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„So kann es nicht weitergehen“, murmelt der Chef der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. „Wir brauchen einen Motivationsschub. Was gemeinsames, das alle mitreißt.“ Nur kosten darf es nichts, denn es geht ihr nicht gut, der kleinen PR-Agentur. In diesem Moment, just als die Sonne das erste Mal den grauen April-Himmel aufreißt, erklingen von unten Trillerpfeifen, zieht eine Gruppe Lehrer vorbei, die gegen weitere Kürzungen im öffentlichen Dienst anschreit. „Eine Demo“ ruft der Chef und es scheint ihm, als würde im Hintergrund ein Orchester dramatisch aufspielen.

Mit all seiner Macht- und Körperfülle stürmt der Chef in das Großraumbüro der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. „SABINE! LARS! Hier rüber!“ Folgsam springen die beiden Senior Consultants herbei.

„Wir haben doch noch was frei im Lastminute.com-Etat, oder?“
„Ja Chef!“
„Das nutzen wir für was ganz GROßES! Agenturvollversammlung. Im Konfi! In zehn Minuten!“

Die Agenturvollversammlung findet gewöhnlich einmal in der Woche statt und ist gekennzeichnet durch ermüdende Reden des Chefs, ermüdendes Stehen für die Hälfte der Mitarbeiter (Stühle werden erst wieder gekauft, wenn das Etatvolumen steigt) und ermüdend schlechte Luft. Sie sind also keine beliebte Veranstaltung.

„Wer hat am 1. Mai schon was vor?“, fragt der Chef. Erschrecktes Umschauen, jeder weiß, dass es nun gilt, die Hand nicht zu heben. Nur Julia, die Praktikantin ahnt das nicht. Sie ist halt jung. Und naiv. „Jetzt nicht mehr, Julia“, sagt der Chef, „Denn wir machen einen Betriebsausflug.“ Schweigen im Raum. „Und zwar im Auftrag von Lastminute.com“ Könnte Schweigen noch schweigsamer sein, es wäre jetzt sehr schweigsam.

Und dann erklärt der Chef seinen Geistesblitz. Es ginge nach Berlin, am 1. Mai. Weil ganz Deutschland ja so politikverdrossen sei und so lethargisch, wolle er was machen. Es würde eine Demo geben, Motto: „Deutschland wach auf!“ Dieses Thema würde dann variiert durch Slogans wie „Ab 19 Euro in einem der günstigen Hotels von lastminute.com“.

Schweigen.

„Ist das nicht ein wenig… geschmacklos?“, fragt Sabine zögernd. „Von wegen Demokratie und so?“
„Papperlapapp“, ruft der Chef. An der Elit-Uni Yale malen Studenten das Logo von Louis Vuitton aufs Pflaster und labern irgendwas von ,raising awareness‘. Wenn die Nachwuchs-Elite in Amerika keinen Bock mehr hat auf übertriebene political correctness, dann liegen wir doch voll im Trend!“

Sabine unterdrückt den Hinweis auf bestimmte Tierarten. Lemminge und so.

Unglücklicherweise wird sich in den folgenden Stunden herausstellen, dass der Rest des Kundenetats zwar in der Tat nennenswert ist, aber leider nicht für eine Anreise per Flugzeug reicht. Auch eine Übernachtung im 2-Sterne-Hotel sorgt nur für limitierte Begeisterung.

Da sich kein Dienstleister findet, der Demo-Plakate herstellen kann, sprühen Julia und Junior Consultant Tanja-Anja noch bis spät in die Nacht pinkfarbene Slogans auf weiße Bettlaken. Auch Plakate müssen sie selbst anfertigen, „die sollen wild und alternativ aussehen“, lautet die Vorgabe. Am nächsten Morgen hängt noch so viel Sprühfarben-Aroma in der Luft, dass Sabine beim Betreten der kleinen PR-Agentur unmittelbar ohnmächtigt.

Eine Woche später geht es per Kleinbus nach Berlin. Am Reichsbundestag treffen sich die übernächtigten Mitarbeiter der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt mit dem Chef. Sein Flug war noch im Budget.

„Hier, damit ihr richtig munter werden“, ruft er ausgeschlafen und zeigt auf eine Pallette Red Bull. „Mist, er hat was spitz gekriegt„, flüstert Sabine. „Was dachtest Du denn“, gibt Tanja-Anja zurück, „schließlich hat Lars im Red-Bull-Rausch mit den Golfschlägern vom Chef im Konfi abschlagen geübt. Und so eine fliegende Dose hinterlässt halt üble Macken an der Wand.“

Schließlich treffen auch 50 Mit-Studenten von Julia ein, die ja eigentlich seit 17 Semestern Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin studiert. Denn nur die Mitarbeiter der kleinen PR-Agentur allein hätten keine eindrucksvolle Demo abgegeben. 20 der Studis marschieren für 50 Euro pro Kopf also mit, die anderen fahren strategisch günstige Punkt des Zugweges an, um dort als Claqueure den Jubel des entlethargisierten Volkes zu symbolisieren.

Gegen Mittag ist der Zug langsamer geworden, doch noch trillerpfeift sich die kleine PR-Agentur tapfer durch das Regierungsviertel. Lars und Julia dürfen schon mal gehen, die Meldung über den Erfolg der Demo soll schließlich noch heute raus. Also gehen die beiden zu Julias Freund, der hat DSL-Anschluss.

Um 13.20 läuft über OTS der neueste Coup der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:
„Dass eine Demonstration ohne Krawall und Backsteine auskommen und trotzdem wachrütteln kann, hat lastminute.com gestern bewiesen: Eine große, fröhliche Gruppe von Demonstranten zog mit Trommeln, Schildern, Trillerpfeifen und Megaphonen durch Berlin mit dem Motto „Deutschland, wach auf!“. Denn Europas unabhängige Reise- und Freizeit-Website Nummer 1 hat genug davon, dass alle sagen, dass Deutschland vor sich hinschnarcht – und will das Land auf originelle Weise aus seinem Dornröschenschlaf wachküssen.
Was auf Passanten wie auch auf die Berliner Polizei zunächst wie eine politische Aktion wirkte und für große Aufmerksamkeit sorgte, entpuppte sich auf den zweiten Blick als charmante, augenzwinkernde Werbemaßnahme: „Deutschland, wach auf! Ab 19 Euro in einem der günstigen Hotels von lastminute.com“. Die Reaktionen darauf waren durchweg positiv: die Passanten jubelten, schmunzelten, klatschten Beifall und hatten Spaß an dieser außergewöhnlichen Demo. Unterstützt wurde diese von Wildplakatierung sowie riesigen Bannern an Fasasaden
in Berlin.“

Julia holt aus dem Kühlschrank einen Prosecco, den sie eigentlich in einer romantischen Stunde mit ihrem Freund trinken wollte, Zeit auf den 1. Mai anzustoßen.

Zu dieser Zeit sind die Schritte der anderen langsam geworden, nur noch gelegentlich fangen sich die „Deutschland, wach auf!“ Rufe in den Straßenschluchte von Mitte. „Ich hab Blasen“, zickt Tanja-Anja nach lächerlichen 7 Kilometern. „Kein Einsatz für die Demokratie“, kommt es böse vom Chef. „Aber keine Sorge. Jetzt nehmen wie die Bahn nach Kreuzberg, demonstrieren noch ein wenig, da soll es ein Maifest geben. Und anschließend gehen wir gemütlich was essen.“

Unglücklicherweise wird die augenzwinkernde und aufrüttelnde Aktion der kleinen PR-Agentur von einigen Kreuzbergern nicht ganz so humorvoll aufgenommen. Der Chef wird in zwei Wochen wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Wer die Flasche auf ihn geworfen hat, konnte nicht ermittelt werden.

(Gefunden beim Werbeblogger)


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