Nein, ich schreibe keine Weihnachtskarten. Weil ich genügend bekomme, von denen ich der Meinung bin: Dafür müssen keine Bäume sterben. Ich habe einen Tick: Ich versuche, nie etwas zu verschenken, was sich jemand anders gewünscht hat. Mag ich nicht, ich bin nicht der Otto-Versand und auch nicht Amazon. Wenn ich etwas verschenke, möchte ich mir Gedanken machen, was dem zu Beschenkenden gefallen könnte, was ihn vielleicht sogar überrascht.
Womit wir bei Weihnachtskarten wären. Denn bei denen war es mal so ähnlich. Früher wurde überlegt, was man reinschreibt, die Ständer der Weihnachtskartenverkäufer wurden nach besonders schönen oder originellen Varianten durchsucht. Und vor allem: Nicht jeder bekam die gleiche Karte.
Das galt auch für Unternehmen: Einst wurden Texte noch per Hand geschrieben, war das Design der Firmenkarte auch mal ein Meeting wert. Doch seit Networking Golf als liebsten Büro-Sport abgelöst hat, ist die Zahl der Adressaten in nicht mehr lesbar zu bewältigende Höhen geschossen. Eine kaum oder gar nicht mehr zu entziffernde Unterschrift, gekrakelt von einer vom Signieren tennisarmartig deformierten Hand – mehr ist nicht drin. OK, anderenorts scheint der Karten-Wahnsinn noch heftiger zu grassieren…
Wären wenigstens die Motive originell. Doch die meisten erfreuen keinen westeuropäisch geprägten Menschen unter 65, privat würden sie nur geschmacklich schwer angeschlagene Jünger des Gelsenkirchener Barocks wählen:
Andere schicken da gleich E-Mail-Postkarten, die Weihnachtspest des noch jungen Jahrtausends. Einmal entworfen, dann gleich an den ganzen Verteiler – fertig. Da sind selbst die Schweinebauch-Wurfsendungen vom Supermarkt um die Ecke liebevoller dargereicht.
Besonders bemerkenswert ist auch das Dutzend Karten von Unternehmen, mit denen ich noch nie zu tun hatte, von denen ich teils nicht mal gehört habe. Sie wünschen mir „weiter eine gute Zusammenarbeit“. Vielleicht stammen die Karten von Menschen, die schon einmal Kontakt mit mir hatten und nun zu diesen Firmen gewechselt sind. Wie soll ich das wissen? Die Unterschrift kann ja niemand lesen.
Und sie alle brüsten sich damit, statt Geschenke zu versenden, eine wohltätige Organisation zu unterstützen, dies sei sicher in meinem Sinn. Ja, gut, theoretisch schon. Aber während manche ganz verschweigen, wohin das Geld angeblich ging, sagt niemand, aber auch wirklich niemand, wieviel denn nun überwiesen wurde. Ein Foto der Scheckübergabe? Nein, das wäre zuviel. Vermutlich fällt das jährliche Spendenvolumen unter Betriebsgeheimnis, Sicherheitsstufe drei. Oder aber spenden sie vielleicht auch gar nicht – nein, solch düstere Gedanken wollen wir in diesen kuschelweichen Tagen nicht an unser Herz lassen.
Und dann, ganz am Ende der täglichen Post kommt doch der Lichtblick, der Umschlag, der die Seele wärmt. Nicht von einem Großkonzern kommt er, sondern von einer kleine Werbeagentur namens Hesels vom Berg. Ein Schlüsselband enthält er mit dem Text: „Ich will ab jetzt die beste Zeit meines Lebens haben.“
Dazu eine Karte, ganz schlicht. Drauf steht:
„In idyllisch beleuchteter Wohnzimmersituation schimmert ein prächtiger Weihnachtsbaum. Pausbäckig lachende Kinder sitzen darunter leuchtenden Auges vor schleifenreichen Geschenken. Ein Herr mittleren Alters betrachtet sparsam lächelnd einen dezent getupften Schlips. Auf dem Tisch locken in goldener Schüssel einladend duftende Zimtsterne.“
Und genau solch ein mustersames Weihnachten wünsche ich hiermit – statt per Weihnachtskarte – allen Freunden, Kontakten, Geschäftspartnern, Kollegen und Lesern dieser kleinen Veranstaltung.
(Ich habe allerdings die Vorahnung, dass eine kleine PR-Agentur dies morgen auch nochmal separat tun möchte…)
Kommentare
Vera 22. Dezember 2005 um 14:52
Schöne Weihnachtskarten mit sinnigen Texten sind selten, das stimmt. Ganz schlimm wird es, wenn der Absender noch mal konkret auf seine Dienstleistungen im Text hinweist: „Auch im kommenden Jahr unterstützen wir sie gerne bei Projekten mit xyz“ – Schlimmer geht’s nimmer.
Ganz selten schreibt mal jemand einen persönlichen Gruß rein. Andererseits: Nimmt bei Ihnen die Zahl der Weihnachtskarten nicht auch ab? Ich habe den Eindruck, dass sich die Firmen dies mehr und mehr „schenken“.
Dann noch das Thema mit den Spenden: Tja, da wäre man manchmal gerne Mäuschen ob da wirklich Geld gespendet wird??? Vermutlich nur in den wenigsten Fällen…
Mark Pohlmann 23. Dezember 2005 um 11:23
Weihnachtskarten schreibt man nicht der schönen Texte wegen, sondern um seine Adresslisten zu bereinigen. Wann sonst kann man eleganter feststellen, ob der Kontakt längst woanders sitzt? In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
Jörg Petermann 23. Dezember 2005 um 14:11
Es ist mit den Weihnachtskarten wie mit jedem anderen Glückwünschen. Weniger ist mehr, und wenn sie dazu auf eine sehr persönliche Art und Weise kommen, dann sind diese noch wertvoller.
Leider mögen nicht alle Menschen gern schreiben.
BTW, Frohes Fest wünsche ich!