Skip to main content

Es hatte Tränen gegeben. Doch sie hatte es getan. Mit erstickter Stimme hatte Julia Schluss gemacht mit ihrem Freund Guido in Berlin. Für Lars, den Senior Consultant. Aber sie muss erkennen: Den Satz „Lass uns Freunde bleiben“ nehmen manche Männer ernst. Und dann rufen sie an in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt.

Es war der erste Dämpfer gewesen, zwei Wochen nach jenem denkwürdigen Mai-Ausflug, der Julia ein klein wenig von Wolke 7 runtergeschubst hatte, sagen wir mal auf Wolke Sechsdreiviertel. Sie hatte es Guido sagen müssen, dass es aus war. Dass es jemand anders gab. Verschwiegen hatte sie lieber, dass es auch noch in seiner Wohnung passiert war.

Guido blieb ruhig. „Erstaunlich ruhig“, denkt Julia, als sie in der Kaffeeküche der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt ihren Beutel mit grünem Tee in die Tasse tunkt. „Verdächtig ruhig“, murmelt sie. Wie sollte sie auch wissen, dass Guido – Absolvent der Politologie und seit einem Jahr Assistent eines CDU-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrpott – ihr Praktikum in der Stadt, an deren Rand die kleine PR-Agentur liegt, bereits für eine Affaire mit der Assistentin einer FDP-Abgeordneten genutzt hatte? „Lass uns Freunde bleiben“, hatte er nach einer Schweigeminute gesagt. Was sollte Julia darauf antworten? Ablehnen kann man ja wohl schlecht.

Kaum wieder an ihrem Schreibtisch klingelt das Telefon und auf dem Display erscheint jene Nummer, die sie hoffte, nie wieder zu sehen. Mit 030227 beginnt sie – die Nummer von Guidos Büro. Einen Tick zu genervt meldet sie sich, „Stör ich“, fragt Guido einen Tick zu jovial. „Der will was“, ahnt Julia und weiß: Ablehnen wäre schlechter Stil, egal was jetzt kommt.

„Sag mal, kannst Du mir mal Hilfe bei einem Text geben?“ Julia verdreht die Augen nach oben, was auch Sabine am Nebentisch auffällt. Julias Lippen formen die Worte „Mein Ex“, Sabine versteht.

„Ja, klar“, versucht Julia zu flöten. „Worum geht’s denn?“

Guido erklärt: Es sei doch jetzt Wahlkampf in NRW und jede Stimme zähle. Denn irgendwie sei die Situation wie bei einem Pferderennen. Jockey Steinbrück ziehe sein Pferd SPD mit aller Macht hinter sich her, während der Rappe CDU seinen Reiter Rüttgers hinter sich herschleife. „Und deshalb versuchen wir alles, aber auch wirklich alles, um die Menschen für uns zu gewinnen“, sagt Guido.

Ihm seien die Einträge im kostenlosen Online-Lexikon Wikipedia aufgefallen. „Die Sozen sind ja technisch weiter als wir, die schalten sogar schon Internet-Werbung„, erklärt er. Die Web-User seien doch eher Pro-SPD, und vielleicht könne man das ja ändern. Schließlich könne jeder bei Wikipedia mitschreiben. Sie solle sich doch die Einträge mal anschauen.

Tut Julia. Und macht Vorschläge: „Du könntest zum Beispiel bei Steinbrück aus den ehrenamtlichen Nebentätigkeiten einfach Nebentätigkeiten machen. Dann glauben alle, Steinbrück würde dafür bezahlt.“ Guido jubelt: „GENIAL!“

Julia spürt: Ja, das ist der Grund, warum sie PR machen will. Es ist die kleine Veränderung, die große Wirkung hat. Eine Wortänderung im Internet, die den Machtwechsel in NRW bewirken wird. Es durchströmt sie die wohlige Wärme der Macht. „Diese Stelle da mit dem Zitat bei Rüttgers – kann man die streichen? Kommt irgendwie nicht gut“ Guido setzt zum Löschen an; die Passage „Ich bin Katholik und glaube, dass unser christliches Menschenbild das richtige ist und nicht vergleichbar mit den anderen Menschenbildern, die es anderswo auf der Welt gibt“ verschwindet.

„Suuuuuper“, ruft Guido aus, „Du hast mir wahnsinnig geholfen! Schönen Tag noch!“

Julia sitzt da, den Hörer noch am Ohr. Wie kann er es wagen? Einfach so aufzulegen? Unverschämt! Zumindest ein kleiner Blumenstrauß per Fleurop wäre doch wohl drin.

Zwei Tage später erzählt Lars eine lustige Geschichte, die er im Internet gefunden hat. Da hat ein Mitarbeiter des Bundestages anscheinend die Einträge über Jürgen Rüttgers und Peer Steinbrück in Wikipedia verändert – zu Gunsten des CDU’lers.  „Und der Idiot hat nicht daran gedacht, dass seine IP-Adresse gespeichert wird. Jetzt läuft die Geschichte genau am Wochenende vor der Wahl durch’s Internet“.

Julia wird blass. „Äh, Lars, was ist denn eine IP-Adresse?“

Weitere Erlebnisse der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt gibt es hier und hier.

Nachtrag vom 20.5.05: CDU-MdB Ole Schröder, den einige bei Wikipedia schon verdächtigten, der Urheber der Änderungen zu sein, hat auf Nachfrage des Handelsblatts dies bestritten und eine enstprechende Pressemitteilung veröffentlicht. Der Text:

Dr. Ole Schröder: ?Ich habe keine Einträge in Wikipedia vorgenommen.?

Anlässlich der Diskussion um die Änderungen der Einträge von Jürgen Rüttgers und Ministerpräsident Peer Steinbrück in dem Onlinelexikon Wikipedia, über die auch der Spiegel Online berichtete, erklärt der Bundestagsabgeordnete Dr. Ole Schröder, dass er weder diese Änderungen noch irgendeinen anderen Eintrag in Wikipedia vorgenommen hat.

Der Deutsche Bundestag verfügt über einen zentralen Computer (Proxy-Server) der für über 6000 Rechner aller Bundestagsabgeordneten und deren Mitarbeiter sowie der Verwaltungsangestellten die Anfragen an das Internet unter denselben IP-Adressen verarbeitet. Die Verbindung zu Ole Schröder wurde durch ein uninformiertes Mitglied des Forums von Wikipedia hergestellt, der unter der gemeinsam genutzten IP-Adresse auch einen Eintrag von Ole Schröder in dem Gästebuch der CDU Bokholt-Hanredder gefunden hat.

?Ich missbillige die Änderungen der Einträge von Herrn Rüttgers und Herrn Ministerpräsident Steinbrück. Diese Maßnahmen, von wem auch immer durchgeführt, können beiden Kandidaten um das Amt des Ministerpräsidenten in NRW nur schaden?, so Ole Schröder. ?Bei aller Aufregung sollten sich aber auch die Nutzer des Forums des Onlinelexikons Wikipedia mit voreiligen Verurteilungen einzelner Personen zurück halten und nach dem Motto ?erst informieren, dann posten? verfahren.

Nachtrag vom 25.5.für den Merkzettel der SPD-Marketingabteilung: Online-Werbung lässt sich termingerecht schalten. So lässt sich vermeiden, dass Wahlwerbung noch nach der verlorenen Wahl läuft.


Kommentare


NRWSPD Blog 20. Mai 2005 um 12:39

Beim Handelsblatt hat man auch das Thema Wikipedia-Eintrag von Rüttgers und Steinbrück entdeckt. Und macht daraus, was es ist: Eine Farce. Ein Auszug: „Sag mal, kannst Du mir mal Hilfe bei einem Text geben?“ Julia verdreht die Augen nach oben,…

Antworten

Medien 21. Mai 2005 um 20:14

Im NRW-Rennen um Wahlkampfstimmen und Informationen über Kandidaten haben sich bei „Wikipedia“ Manipulationen eingeschlichen.

Wie über „Rebellenmarkt“ zu erfahren ist, ist bei „Wikipedia“ ein Manipulationsanschlag verübt worden. Sowohl bei den E…

Antworten

Medien 21. Mai 2005 um 20:15

Zurzeit gibt sich das deutschsprachige „Wikipedia“ kindisch. Bis zur letzten Minute „feilen“ Kontrahenten am Image der NRW-Spitzenkandidaten.

Dass die NRW-Wahlen die Gemüter erhitzen, versteht sich von selbst. Das gehört zum Geschehen bei demokrati…

Antworten

Markus Leuthel 22. Mai 2005 um 15:14

Es ist wirklich unglaublich, in welch infantile Gefilde politischer Aktionismus nebst allgemeinem Mangel an Reflexionsvermögen führen können.
Aber das paßt durchaus zum alltäglichen Geschwätz über eine angebliche „Informationsgesellschaft“, die gerade dadurch jeweils immer genau das zu sein scheint, was die den Begriff und seine Mittel instrumentalisierenden Personen tatsächlich intendieren.
So gesehen ist auch mit einem bereits eindeutig manipulierten, „interaktiven“ Onlinelexikon nicht viel verloren, es ist genau so gut – oder so schlecht – wie die Leute, denen es dienen „soll“.
Zum angemessenen Umgang mit Daten in einer selbstbewußten Datengesellschaft ist eine derartig willfährige „Umnutzung“ allerdings weniger als nicht dienlich.

Antworten

public void blog() 23. Mai 2005 um 11:40

Thomas Knüver vom Handelsblatt bloggt. Das ist an sich noch keine all- und erderschütternde Nachricht, aber der gute Herr Knüver scheint mit gewisser Regelmäßigkeit aus der Welt der PR-Agenturen zu berichten, mit geradezu diabolischer Freude, all die …

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*