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Über 90 Minuten diskutierten gestern die Fraktionsvorsitzenden. Das Wort "Internet" fiel kein einziges Mal (wenn ich nichts verpasst habe). Warum die Parteioberen eine der wichtigsten Treiber unserer Gesellschaft nicht erwähnen? Weil sie keine Ahnung davon haben, wie die CSU gerade beweist.

Jüngst schrieb ich eine längere Abhandlung über die Hilflosigkeit der Politiker im Umgang mit Weblogs. Immerhin: Die Volksvertreter zeigen Interesse an etwas, das im Bereich der Neuen Medien liegt. Der eine oder andere wird im Laufe der Zeit, so er dran bleibt, auch ein Weblog haben, das lesenswert ist. Silvana Koch-Mehrin traue ich dies zum Beispiel zu.

Ansonsten aber herrscht beim Thema Internet und Neue Medien Unkenntnis und Desinteresse. Neu ist das nicht. Zu Zeiten unseres E-Business-Extras Netzwert war es fast unmöglich, in Berlin kompetente Ansprechpartner zu finden. Allein Brigitte Zypries und Jörg Tauss lieferten ernstzunehmende Antworten. Beide übrigens haben sich anderen Themen zugewandt, um nicht auf das "Internet festgenagelt" zu werden. Das Netz als Karriereblocker in der Politik – kein weiterer Kommentar.

Wie schlimm es um das Internet-Wissen der Parteien bestellt ist, zeigt sich jetzt bei der CSU. Fröhlich und unbedarft wirbt sie in ihrem Weblog damit, die Wähler elektronisch zuzumüllen:

"Die CSU setzt in der Schlussphase neben Plakatierungen und Kundgebungen vor allem auf moderne Wahl-Werbung. So sollen bis zu 300.000 E-Mails und mehrere tausend Voice-Mails, bei denen sich per Tonbandansage Edmund Stoiber auf Handys zu Wort meldet gerade Jungwähler ansprechen und zum Wählen motivieren. Die CSU setzt dieses Konzept, das zuletzt in England und den USA erfolgreich war zum ersten Mal ein. Generalsekretär Markus Söder hofft, dass möglichst viele Empfänger der Handy-Nachrichten den Wahlaufruf weiterleiten. Einmal in Gang gesetzt, setzt sich das Konzept von selbst fort."

Wirres.net hat gleich mal recherchiert, dass damit nicht mal deutsche Arbeitsplätze geschaffen werden, sondern österreichische.

Also, liebe CSU, dann wollen wir mal kurz was erklären.

1. Wer unverlangt Werbung über E-Mail oder auf das Handy verschickt, handelt ungesetzlich. Der Fachausdruck dafür ist Spam. Das ist englisch und bedeutet eigentlich Sülzdosenfleisch, wird aber normalerweise mit Müll übersetzt.

2. Nicht jeder mag die CSU. Doch, ehrlich, dieser Tatsache sollten Sie ins Auge sehen. Deshalb möchte auch nicht jeder Werbung von Ihnen bekommen. Es wird deshalb eine ganze Menge von Menschen geben, die Ihnen per Anwalt einstweilige Verfügungen ins Haus schicken. Oder, was den Bürgern laut Gesetz auch zusteht, erfahren wollen, welche Daten sie von den Adressaten der Werbung gespeichert haben. Somit werden sie das Gefühl haben, auch "zugemüllt" zu werden. Dieses Sülzdosenfleisch entspricht allerdings Gesetzen.

3. Es gibt tatsächlich Fälle, in denen Werbung von Freund zu Freund weitergeleitet wird. So etwas nennt man virales Marketing, weil eine Werbung wie ein Virus über nicht-klassische Kanäle weitertransportiert wird, ohne dass der Absender etwas tun muss. Aber, liebe CSU, diese Werbung ist  in der Regel das, was jüngere Menschen "cool" oder "hip" nennen. Übersetzten wir dies mal mit "aus dem Rahmen fallend" und "dem Zeitgeist entsprechend", damit Sie das auch verstehen. Seien Sie mir nicht böse: Aber Wahlwerbung ist fast nie "aus dem Rahmen fallend" oder "dem Zeitgeist entsprechend". Sie ist das Gegenteil.

4. Ein wenig muss ich 3. doch noch korrigieren: Manchmal wird elektronische Werbung auch weitergeleitet, weil sie besonders misslungen oder dümmlich ist. Vielleicht ist das ihre Chance, damit Ihr "einmal in Gang gesetztes Konzept" sich "von selbst fortsetzt".

5. Wahrscheinlicher ist: Sie machen sich lächerlich und verärgern die Wähler. Das aber richtig.

6. Wenn Sie schon ein Weblog führen, sollten Sie gelegentlich die Kommentare kontrollieren und durchaus auch mal das eine oder andere löschen. Worte aus der Fäkalsprache oder Titulierungen, die Ihnen eine Nähe zum käuflichen Austausch von Körperflüssigkeiten unterstellen, sind dem Image nicht förderlich. 

(Vielen Dank an Herrn Fogelberg für den Hinweis)

Eine unterhaltsame Zusammenfassung der gestrigen Runde gibt es übrigens hier.

Nachtrag: Das hat ja mächtig Wellen geschlagen… Nachdem die Geschichte einmal durch die deutsche Internet-Szene durch war, hat die CSU also die schlimmsten Kommentare getilgt (was angesichts der Sprachwahl einiger Kommentierenden absolut angebracht war). Es zeigt aber wieder einmal, dass eine Partei, die sich als Laptop- und Lederhosen-Fraktion sieht, nicht immer weiß, was mit diesen viereckigen Plastikkasten so angerichtet werden kann. Gerade nämlich fiel mir noch einmal das wunderschöne Stoiber-Video ins Auge, das offensichtlich von einer Anti-Stoiber-Fraktion innerhalb der CSU produziert worden sein dürfte – anders lässt sich die wunderbare Ironie kaum erklären. Meine Lieblingsszenen: Stoiber lässt Sushi dezent auf die Serviette auf seinen Knien gleiten, schwingt die Peitsche und versetzt Dortmund ins Rheinland – grandios!


Kommentare


Alphager 13. September 2005 um 11:17

Ich gehöre zu den Leuten, die bei Erhalt einer einzigen email von denen den Anwalt anschalten werden.
Es muss ganz schnell ein Exempel statuiert werden, sonst werden wir demnächst bei jeder Entscheidung im Bürgermeisteramt per MAil und SMS „informiert“.

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Alphager 13. September 2005 um 11:24

Nachtrag:
Da ich unfähig bin, auf der Handelsblattseite das Feedbackformular zu finden:
Die Zusammenfassung ist über 2 Webseiten verteilt. Das macht sich extrem schlecht.

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Simon 13. September 2005 um 11:40

Naja, geht noch in Ordnung, schließlich muss auch das alles hier mit Werbung finanziert werden.
Aber was ist eigentlich aus dem Gewinnspiel geworden?

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hanno 13. September 2005 um 12:15

Schön zu sehen, wie sich die rechten Freistaatler noch alles kaputt machen. Ich hoffe nur, die halten bis zur Wahl durch und lassen nicht nach, dann bleiben uns Ääääähhhhh-Edi und sein Schwesterpartei-Freundin erspart. Hhhhuuuurrrraaaaa… 😉

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Home of Geewiz 13. September 2005 um 12:55

Das Handelsblatt-Blog Indiskretion Ehrensache sorgt bei mir immer wieder für Kopfschütteln. Aber dass eine Partei nicht mal genug Wissen über elektronische Medien mitbringt, um selbst darauf zu kommen, dass man mit Spam keine Freunde gewinnt, verursacht m

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ix 13. September 2005 um 17:25

das problem scheint sich erledigt zu haben. die csu hat den panik-knopf gedrückt und blog4berlin.de gelöscht. klasse verein. mutig, ehrlich und fortschrittlich.

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Thorsten 13. September 2005 um 20:34

Das Blog ist noch existent 😉

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ix 13. September 2005 um 21:26

wieder. war offenbar nur ein paar stunden offline. bis die panik sich gelegt hat und die kommentare bereinigt waren.

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Wahlen 14. September 2005 um 23:19

Dass sich Bayern einst für eine deutsche Leitkultur einsetzte, hat sich gelohnt. Eine Frucht davon ist der „moderne Wahlkampf“.

Freistaatskultur

Als Bürger kann man nur dankbar sein, wie der Freistaat Bayern die Leitkultur ernst nimmt. Die gepred….

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Mag 15. September 2005 um 15:57

kein Kommentar mehr möglich (oder die letzten beiden Versuche nicht freigeschaltet)? Also mal eine harmlose Formulierung: die CSU ist in diesem Fall nicht Täterin, sondern Opfer (von Spam roter und grüner Blogger, die blog4berlin.de zumüllten).

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{Lichtwesens Variationen} 15. September 2005 um 21:29

Liebe CSU!

Was macht Ihr denn jetzt schon wieder? Reicht es nicht, dass Ihr in Euren Beitrag vom 12.9.05 einen SMS-Spam ankündigt?

Müsst Ihr jetzt auch noch, besonders nachdem Ihr sogar in den Medien deswegen kritisiert wurdet, noch die Kommentare z…

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Matthias 15. September 2005 um 22:04

Die Kommentare im entsprechenden CSU-Blogeintrag sind inzwischen nur noch als PDF vorhanden.

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Spendenaufruf für Söder 20. September 2005 um 10:22

Die CSU hat versagt, das ist klar. Stoiber und sein Wahlkampfleiter Söder müssen abtreten. Der Wahlkampf der CSU war mist – SMS-Aktionen und immer wieder der Singsang von Söder-Blöder im TV. So etwas schätzt doch kein Wähler der CSU!!! Sollen wir Söder nicht etwas spenden, dafür dass er der SPD so viel Stimmen geschenkt hat?

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Edi 19. September 2008 um 19:09

Die lernen es nicht. Einmal einen Fehler zu machen, ist ja ok, aber zweimalist Doofheit: Nach SPIEGEL-Informationen läuft in der CSU ein Geheimplan unter dem Codewort \“Schweden\“ an, weil folgende Offensive in Skandinavien schon getestet wurde: Zwei Tage vor der Wahl werden die Wähler mit SMS, E-Mails und persönlichen Briefen bombardiert. So sollen die Unentschlossenen für die CSU zur Wahlurne getrieben werden.
Die CSU war bereits im BTW negativ mit Spam-Plänen, damals noch unter Markus Söder, aufgefallen. Der Plan musste nach massivem Protest aus der Blogosphäre aufgegeben werden.

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