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Springer & Jacoby contra Klaus Cäsar Zehrer – dieser Briefwechsel dürfte schon bald in jeder ersten Stunde bei Werbefachschulen verteilt werden, in Marketing-Seminaren an FH und Uni vorgelesen und im Internet immer mal wieder hervorgezerrt werden.

Manchmal möchte man als Journalist einfach mal wissen, was dahinter steckt. Und ob ein Fundstück aus dem Internet überhaupt Realität ist oder Fälschung.

Vergangene Woche stieß ich den Weblogs Werbewunderland und bei Anke Gröner auf eine Briefwechsel zwischen Springer & Jacoby und dem Berliner Autor und Uni-Dozenten Klaus Cäsar Zehrer. Dieser, muss man hinzufügen, hat auch schon mit Robert Gernhardt zusammen gearbeitet, was man als Zeichen werten kann, dass die deutschen Sprache für ihn kein Hort der Langeweile sein dürfte.

Es begab sich also, dass Springer & Jacoby Praktikanten suchte und an Zehrer schrieb, Dozent am Fachbereich Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der Universität der Künste in Berlin:

Sehr geehrter Herr Zehrer,

dies ist ein Werbetext. Wir möchten Sie als Dozenten nämlich überreden, schreibenden Talenten zu einem Praktikum bei Springer & Jacoby zu raten. Zu einem Text-Praktikum, um genau zu sein.
Ein Text-Praktikum in einer Werbeagentur ist der erste Schritt auf dem Weg zum Werbetexter. Es ist die günstige Gelegenheit, in eine faszinierende Zukunftsbranche hineinzuschnuppern. Es gibt viele schreibende Talente. Und viele von ihnen kommen gar nicht auf die Idee, dass sie statt Drehbücher zu schreiben oder Journalist zu werden, auch sehr gut in der Werbung aufgehoben wären. Ein Werbetexter beschriftet bei uns nicht die Rückseite einer Prilflasche. Er (oder sie) entwickelt Schlagzeilen für Anzeigen, Scripts für Werbefilme, Konzepte für Werbekampagnen, Slogans und Funkspots. Für Kunden wie Mercedes-Benz, Alois Müller oder Coca Cola.
Wer sich für die Karriere als Werbetexter entscheidet, wird wohl nie einen Pulitzer-Preis gewinnen. Dafür kann er sich aber mit Glück beim jährlichen Werbefilmfestival in Cannes einen goldenen Löwen abholen. Das ist doch auch was! Kennen Sie talentierte Schreiber für ein Praktikum bei Springer & Jacoby? Wir würden uns über Ihre Hilfe sehr freuen. Im Anhang finden Sie alles noch einmal in Kurzform zum Verteilen an Interessierte.

Mit den besten Grüßen & freudiger Erwartung Ihrer Antwort
XXXXXXXXXX

Die Antwort fiel weniger fröhlich aus:

Sehr geehrte Frau XXXXXXXXXX,

ich fürchte, Sie haben unrecht: Es kommen leider immer noch viel zu viele Schreiber auf die Idee, ihr Talent in der ?faszinierenden Zukunftsbranche? der Reklame zu vergeuden, anstatt einen anständigen Beruf zu ergreifen. Ich verstehe es daher als Teil meines Bildungsauftrags, meinen Studenten ein Gefühl dafür zu vermitteln, daß das Verfassen von Reklametexten zu den unwürdigsten und nichtsnutzigsten Tätigkeiten auf Erden zählt. Insbesondere die Kampagne für den Molkereihalunken Alois Müller ist ein hirnzersetzender Scheißdreck historischen Ausmaßes, für dessen Urheber es dermaleinst keine adäquate Höllenstrafe geben wird.
Ich bitte also um Ihr Verständnis dafür, daß ich mich als kostenloses Bindeglied zwischen der unabhängigen Bildungseinrichtung Universität und Ihren Profitinteressen nicht zur Verfügung stellen kann.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Klaus Cäsar Zehrer

Liest sich wie ein klassischer Internet-Witz, oder? Da denkt sich einer nen richtig bösen Text aus, mailt ihn fröhlich an alle, die er kennt – und ZACK – ist er als Bürowitz durch die Republik verteilt.

Nur: Die Geschichte stimmt.

Ich habe Herrn Zehrer angemailt, hier seine Antwort:

Es ehrt Sie, daß Sie sich als m.W. bislang einziger die Mühe machen, zur Authentizität des Briefwechsels Recherchen anzustellen, anstatt wild darüber zu spekulieren.

Also, die Wahrheit ist: Der Briefwechsel ist kein Fake, die Anfrage stammt von der Werbeagentur Springer und Jacoby, die Antwort von mir. Ich bin aber, anders als allseits angenommen, kein Professor, sondern ein freier Autor, der in diesem Semester zum ersten (und so, wie’s momentan aussieht, wohl auch zum letzten) Mal einen Lehrauftrag für ein einzelnes Seminar an der UdK bekommen hat; also kein offizieller Repräsentant, noch nicht mal ein Kenner der UdK. Ich weiß noch nicht einmal, ob es üblich oder gar von Uniseite aus erwünscht ist, wenn sich eine Werbeagentur an Dozenten wendet, um Praktikanten anzuwerben.

Meiner Meinung nach sollte eine Universität im Idealfall ein Ort freien Denkens und von den Interessen von politischen Parteien, Wirtschaftsunternehmen etc. möglichst unbeeinflußt sein. Daß die Studenten nach ihrem Studium einen Job brauchen, ist mir klar, und daß ein Praktikum während des Studiums den Berufseinstieg erleichtern kann, ist mir auch klar; dennoch bin ich der Ansicht, daß eine Gesellschaft mehr gewinnt als verliert, wenn ihre Studenten wenigstens für begrenzte Zeit unabhängige geistige Orientierung suchen dürfen, anstatt vorzeitig in den wirtschaftlichen Verwertungsprozeß eingebunden zu werden. Kurzum: Bildung ist mehr als Ausbildung, eine Uni mehr als eine Ausbildungsstätte.

Auf die Anfrage von Springer und Jacoby habe ich empfindlich reagiert, weil ich den Eindruck hatte, daß deren Vorstellung vom Sinn und Zweck einer Universität der meinigen konträr entgegen steht – als eine Art Marktplatz, an dem man Köpfe kaufen (bzw. sich umsonst besorgen) kann. Ich habe bei meiner Antwort einen polemischen Tonfall gewählt (wie Sie sehen, kann ich auch anders), weil ich als Berufsschreiber weiß, daß eine knackige Invektive mehr bewirkt kann als langes Räsonieren. Durch die heftige Kontroverse, die der Briefwechsel im Internet ausgelöst hat, sehe ich mich darin bestätigt. Offenbar besteht erheblicher Diskussionsbedarf zu diesem Thema, und da sich die Geister derart scheiden und streiten, habe ich offenbar einen wunden Punkt getroffen. Das freut mich.

Andererseits möchte ich betonen: Mein Brief war nur an die Agentur gerichtet und sollte dort ein paar Hirne kitzeln, mehr nicht. Die Öffentlichkeit war nicht intendiert, ich habe keine Ahnung, wie der Text auf die Werbewunderland-Seite gelangt ist (und, wie ich jetzt erfahren habe, noch in mindestens ein anderes Forum, in dem ebenso eifrig diskutiert wird).

Ganz nebenbei liefert die Affaire Zehrer auch einen Beitrag zur Frage: Sind Weblogger die neue Form des Journalisten? Antwort: Nicht, wenn sie nicht recherchieren, sondern einfach Texte online stellen und diskutieren. Die E-Mail Adresse von Herrn Zehrer rauszubekommen war keine Kunst – und geantwortet hat er auch sofort.


Kommentare


Heiko Hebig 24. Mai 2005 um 16:10

Wer sagt denn, Weblogger würden nicht recherchieren?

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tknuewer 24. Mai 2005 um 16:27

Das habe ich nicht gesagt. Ich meine nur: Blogger die nicht recherchieren sind keine Journalisten. Oft genug läuft die Diskussion in die Richtung, Weblogs seien eine neue Form des Journalismus. Das aber stimmt nur, wenn Blog-Autoren nicht nur schreiben und kommentieren – sondern auch nachfragen, ob eine erhaltene Information auch stimmt.

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Heiko Hebig 24. Mai 2005 um 16:35

Es soll auch Journalisten geben, die mit dem Abschreiben von PR vertrauter sind als mit Recherche.

Und wer hat denn bei dem oben zitierten Fall nicht nachgefragt?

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tknuewer 24. Mai 2005 um 16:53

Die Weblog-Autoren, die die Geschichte übernommen haben. Ebenso die Diskutierenden, die sich die Köpfe heiß geschrieben haben, ob die Geschichte echt ist oder nicht und was sich Zehrer wohl gedacht haben mag.

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Anke Gröner 24. Mai 2005 um 17:21

Ich habe nachgefragt, ob die Geschichte stimmt bzw. die Mail echt ist. Allerdings nicht bei Herrn Zehrer, sondern in der Agentur.

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tknuewer 24. Mai 2005 um 17:22

OK, damit nehme ich das gern zurück. Was haben S&J denn geantwortet? Bei mir nämlich wollten sie nichts mehr sagen.

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Anke Gröner 24. Mai 2005 um 17:26

Ich arbeite bei S&J. Daher haben sie mir wohl eher geantwortet 🙂

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tknuewer 24. Mai 2005 um 17:30

Stimmt, da sind die Wege kürzer 😉

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Heiko Hebig 24. Mai 2005 um 17:43

Die E-Mail Adresse von Frau Gröner rauszubekommen war keine Kunst – und geantwortet hätte auch Sie bestimmt sofort.

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tknuewer 24. Mai 2005 um 18:00

Richtig. Allerdings hat Frau Gröner auch ihren Lesern nicht den Zweifel genommen, dass diese Geschichte echt ist. Wir alle kennen das Internet und die Unmenge von Armer-kranker-Junge-sucht-Rückenmarkspender-Mails, die sich als Fälschungen herausstellen.

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nico wilfer 25. Mai 2005 um 0:15

„Sind Weblogger die neue Form des Journalisten? Antwort: Nicht, wenn sie nicht recherchieren, sondern einfach Texte online stellen und diskutieren.“

ich glaube man sollte das präzisieren und eher sagen: blogger, die für ihre beiträge dort wo es nötig wäre nicht recherchieren, sind schlechte journalisten.
für einen kommentar zu den bundestagswahen kann ich schlecht mal eben gerd anrufen und fragen was er sich nun eigentlich dabei denkt. trotzdem kann der entstehende kommentar journalistisch sein.

gehen wir jetzt aber mal ganz allgemein von einem fall aus in dem investigative recherche nötig wäre: häufig ist es ja so, dass blogger für ihre einträge nicht mehr recherchieren als sich ein paar internetseiten anzusehen. keine anfragen bei den beteiligten, kein gegenchecken von fakten etc., auch wenn es eigentlich nötig wäre.

misst man das mit maßstäben, die man etwa an zeitungen anlegt, muss man sagen: sehr schlechter journalismus.
die frage, ob es auch „sehr schlechtes blogging“ ist, würden wohl einige damit beantworten, dass es sich ja „nur eine private seite, die meinungen und kurz notiertes enthält“ handelt.
da glaubt man, für das erwähnen der stellungnahmen der beteiligten und das gegenchecken von fakten seien die beteiligten selbst in den kommentaren zuständig. und auch das ist mist, ob man dem ganzen nun das label „journalismus“ oder „kleine privatfehde“ anheftet.

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OliverG 25. Mai 2005 um 17:25

Blogs sind Gespräche. Und jeder Gesprächsteilnhemer kann, so er mag, recherchieren. Recherchieren übrigens ist manchmal schwer, wenn man eben nicht sagen kann, dass man Journalist ist. Als MItschreibender in gercihtsverhandlungen (weil ich darüber berichte) werde ich immer mal gefragt, für welche Zeitung ich das mache. sicher dürfte ich es auch ‚privat‘, aber Journalist ist nicht nur ein Job, er ist auch ein ‚Status‘ an den Ansprüche gestellt werden. Diese Ansprüche sichert ’normalerweise‘ die Redaktion bzw. der Chefredaktuer. Ein Blogger müsste sich selbst an den Haaren aus dem Supf ziehen, das gelingt wenigen 😉

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lanu 25. Mai 2005 um 18:17

ein blog ist ein stück software, nicht anders zu gebrauchen als ein blatt liniertes papier, das jeder beschreiben kann, egal welchem inhalt er sich wie zuwenden mag.

jede form von tamtam drumherum ist ein stück hype, mehr nicht.

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Johannes 26. Mai 2005 um 12:55

Ihr wisst ja, dass „Journalist“ keine rechtlich geschützte Bezeichnung ist.

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marcc 30. Mai 2005 um 12:07

„Recherchieren übrigens ist manchmal schwer, wenn man eben nicht sagen kann, dass man Journalist ist.“
OliverG hat recht. Ich habe beispielsweise auf meine Mail-Anfragen der Sicherheitsmaßnahmen in Mainz zu Bush-Besuch sehr wachsweiche nichtssagende Antworten bekommen. Minister Schily hatte (in einer anderen Sache nicht einmal den Maileingang bestätigt und auch sonst schweigen sich Abgeordnete eher aus wenn die Mailadresse nicht marc@reflektionsfläche.de 😉 ist.

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