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Wenn an einer Baustelle das Schild hängt "Betreten verboten" ist das für die meisten Kinder eine Einladung. Der Mensch tut halt gern verbotenes, erscheint das daraus entstehende Risiko gering. Und deshalb ist vollkommen klar: Ein Geschäftsbericht, auf dem groß steht: "Einer der langweiligsten Geschäftsberichte des Jahres" – wird auf jeden Fall aufgeblättert.

Während meiner Zeit auf der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten machten wir eine Reihe interessanter Reisen. Die spannendste ging 1997 nach Wien und einer der bemerkenswertesten Termine war ein Interview mit Erhard Schachl.

Kennen Sie nicht? Dabei wäre er heute ein so schöner Gast bei Talkshows zur Münte-und-die-Heuschrecken-Diskussion. Schaschl, versehen mit dem Titel "Österreichs Manager des Jahres", war Chef des Baustoffkonzerns Wienerberger, einem global erfolgreichen Unternehmen – allerdings hatte sich der Erfolg erst eingestellt, nachdem er das Ruder übernommen hatte.

Schaschl war damals braun gebrannt vom Extrem-Urlaub ub Alaska zurück und wir wurde extra darauf hingewiesen, dass er sich erst ein frisches Hemd überziehen musste, nachdem er wie jeden Morgen die Treppen hinauf in die Chefetage der Wienerberger-Zentrale genommen hat. Es sei angemerkt, dass diese Zentrale "Wienerberger-Turm" heißt, eine imposante Höhe aufweist und der Chef sein Büro in der 19. Etage hat.

Schaschl redete (für Unkundige der Feinheiten österreichischer Dialektvarianz) wie Arnold Schwarzenegger: Austria-Slang gepaart mit US-Management-Begriffen. Und er warf uns Sätze um die Ohren, die für jeden Gewerkschafter sein müssen, wie ein Stück rohes Fleisch für einen Pitbull: "Das Blut ist unter der Tür durchgelaufen, als ich bei Wienerberger anfing", zum Beispiel. Oder: "Das ging so schnell, dass unsere Aktionäre sagten: Um Himmels willen, lass wenigstens die Farbe des Toilettenpapieres gleich."

Ein Unternehmen, das so geprägt ist, macht vieles anders. Zum Beispiel seinen Geschäftsbericht. Der war schon zu jener Zeit mehrfach preisgekrönt.

Heute nun erhielt ich die neueste Ausgabe. Nun sind Geschäftsberichte in der Regel unglaublich langweilig. Sie sind ein Nachschlagewerk für Zahlen, wenn man sie nicht im PC suchen mag. Ansonsten enthalten sie nichts sagende Hochglanzfotos und Statements, die man bestenfalls dem Vorstand um die Ohren hauen kann, wenn die Zukunft nicht so rosig ausfällt, wie vorhergesagt.

Doch bei Wienerberger ist halt manches anders. Zum Beispiel die Titelseite des Geschäftsberichts:

Ja, da ist es wieder, das Kind vor der Baustelle. Was normalerweise per interner Post an die Archiv-Kollegen ginge, wird doch mal aufgemacht.

Und da gibt es lauter schlafende Menschen, die deshalb ruhig nächtigen, weil es Wienerberger gut geht. Ja, ja, es gibt sie noch, die einfach guten Ideen, die den Redaktionsalltag einfach mal ein paar Minuten aufhellen.


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