Skip to main content

Es gibt heute wichtigeres, als Medienbeobachtung zu betreiben. Doch in diesem Weblog geht es nun mal um Medien. Und deshalb seien zu den schrecklichen Anschlägen in London zwei Dinge angemerkt:
1. Selbst der WDR zieht reißerische Schlagzeilen neutralen Nachrichten vor.
2. Weblogs können das ideale Mittel sein, um über eine solche Katastrophe schnell zu berichten.

Da ich heute nicht in der Redaktion bin, verfolge ich die Terroranschläge auf London von daheim. Gerade aber, im Autoradio, hätte ich vor Ärger fast das Steuer verrissen. WDR2, früher mal die seriöseste Hörfunk-Nachrichtenquelle in NRW eröffnet seine Meldung über die Anschläge mit den Worten "Chaos und Panik in London…"

Chaos und Panik? Wer die Fernsehbilder sieht, kann diese Einschätzung nicht teilen. London bleibt ruhig, abgesehen von den unmittelbaren Anschlagsorten. Keine schreienden Menschen auf den Straßen, keine Hamsterkäufe, keine Wanderprediger die ausrufen "Das Ende ist nah." Wer realistischer über die Lage informiert werden will und in NRW lebt, dem sei der Armee-Sender BFBS auf 96,5 empfohlen.

Alles andere als – immer bezogen auf die Umstände – geordnete Verhältnisse hätten mich auch überrascht. Im Frühjahr 1999 arbeitete ich in unserem Londoner Büro, als es rechtsradikale Bombenanschläge auf Schwulen-Treffpunkte gab. Selbst an einem lauen Samstag Abend, zur besten Ausgehzeit, gelang es der Polizei, das gesamte West End in unglaublicher Schnelligkeit abzusperren, niemand regte sich auf, alle blieben gesittet.

In Deutschland könnte ich mir so etwas kaum vorstellen. Hier in Düsseldorf beispielsweise verzögerte sich vor einigen Wochen eine Bombenräumung im edlen Zooviertel, weil immer wieder Anwohner entdeckt wurden, die ihre Wohnung nicht für ein paar Stunden verlassen wollten und dies lautstark zeternd mit den Sicherheitskräften diskutierten.

Ein Freund in London schreibt mir, dass allein die Infrastruktur Sorgen macht, die Handys funktionieren nicht, und natürlich wissen die Pendler derzeit nicht, wie sie nach Hause kommen sollen. Und: "Wir haben Anweisung die Vorhänge zuzuziehen. Ich sage: "Why? It’s not the Germans coming this time…"

Und auch die BBC schreibt von relativer Gelassenheit in der Stadt, am Beispiel eines Pubs in der City:

However, the strange thing is that despite this terrible attack, there really is an air of people just trying to get on with things. As soon as the prime minister stopped talking, the pub erupted in conversation with all the usual talking points – contracts, deadlines and projects.

Schreibt? Die BBC? Ja. Genau. In einer Art Weblog, das von den Reportern vor Ort bestückt wird. Eine bemerkenswerte Lösung, um all die kleinen Beobachtungen und Informationsfitzelchen unterzubringen, die in solch einem Moment auf die Redaktion einströmen.

Nachtrag: Die Kollegen von der "FAZ" haben zusammengetragen, was es so zu sehen und zu hören gab auf deutschen TV-Sendern. Fazit: ein Armutszeugnis. Mein persönlicher Favorit:

"Und bei n-tv waren einzelne Moderatoren schon mit der Aussprache des Wortes ?police? überfordert. ?Sie haben es ,Tube‘ genannt?, staunte ein n-tv-Mann im Gespräch mit einem Reporter. ?Sie waren in so einem ,Tube‘ eingeschlossen. Wie muß man sich das vorstellen??"


Kommentare


sdf 7. Juli 2005 um 16:39

„keine Wanderprediger die ausrufen „Das Ende ist nah.““

naja… nicht mehr als nonst

Antworten

doubl 8. Juli 2005 um 2:23

Tja, da drängt sich einem das bittere Gefühl auf: Quote, Quote, Quote! Jeder muss berichten, hauptsache es geht was, nur nicht die anderen nach vorn lassen. Irgendwie empfand ich es auch schon ziemlich mies als ein sichtlich mitgenommener und geschokter U-Bahn Augenzeuge interviewt wurde (so ein Typ im Anzug, er schaute während des Interviews immer leicht nach unten) und dann noch erzählte wie geschokt und mitgenommen sei. Der Reporter den Schmutz vom Rauch an seiner Kleidung feststellte, und dann aber fröhlich weiter ihm das Mikro unter die Nase schob. (»Aber ansonsten sehen Sie ja ganz OK aus.«) Bah, ich musste instinktiv wechschalten.

Antworten

doubl 8. Juli 2005 um 2:27

Nachtrag: Mist »geschockt« natürlich mit »ck«!

Antworten

Simon 8. Juli 2005 um 3:39

„2. Weblogs können das ideale Mittel sein, um über eine solche Katastrophe schnell zu berichten.“
Ich würde hier sogar das ’schnell‘ streichen, denn ich habe die Geschichte erst gegen 18.00 mitbekommen und komme erst jetzt dazu etwas mehr zu lesen. Besser informiert als durch diesen Eintrag (inkl. BBC-Link) kann ich im Moment eigentlich nicht sein. Auf „Terrorexperten“ im Radio oder sonstwo kann ich gerne verzichten.

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*