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Die Welt der Politik ist auch eine Welt der Eitelkeiten. Und wenn mal irgendwas gerade besonders angesagt ist, will jeder es haben. Ein Weblog, zum Beispiel. Zufällig ergab sich die Gelegenheit, mit FDP-Präsidiumsvorzeigefrau Silvana Koch-Mehrin über Blogs zu sprechen. Und deshalb hier das erste Exklusiv-Interview auf Indiskretion Ehrensache.

Ich habe hier ja auch schon heftig gelästert über die Qualität der "Focus"-Blogs. (Das von Silvana Koch-Mehrin findet sich hier.)Trotzdem halte ich sie – wie die meisten Weblogs von Politikern – für wichtig. Denn sie verhelfen dem Instrument, der Publikationsform Weblogs nach vorne.

Wie kam es zu der Idee ein Weblog zu starten?

Ich traf Jürgen Marks auf dem Weltwirtschaftsforum Davos, wo Weblogs auch ein Thema waren. Er war ganz inspiriert und meinte, so etwas müsste man mal mit Politikern machen. Wir hatten das schon geplant, bevor die Neuwahl-Ankündigung kam.

Wie läuft das ganze technisch? Stellen Sie selbst die Artikel ins Internet?

Wir haben alle Zugangsdaten und stellen die Texte selbst rein. Täglich etwas zu schreiben, schaffe ich nicht, es werden durchschnittlich vier Beiträge pro Woche. Von den Politikern, die bei "Focus" dabei sind, bin ich bisher die fleißigste was die Beitragsanzahl angeht, sagt jedenfalls die Redaktion.

Sie diskutieren mit den Lesern, indem Sie Fragen zusammenfassen…

Ich finde es interessant, wenn ich nicht nur ein Thema einstelle, das diskutiert wird und sich irgendwann verläuft. Besser finde ich, den Leuten, die sich beteiligen eine direkte Antwort zu geben. Manchmal muss das ausführlich recherchiert werden, das kann schon mal ein paar Tage dauern. Aber es dient einer Versachlichung der Diskussion, die Leser merken, dass das Weblog keine Einbahnstraße ist.

Bei den Kommentaren geht es manchmal heftig zu. Sehen die Menschen das Blog als Möglichkeit einem Politiker richtig einen mitzugeben?

Das ist eine Besonderheit des Mediums: Dinge werden öffentlich und man bleibt doch anonym. Es gibt eine Reihe von Lesern, die unter immer gleichen Kunstnamen etwas schreiben: Sie haben eine verdeckte Identität und wissen doch, dass ihr Beitrag von hunderten von Leuten gelesen wird. Wenn ich eine E-Mail bekomme, lese und beantworte ich die zwar, aber niemand sonst. Und auf einer öffentlichen Veranstaltung würde der Kritiker seine Identität preisgeben. Das Internet verlockt deshalb verbal aggressiver zu werden. Politiker sind dabei dann als Punching-Objekte beliebt.

Berühren Sie solche Angriffe persönlich?

Ja. Ich versuche das zwar immer mit Professionalität zu sehen. Aber natürlich hört jeder lieber sachliche Argumente oder etwas positives als falsche Vorwürfe oder Beleidigungen. Teilweise muss ich mich wegen meiner Haarfarbe oder wegen meines Doppelnamens mit blöden Kommentaren befassen.

Es gibt in Ihrem Blog extrem viele Kommentare. Schaffen Sie es überhaupt, die alle zu lesen?

Ich versuche es zumindest. Aber ich kann nicht jede Frage beantworten und auch nicht auf alle Kommentare eingehen.

Beeinflussen die Kommentare im Blog Ihr Denken? Oder werden diese durch die Härte und Polemik entwertet?

Ich gewinne daraus einige Erkenntnisse. Bei der Wähleranalyse der Europawahlen im vergangenen Jahr hat sich ergeben, dass unter Internet-Nutzern die größte Parteipräferenz bei der FDP und den Grünen lag. Außerdem handelt es sich um ein fachlich sehr interessiertes und sehr in die Tiefe gehendes Publikum. Das begegnet einem nicht immer. Andererseits muss ich auch bei beleidigenden Beiträgen versuchen einen sachlichen Stil aufrecht zu erhalten. Manchmal juckt es schon in den Fingern, mit gleicher Münze zurückzuzahlen.

Vor einiger Zeit schrieben Sie einen direkten Beitrag an Andrea Nahles. War das der Versuch ein wenig Zoff reinzubringen?

Sie meinen einen Zickenkrieg? Zumindest wollte ich ein wenig reizen. Auch "Focus" hätte gern mehr Auseinandersetzung zwischen den Autoren. Aber leider hat sie bisher nicht darauf reagiert.

Sprechen Sie mit anderen Politikern über Weblogs? Ist das ein Thema in der politischen Szene?

In der FDP schon. Herr Solms hat auch Weblog begonnen. Er kam in der Präsidiumssitzung stolz auf mich zu und sagte augenzwinkernd: "Ich hab jetzt auch eins bei AOL – und die haben noch mehr User." Ich weiß, dass es wahrgenommen wird und habe den Eindruck, dass es viele lesen. Wir haben im Europawahlkampf ja schon etwas ähnliches gemacht. Damals gab es auf unserer Homepage die tägliche SMS von mir – das war eine Art Vorstufe. Ohnehin war für die FDP schon immer die Kommunikation über Internet von Bedeutung, weil es ein schnelles und günstiges Medium ist und wir wissen, dass viele unserer Wähler es nutzen.

Lesen Sie selbst denn andere Weblogs?

Ehrlich gesagt: kaum. Meine Tätigkeit am Computer beschränkt sich derzeit darauf, meine E-Mails zu beantworten und meine eigenen Beiträge zu verfassen. Vielleicht später, derzeit ist zu viel los.

Medienwissenschaftler behaupten, das Internet spiele in diesem Wahlkampf eine so große Rolle wie nie zuvor. Sehen Sie das auch so?

In Deutschland gehört die große Mehrzahl der Wähler einer Generation an, die noch immer vorsichtig mit dem Internet umgeht. Deshalb ist die Entwicklung in diesem Bereich noch nicht so schnell, wie wir uns das wünschen würden. Das Internet ist eine Facette im Wahlkampf mehr, das Fernsehen bleibt aber das wichtigste Medium, gefolgt von den großen Boulevard-Zeitungen.

An eines allerdings hat sich auch Silvana Koch-Mehrin noch nicht gewöhnt: Wer in der Blog-Szene ernst genommen werden will, sollte versuchen, deren Regeln zu adaptieren. Die Abstimmung eines solchen Interviews ist da schon fragwürdig. Dass es eine Woche dauert dagegen ein Relikt aus einer untergehenden Kultur.


Kommentare


marcc 30. August 2005 um 13:23

Und damit zeigt sich auch der Unterschied zwischen Blogger und Journalist. Ich bekomme wahrscheinlich kein Interview, denn ich kann nur sagen, ?ich habe eine kleine Website mit einem schwer zu buchstabierenden Namen?, während Du sagen kannst ?ich bin Thomas Knüwer vom Handelsblatt?.

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marcc 30. August 2005 um 13:29

Und sowas banales wie dieses Interview will autorisiert werden? Da ist doch gar keine Aussage drin, die man gegenrechnen kann. Odermusste erst noch Hermann-Otto Solms gefragt werden, ob sie aus dem Nähkästchen hätte plaudern dürfen? 😉

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Andi 30. August 2005 um 19:03

Ich bin der Meinung, ein Journalist, der was auf sich hält, sollte Interviews, die einer Authorisierung unterliegen nicht veröffentlich, bzw. den Interviewpartner darauf hinweisen, nicht zu veröffentlichen.
Dieser Spieß der Nachverbesserung muss endlich umgedreht und beendet werden.

Ein Journalist, der sein Handwerk versteht, wird dem Politiker kein Wort im Munde herum drehen. Wenn dann unsaubere, holprige, oder gar Skandalöse Zitat im Interview auftauchen, muss sich der Interviewte eben vorher mehr Gedanken machen.

Meine Meinung, zur Diskussion freigegeben.

Grüße Andi

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tknuewer 31. August 2005 um 9:24

Na ja, ganz so einfach ist es auch nicht immer. Die Abstimmung bei Frau Koch-Mehrin habe ich mehr als lustige Episode mitgenommen. An sich ist dies bei solch einem unverfänglichen Thema absolut übertrieben.

Aber es gibt ja noch die anderen, größeren Interviews. Hier ist eine Abstimmung manchmal geboten, wenn es um hochkomplizierte Themen geht. Zum anderen aber – und das passiert weit häufiger – ist das Interview deutlich länger als der zur Verfügung stehende Platz. Dies führt dazu, dass in der Regel keine einzige Antwort vollständig gedruckt wird. Überall also muss gekürzt werden. Da ein Wortlaut-Interview aber eine sehr persönliche Sache ist, heiße ich Abstimmungswünsche zwar nicht mit offenen Armen willkommen – akzeptiere sie aber.

Ein anderes Problem ist die Welt der Medien insgesamt. Einmal ein kleiner Versprecher – und die Sache wird einem Jahre hinterhergetragen. Gerade weil sich Medien und Medienkonsumenten an solchen Kleinigkeiten delektieren, wird der Wunsch nach Abstimmung immer stärker. Und auch das ist irgendwie verständlich.

Was nicht passieren darf – aber leider sehr, sehr oft der Fall ist -, ist die Veränderung eines schönen, gesprochenen Satzes in eine wissenschaftliche Abhandlung. Wie die Abstimmung eines Interviews verlief, kann jeder einigermaßen sprachbegabte Mensch erkennen, wenn er den Antworttext laut vorliest. Klingt es holprig und gestelzt – dann wurden die Antworten so nie gegeben. Übrigens war dies im Fall von Frau Koch-Mehrin nicht der Fall.

Zum Schluss sei noch betont: Es geht hier nur um die Abstimmung wörtlicher Zitate – nicht um das Vorlegen eines Artikels oder von Artikelpassagen. Das halte ich ebenfalls für absolut unangemessen.

Antworten

Gerold Braun 31. August 2005 um 13:43

.. Es geht hier .. nicht um das Vorlegen eines Artikels oder von Artikelpassagen. Das halte ich ebenfalls für absolut unangemessen.

Wenn es so weit käme, dann würde ich mich fragen: Wieso arbeitet ein Journalist überhaupt bei einer Zeitung? Wäre er dann nicht besser bei der Kleinen PR-Agentur am R. d. S. aufgehoben?

Antworten

Rosenkranz007 29. Juni 2011 um 15:41

Gibt’s heute (Juni 2011) einen einzigen namhaften Politiker mit einem ernstzunehmenden Blog? SKM zählt(e) ja wohl nicht dazu…

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