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Freier Tag, mieses Wetter und die Ausverkaufsware gibt’s sowieso nicht in XL. Zeit für ein paar Medienbeobachtungen in der Düsseldorfer Innenstadt.

Die Schadowstraße war einmal eine ehrwürdige und anerkannte Einkaufsmeile. War. Heute ist sie Kulminationspunkt der Billigketten und Treffpunkt McD-überfütterter Teenager, die daran scheitern, ihren wabbeligen Mittelteil mit Subway-Sandwiches wieder auf ein leidlich Bauchfrei-T-Shirt-gemäßes Niveau zu bringen.

Das alte Karstadt-Gebäude zeugt von einer Zeit, da die besseren Hälften der Hinter-dem-Schreibtisch-des-Ruhrgebiets-Sitzern ihr Geld hier ebenso gern ließen, wie auf der Kö. Davor steht im leichten Nieselregen ein trauriges Paar irgendwo Mitte 40, vor sich einen Thresen, "Rheinische Post" steht drauf.

Die "RP" ist die einzige der drei Düsseldorfer Lokalzeitungen, die regelmäßig den Fluss der Einkaufenden unterbricht, indem ihre Abgesandten Produkte mit leichten Schwung vor die Brust der Passanten wemmsen, oder in überhöhtem Plauderton "Möchten Sie eine Zeitung" herausstoßen.

Gelächelt wird dabei nur selten. Auch das Paar vor Karstadt verzieht keine Miene, vielleicht würde es das Bild nur schlimmer machen. Er trägt Rudi-Völler-Gedächtnismatte, darunter eine blaue Hornbrille. Ein beiger Popeline-Blouson überdeckt den hageren Körper, die Jeans ist fünf Zentimeter über dem Boden umgeschlagen. Ihr blauer Kurzmantel wird nur vom Wind bewegt, die roten Haare wehen, als wollten sie weg von dem Gesicht mit dieser Bioladenverkäuferinnenblässe, die in mildtätigen Menschen den Reflex auslöst, sofort einen aufpäppelnden Mars-Riegel in das ungesund-weiße Gesicht zu stopfen.

Die Freiverteilung in der Fußgängerzone muss funktionieren. Sonst würde die "RP" sie nicht seit so langer Zeit und so intensiv einsetzen. Doch frage ich mich: Was halten Menschen von einem Produkt, das ihnen entgegengestreckt wird von Gestalten, die bei der Außendienstauswahl von Vorwerk mit gestreckten Staubsaugerrohr vom Hof geprügelt werden?

Ein Gewitter treibt mich in den Coffeeshop meines Vertrauens. Am Nebentisch sitzt eine typische (zumindest hab ich mir sie so immer vorgestellt) "Joy"-Käuferin: sonnenbankgebräunt, H&M-Tüte zu Füßen, die Augen ein wenig zu weit aufgerissen, um intelligent zu wirden, eine Latte als Mittagessenersatz. Hektisch blättert sie das handtaschenkompatible Frauenblatt durch, der Lektüre würdig erachtet sie aber nur die rechten Seiten. Auf denen stehen die Anzeigen.

Unsere Anzeigenabteilung erzählt immer wieder, Anzeigenkunden wollten nur die rechten Seiten buchen. Dort, so behaupten sie, würde die Werbung eher wahrgenommen als auf linken Seiten. Das ist wissenschaftlich gesehen bizarrer Unfug: Es gibt viele Studien über Werbwirkung, nach meinem Wissen wird die Rechts-geht-vor-These durch keine auch nur annähernd gestützt.

Vielleicht haben sie doch Recht? Die "Joy"-Leserin zumindest widmet sich minutenlang Nivea und Lucky Strike, Jade und Dove. Sicher, ich mag auch die Lucky-Strike-Kampagne. Aber ist sie so wunderschön, so intellektuell herausfordernd, dass sie mehr als 20 Sekunden Betrachtung wert ist?

Als der Regen sich ein wenig gelegt hat, gehe ich heim. Dem Paar vor Karstadt nehme ich noch eine "RP" ab. Es ist Freitag, das Wetter ist mies, auch diese beiden sollen heute früh nach Hause kommen.


Kommentare


Flötenfuchs 8. Juli 2005 um 17:42

Diese Betrachtungen sind ein typischer Fall von Trüffelschweinsnobismus. Ein Trüffelschweinsnob ist jemand, der sich in den Niederungen der Konsumkultur suhlt, um sein eigenes Ego aufzubauen.

Nichts für ungut! 😉

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Thomas Knüwer 8. Juli 2005 um 18:54

Ach, wenn es mein Ego wenigstens aufbauen würde…

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Flötenfuchs 8. Juli 2005 um 21:45

Dann war freitags Einkaufen in der Schadowstrasse wohl noch nicht die richtige Dosis. Als Therapie würde ich deshalb für morgen eine Saturday Night in der Bolkerstrasse vorschlagen 🙂

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