. Und nachdem jeder Tante-Emma-Laden eine Rabattkarte aus Plastik hat, konnten sich selbst oben genannte Verbände und Gewerkschaften nicht mehr verschließen. Deutschland bewegt sich eben. Wenn auch sehr, sehr, sehr, sehr, sehr langsam:
Kommentare
Jenny 5. Dezember 2005 um 12:21
Welche Frau hat etwas gegen Herrenhandtaschen?
Gibt’s die überhaupt? Im Gegenteil, das wäre doch mal eine tolle Sache: Nichts mehr von wegen „halt mal bitte meine Tasche Schatz“ „oooch nö, das sieht so doof aus“. Sondern „darf ich meinen Lippenstift bitte bei Dir mitreinpacken?“ „kein problem, dafür hab ich ja meine geräumige herrenhandtasche“ 😉
Gerold Braun 5. Dezember 2005 um 13:10
@Jenny – HHT gibt es tatsächlich. Und ich könnt mir auch vorstellen, dass Herr Knüwer richtig chick damit aussieht.
Jenny 5. Dezember 2005 um 13:54
🙂 ich auch
Johnnie 5. Dezember 2005 um 15:23
Ja, sind sie denn in der nachdenklichen Pose auf dem Foto überhaupt einwandfrei identifizierbar? Ich höre schon die Dame am Akkreditierschalter… „da muß ich mal kurz nachfragen“
tknuewer 5. Dezember 2005 um 15:30
Was ja auch nur wieder eine schöne Episode für dieses Blog ergäbe, nicht wahr? 😉
Naru 5. Dezember 2005 um 17:30
Denkerposen sind immer gut. Find’s aber erstaunlich, dass es Fotografen zu geben scheint, die einem mehr als das übliche „Den-Kopf-mehr-zur-Seite-und-bitte-lächeln!“ erlauben, ohne gleich ihre jahrhundertelange Tradition im Boden versinken zu sehen.
Naru