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Eva Padberg, Regina Halmich, Carlo Tränhardt, Silvana Koch-Mehrin – bei solchen Namen erstrahlt sie gleich in einem anderen Licht, die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt.

Sinnierend blickt der Chef hinaus durch das Panoramafenster seines Büros und spürt das Gewicht der Macht auf seinen Schultern. „Es muss etwas passieren“, murmelt er zu sich selbst.

Viel zu lang schon schon treibt seine kleine PR-Agentur dahin, scheint das Team sich zu ergehen in einer Mischung aus nostalgischer Melancholie (weil sich jeder zurücksehnt nach den großen Tagen der Startup-Aufträge) und entspanntem Nine-to-five-Arbeiten. Es sind die immer gleichen Kunden mit den immer gleichen Aufträgen. Auch der Maiausflug hat nur kurzzeitig für Belebung gesorgt.

Es muss etwas neues her. Und es muss von ihm kommen. Dem Chef. Elektrisieren muss er seine Leute, sie empowern, ihnen mehr Energie einflößen als das ein paar Paletten Red Bull es können.

Aber wie? Der Chef macht sich auf eine unauffällige Runde durch das Großraumbüro, plauscht hier, plauscht da, ganz unauffällig, lässt seinen Blick schweifen. Senior Consultant Sabine stapelt säuberlich die Freianweisungen der „Bunte“ (natürlich erst am Montag, denn am Wochenende nimmt sie die mit nach Hause). Junior Consultant Tanja-Anja bevorzugt die die „Gala“, Praktikantin Julia die „Amica“. Senior Consultant Lars dagegen überhäuft seine Arbeitsfläche mit „Matador“, „Playboy“ und „Max“.

„Glamour! Wir brauchen Glamour“, ruft der Chef anschließend, natürlich so leise, dass es selbst seine bulgarische Sekretärin Polia nicht hört.

Also ruft er bei Mike an. Mike ist Chef einer Künstleragentur und schuldet dem Chef noch einige Gefallen. Denn der Chef hat zwei VIP-Karten für den Bundesligisten in der Stadt, an deren Rand die kleine PR-Agentur liegt. Auf Firmenkosten natürlich. Und Mike darf gelegentlich mal mit.

Zeit sich zu revanchieren. Denn Mikes Kunden haben den Glamour, den es in die Adern der kleinen PR-Agentur zu pumpen gilt. Tatsächlich ist der Künstleragent schnell überzeugt mit dem Hinweis, dass es ja gut aussehe mit dem Kampf um die Meisterschaft kommende Saison. Und da gebe es ja noch das kleine Paket an WM-Karten, die der Chef über einen Sponsor bekommen hat…

Mike schweigt einen Moment, dann fragt er beiläufig: „Sag mal, wie gut sind eigentlich Eure Texter?“ „Die Besten“, sagt der Chef. „Wir haben da nämlich Angebote von der ,Bunten‘ und von ,Focus‘. Ein paar unserer Klienten sollen so Weblogs schreiben, diese Internet-Tagebücher. Könntet Ihr doch übernehmen.“
Schweigend setzt der Chef zur Becker-Faust an: „Kein Problem, machen wir.“

Das Team ist schnell überzeugt, tatsächlich springt der Funke über. So lange, bis Tanja-Anja, Sabine, Julia und Lars versuchen, die zu betreuenden Promis auch zu erreichen.

„Die Halmich geht ja nie an ihr Handy. Was soll ich denn jetzt machen?“, schimpft Julia, die Box-Weltmeisterin Regina Halmich zugeteilt bekommen hat. Aber: Nicht stressen lassen! Verliebt gleitet ihr Blick hinüber zu Lars. Gerade, in der Mittagspause, waren sie beim Reisebüro. Natürlich sind sie getrennt los, darf ja niemand was merken von ihrer Liebe am Schreibtisch. „Guck doch einfach, wo sie ist und schreib was belangloses“, ruft Lars.

Ach, Lars. Er hat auf alles eine Antwort. Halmich macht ein Foto-Shooting für „Maxim“, sagt ihr Mike.
Eine prächtige Vorlage für Julia, die ins „Bunte“-Blog schreibt:
„Ich hab’s gemacht. Ich habe es tatsächlich getan: Ich habe eine Urlaubsreise zusammen mit meinem Freund Andreas gebucht! Wie oft haben wir beide schon Pläne geschmiedet, aber entweder bekam er keinen Urlaub, oder ich hatte so viele Termine und Trainingsvorbereitungen, dass es nie passte. Jetzt passt es: Wir machen Ende Juni zwei Wochen Ferien im Süden. Ich freue mich so sehr! Allerdings rief mich meine PR-Frau Kiki an und machte den fabelhaften Vorschlag, dass ich doch im Süden das Shooting für MAXIM machen könnte – das gebe bestimmt schöne Bilder!“

Lars hat sich natürlich Eva Padberg geschnappt. Oder besser ihr Weblog. Das erste Telefonat ließ ihn schmelzen. Offenherzig berichtete das Model über „Nippel-Aufkleber“. Lars errötete am Telefon…

Doch was nun? Padberg hat keine Ideen mehr. „Ich vertraue Ihnen, Lars. Schreiben Sie nur. Küsschen!“ Gut, dass er vorhin mit Julia in der Stadt war, beim Reisebüro. Sie gehört zu den Frauen, die noch nicht gehört haben, dass es keine Bürgerpflicht ist an jedem Schuhgeschäft-Schaufenster stehen zu bleiben. Doch, ehrlich: frau kann auch vorbeigehen. So könnte man zum Beispiel 200 Meter Fußgängerzone in unter zwei Stunden schaffen. Diesmal aber war der Bummel Gold wert:
„Was diesen Sommer in meinem Kleiderschrank nicht fehlen darf? Sandalen mit Keilabsatz, am besten aus Kork oder Bast. Die sind erstens superbequem und machen zweitens schlanke Knöchel und lange Beine. Allerdings darf nicht zuviel Plateausohle drunter sein. Das ist mir einfach zu wackelig und nach zweimalig angeknackstem Knöchel auch ein bisschen zu gefährlich.
Ein weiteres „Must-Have“ sind ein Paar goldene, flache Schuhe. Die sind natürlich noch viel bequemer, und Gold ist diesen Sommer extrem angesagt. So wird jedes Outfit aufgewertet und man ist trotzdem nicht zu aufgedonnert.“

Tanja-Anja hat weniger Glück gehabt. Sie muss Carlo Tränhardt übernehmen, den Ex-Hochspringer, dessen Prominenz sie sich nicht so recht erklären kann. Aber er wollte unbedingt „’nen Mädel“ als Betreuerin. Also hat der Chef Tanja-Anja abkommandiert, die Mitarbeiterin mit den knappsten Röcken. Nur für den Fall, dass es mal zum Treffen kommen sollte – man muss den Kunden ja was bieten.

Auf einen persönlichen Kontakt bestand „Nenn mich Carlo“ Tränhardt dann auch, er kam extra in die Stadt und bestellte einen Tisch in einem Sterne-Restaurant. Es war ein etwa zäher Abend, „der redet nur über Fußball“, klagte Tanja-Anja am nächsten Morgen, „außerdem sollte nicht ich ihn anrufen, er würde sich melden. Deshalb soll das im Internet auch ,Carlo ruf an'“ heißen.

Und Carlo ruft tatsächlich an. Leider sind seine Äußerungen knapp. Sehr knapp. „Bierhoff, ey, versteht ich nicht, wie der über die Bayer-Fans abzieht. Echt daneben“, sagt er zum Beispiel nach dem Eröffnungsspiel der Münchener Allianz-Arena. Tanja-Anja versucht daraus Sätze zu formen:

„Freue mich schon auf das Spiel heute Abend, Deutschland gegen Russland – bin sehr gespannt! Ich musste allerdings ein wenig schmunzeln darüber, dass Jürgen Klinsmann die Gladbacher Fans dazu aufgefordert hat, Oliver Kahn nicht auszupfeifen. Das mag ja ein nettes Ansinnen sein, aber ich frage mich dann doch, was er damit bezweckt: Wer Kahn auspfeifen will, wird das auch tun. Es ist generell ein schwieriges Unterfangen, Menschen vorzuschreiben, wie sie sich verhalten sollen.
Und da nunmal schon immer
eine große Rivalität zwischen Gladbach und Bayern bestanden hat, wird es vielleicht auch ein, zwei Pfiffe geben. Ich glaube, der Olli wird es überleben. Er ist ja kein Seelchen – und kann mit solchen Dingen nunmal besser umgehen als Jens Lehmann.
Tschüss! „

Besonders auf das „Tschüss“ ist sie stolz – das klingt so locker. So muss sie sein, die Internet-Sprache.

„Und ich hab wieder die Langeweile pur gezogen“, schimpft Sabine, dass die blonden Haare im Takt mit der Perlenkette wippen. „Du bist halt unsere Seriöse“, stichelt Lars.
Sabine soll Silvana Koch-Mehrins Gedanken niederschreiben. Die FDP-Europaabgeordnete hat Sabine schon mal alles zukommen lassen, was sie so geschrieben und gesagt hat. Es kam in drei großen Paketen.

Ausgerechnet an diesem Abend macht auch noch ihr Freund Oskar Schluss. Wegen einer anderen, einer jüngeren. „Verp… Dich doch“, schreit Sabine ihm hinterher.

Dann schreibt sie. Gegen Lafo. Denn wer Oskar heißt, in dem ist nichts gutes, kann nichts gutes sein:
„Ich verstehe die Aufregung um den Looser Lafontaine nicht.“

Immerhin, am nächsten Tag überkommt sie jenes befreiende Gefühl frisch Getrennter, sie setzt noch einen drauf:
„Unsere Gesellschaft steht vor einem gewaltigen Umbruch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, sozial. Ausgerechnet jetzt ist der Staat mehr denn je mit sich und seiner Bürokratie beschäftigt. Was wir brauchen ist mehr Freiheit. Freiheit statt staatlicher Bevormundung. Freiheit für den Bürger, Ausbildung, Partner, Job, Versicherung zu wählen. Freiheit der Gesellschaft vor linken oder konservativen Zwangsbeglückern. Freiheit der Wissenschaft zu forschen, und nicht nur an mögliche Risiken denken zu müssen. Das ist meine liberale Grundhaltung, aus der sich all meine Politik ableitet.“

Ja, sogar der Chef blogt jetzt. Im Namen von SPD’lerin Andrea Nahles. Weil er die immer schon ganz süß fand mit ihrem Temperament und den braunen Locken. „Positiv muss es klingen“, murmelt er. Er muss den Maßstab setzen für alle. Erstmal die Überschrift.

„Auf geht’s“

Mmmh… ja, das kommt gut.

Der Wahlkampf – könnte man meinen – ist vorbei. Die SPD abgeschlagen. Die Opposition hat die Sektflaschen schon knallen gelassen. Wie besoffen die Diskussionen der letzten Tage über Mehrwertsteuererhöhungen (CDU) und unfinanzierbaren Steuersenkungsversprechen (FDP).
Vorbei ist tatsächlich noch gar nichts. Wir sind alle noch in den Startlöchern. Es fängt gerade erst an…“

Für die Mitarbeiter der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt klingt das eher wie eine Drohung.

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf


Kommentare


Julius 14. Juni 2005 um 17:57

Die kleine PR-Agentur zeigt ja, dass noch Leben in ihr ist – sehr gut!
Doch verrate uns: Wer schreibt fÜr Ossi Urchs? oder schreibt der am Ende selbst?

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Lummaland – das Weblog 14. Juni 2005 um 18:06

Thomas Knüwer malt ein Szenario über High Society in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt und versucht damit das Zustandekommen der Blogs von Bunte und Focus zu erkären.

Sicherlich sehr ideenreich und lesenswert, aber man sollte dann doch im Hinte…

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Erwin 14. Juni 2005 um 19:06

Die Frage muß lauten „Wer denkt für Ossi Urchs?“. Der selbsternannte Internet-Guru, den in Spezialistenkreisen niemand kennt, und der ein ICMP-Packet nicht mal erkennen würde, wenn es ihn in den Hintern zwicken würde.

Philip Morris „Minister for Tomorrow“. Jau, das qualifiziert – nur für was?

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Hamlet Hamster 18. September 2005 um 16:56

Die Texte, die den Stars in ihren Weblogs „untergejubelt“ wurden, sind vom Duktus her viel zu einheitlich. Und daher zu unglaubwürdig. Oder besonders glaubwürdig. Vor allem, wenn man den täglichen uns umgebenden Einheitsbrei als Realität erachtet bzw. anerkennt. Das ist die erste Stufe der Kapitulation vor der Niveaulosigkeit.

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