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Wer einen Gegner ausschalten will, muss auch über Bande spielen können. Das beweist die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt. Es weht ein neuer Wind in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Wegen Managing Partner Marcel. Denn der macht jetzt den Chef, während der Chef sich immer früher verabschiedet, am Morgen später kommt oder ganze Tage überhaupt nicht zu sehen ist. Dafür fallen immer häufiger Begriffe wie „Handicap dramatisch verbessert“, „Gebauer, wo bleiben die Weiber?“ oder „Wochenende an der Cote“, wenn er am Handy telefonierend das Großraumbüro durchquert.

Marcel aber will aus der kleinen PR-Agentur ein großes Network machen. Fast wie zu seligen New-Economy-Zeiten sitzt das Team jetzt nächtens im Büro. Nur ist es nicht mehr so lustig und die Gehälter nicht mehr so hoch. Und jeder muss sich in Dinge einarbeiten, von denen man mal nebulös was gehört hat, ja er muss sie sogar verstehen. Nicht so wie früher, als man einfach Begriffe in Pressemitteilungen klatschte.

Weblogs, zum Beispiel. Die hat Marcel nämlich Burda angedreht. „Ganz easy“, hat er erklärt. „Hosting ist today kein cost driving factor mehr. Also schlagen wir Burda ein Joint Venture vor: Die committen sich zum Investment, wir zu Marketing und Pie Ar. Dann machen wir eine Blog-Plattform. Das Re-Financing läuft über Online-Ads.“Senior Consultant Lars schaut skeptisch. „Aber sind Blogs nicht so eine Art Gegenöffentlichkeit? Die Autoren wollen doch eigentlich nichts mit Großverlagen zu tun haben, oder? Was machen wir, wenn es statt dem Bildblog ein Focus-Blog gibt?“

Marcel winkt ab: „No problem, mach Dir keinen Head drüber. Erst kommt ein Filter über die Plattform. Da fliegen schon mal Worte wie ,Heil Hitler‘ raus. Oder all the sex stuff. Und dann gründen wir eine Blog-Polizei. Da finden sich absofuckinglutely ein paar Typen, die für nen T-Shirt und einmal Handshake mit Big Burda uns die Hood clean halten. Kriegen nen crazy Shirt obendrauf, und dann fliegt das Baby.“

Zwei Wochen später ist der Deal „in the box“, wie Marcel beim Team Meeting, das jetzt jeden Morgen stattfindet, verkündet. Die Software sei kein Problem, nun müsse halt noch getestet werden. Im gläsernen Konfi warten derweil Wolfgang, Manfred, Michael, Heinz-Dieter und Jana – die ersten Blog-Polizisten.

„War gar nicht so schwer, die aufzutreiben“, berichtet Tanja-Anja in der Kaffeeküche ihrer Lieblingskollegin, Senior Consultant Sabine. „Ich hab einfach nach Blogs gesucht, bei denen entweder Begriffe wie ,Recht‘ oder ,Gerechtigkeit‘ auftauchten. Und bei den IT-Freaks hab ich auch Erfolg gehabt.“
„Mmmh…“, skeptisch schaut Sabine rüber zum Konfi. „Aber der Typ mit den Springerstiefel und der Glatze… Der sieht irgendwie merkwürdig aus.“
„Och, der Wolle? Ne, harte Schale, weicher Kern. Echt Du. Der ist total liebevoll zu seinem Schäferhund.“
„Und der mit der dicken Brille und den wirren Haaren?
„Heinz-Dieter? Der hat mir zu Hause alles technisch auf Vordermann gebracht. Sobald ich nach sieben meine Tiefschlafphase verlasse, registriert das mein Pulsmesser, leitet das über Bluetooth an die Lichtsteuerung weiter. Die dimmt sich langsam hoch, bis ich wach bin. In der Zeit aktiviert sie per WLan meine Kaffeemaschine und die kleine Förderanlage an meinem Briefkasten transportiert die Zeitung hoch in den zweiten Stock. Hat er in nullkommagarnichts alles installiert.“
„Und der Fette?“
„Manni? Ex-LKW-Fahrer, derzeit ohne Job. Bisschen grummelig manchmal.“
„Und der mit der Jeansweste und den Tätowierungen auf dem Oberarm? Was ist das überhaupt? Ne Flagge als Tatoo?“
„Das ist das Logo von Arminia Bielefeld. Fährt Michael voll drauf ab. Ist nen echt witziger, wenn er vom Fußball erzählt. Letztes Wochenende zum Beispiel hat er richtig Backenfutter bekommen. Wahrscheinlich ne besonders tolle Bratwurst.“

Währenddessen überreichen Senior Consultant Alexandra und Lars den Blog-Polizisten ein paar Goodies: schwarze-T-Shirts mit der Aufschrift „Blog-Polizei“;Nachtsichtgeräte, die Marcel für „an apple and an egg“ aufgetrieben hat; Luftballons und Stofftiere, das übliche halt.

Und dann ist Testlauf angesagt. Die Online-Sittenwächter sollen die Blogs von „Focus“ überwachen und einige Test-Blogs, die von Burda-Mitarbeitern und von Sabine und Tanja-Anja betrieben werden.

Leider aber wird das Gemeinschaftsunternehmen mit Burda bald darauf aufgelöst. Was nun genau der Auslöser war, lässt sich nicht genau festmachen, aus dem im Schrei-Ton gehaltenen Telefonat, das der Burda-Verantwortliche mit dem Chef der kleinen Agentur führte.

Vielleicht war es jenes Päckchen an Markus Koch in New York, das gefüllt war mit einem aufgeschlitzten Teddy, an dessen Hals eine Schlinge und ein Zettel mit den Worten „Keine Witze über Jesus“ hingen. Es ließ sich leicht auf Wolle zurückführen, der verhaftet wurde, als er Oswald Metzger mit Flüssigseife den Mund auswaschen wollte. Metzger gab zu Protokoll, Wolle habe sich mit den Worten „Dreckiger Fluch-Blogger“ auf ihn gestürzt.

Auch die versagenden Bremsen am Auto von „Focus“-Redakteur Martin Vogt trugen nicht zur Pflege der Beziehungen bei. So ein Totalschaden ist einfach nicht lustig. Manni war am Abend zuvor gesehen worden, wie er um Vogts Haus herumschlich. Bei der Vernehmung sagte er aus, er können seinen Ex-Berufsstand nicht als Mörder titulieren lassen.

Glimpflich ging die Sache mit Nova Meierhenrich aus. Zwölf Stunden befand sie sich in der Gewalt von Heinz-Dieter, zwölf Stunden lang musste sie immer und immer wieder in die Tastatur hacken: „Ich darf das Wort bummsen nicht ins Internet schreiben“. Meierhenrich kam mit einer Sehnenscheideentzündung davon.

Aus der „Elle“ hingegen kam die Anzeige gegen Jana. Sie hatte „Elle“-Blogger Adrian und Johnny gezwungen zwei Sahnecreme-Torten in sich hineinzustopfen – pro Person. Damit sie „endlich merken, dass Übergewicht ein wichtiges Gesellschaftsproblem“ sei. Die beiden Modeschöpfer haben sich unmittelbar auf eine Wellnessfarm begeben um möglichst bald wieder die eigenen Kreationen tragen zu können.

Mit ernstem Gesicht unterrichtet der Chef das Team vom Ende der Geschäftsbeziehungen mit Burda. „Aber es gibt noch wichtigeres. Marcel ist gestern nacht überfallen worden. Man hat ihm mit einer Eisenstange die Knie eingeschlagen. Er wird uns eine ganze Zeit lang fehlen.“

Das Mitleid der kleinen PR-Agentur für den bedauerlichen gesundheitlichen Schaden ihres Managing Partners hält sich in Grenzen nach den vergangenen Wochen. Alexandra zum Beispiel beendet sofort und still schweigend ihren Teil des Burda-Projektes: den Test der Schimpfwortfilter.

Dafür hatte sie in den vergangenen Wochen Stunden über Stunden in ein Weblog gesteckt, das sie nun auflöst. Nicht auf einen Schlag, sondern Stück für Stück. Mit Verwunderung beobachten Sabine und Tanja-Anja von der Kaffeküche ein leicht genüssliches Lächeln auf den Lippen ihrer wenig beliebten Kollegin. Hätten sie auf Alexandras Bildschirm schauen können, hätten sie erst das Bild des vermeintlichen Weblog-Autoren verschwinden sehen, dann all die Beschimpfungen gegen Arminia Bielefeld, die einzelnen Spielern sogar sexuelle Vorlieben zu vierbeinigen Wolllieferanten nachsagten. Dann auch die Privatadresse des angeblichen Autors dieser schmierigen Worte.

Und schließlich den Titelkopf: „Marcels Arminia-Hass-Blog“. Danach schaltete sie den Schimpfwort-Filter an.

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied


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