„Da kommt Lars, was hat der denn da?“, fragt Tanja-Anja laut ins Großraumbüro der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Alle versammeln sich vor dem Fenster und beobachten, wie Junior Consultant Lars eine schwere Fracht aus seinem Clio hievt.
Ein paar Minuten später landen drei Papp-Paletten krachend auf Lars‘ Tisch. „Hier – hab ich eingetauscht“, sagt er stolz. Lars kommt gerade zurück von der „Content Management World 2005“, der Hausmesse des Kunden aus der Softwarebranche. Dort hatte man in der vollen Nutzung der agenturinternen Synergieeffekte gleich noch einen Stand für den Sicherheitsspezialisten gebucht, den die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt ebenfalls vertritt.
Für den selbst erklärten Security-Weltmarktführer gabs Sonderkonditionen und „Content Management World“-Projektleiter Andreas war froh für jeden, der einen wackeligen Tapeziertisch aufbaute, damit die ganze Sache nicht zum Totalflopp wurde.
Denn ansonsten wollte nur noch ein Fachbuchverlag ausstellen – und der Anbieter eines hippen Internet-Networking-Tools. „Und die fanden unsere Kulis total klasse, die mit dem Neon-Effekt“, erzählt Lars aufgeregt. „Da haben wir getauscht: Die 1200 Kulis, die wir noch über hatten, gegen drei Paletten Red Bull von denen.“
Nun muss man wissen, dass Red Bull neben Kaffee das Stammgetränk der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt ist. Tanja-Anja zum Beispiel lässt jeden Morgen bei der Lektüre der E-Mails eine Dose ploppen. Und Mittwochs, bei der letzten After-Work-Party, die der Stadt noch geblieben ist, gibt es nur Prosecco-Red Bull. Oder Wodka Red Bull, wenn wieder mal ein Kunde Insolvenz angemeldet hat.
„Bullen für alle“, ruft Lars. Der Chef ist auf Außentermin, eine kleine Nikotin- und Koffeeinparty sorgt für schlagartige Hebung des Betriebsklimas.
Kurz vor der Mittagspause, also rund drei Dosen pro Person später, steigt auch der Wille zur Produktivität in ungeahnte Höhen. Senior Consultant Sabine greift zu ihren Notizen über den Kunden Tibco. „Ja! Endlich mal eine Erfolgsmeldung“, kreischt sie. Härter als sonst hackt sie in die Tastatur: „Marktanteil von TIBCO„, selbstverständlich muss das in Großbuchstaben geschrieben werden, „steigt um 24,7 Prozent“ – das liest der Journalist gern, gute Nachrichten aus der Ex-New-Economy! Sicher gibts bei denen bald auch neue Arbeitsplätze!
Erster Satz: „TIBCO Software Inc., ein führendes Unternehmen zur Umsetzung von Real-Time Business und der weltweit größte unabhängige Anbieter von Business Integration Software, gibt bekannt, dass die Marktforscher von Gartner Dataquest Inc. TIBCO für das Jahr 2004 ein Wachstum von 24,7 Prozent im Verlgeich zum Vorjahr bei Einnahmen aus neuen Lizenzen bescheinigen.“ Sabine kichert: „Haben die eigentlich keinen Buchhalter, der ihnen das sagen kann?“ Zwar beruht das ganze auf einem Gartner Report, den sie nicht gelesen hat – aber seit wann werden Korinthen gekackt in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt?. Schnell noch ein flottes Zitat des Kunden erfunden: „Das Geschäft bewegt sich in atemberaubenden Tempo und ist in ständigem Wandel“ – ja kann das falsch sein? Raus damit.
Darauf einen Red Bull.
Gegen Ende der Dose sind die Briefe fertig, wozu hat man Praktikantin Julia? Aber war da nicht dieses nette Zitat vom Senior Vice President Worldwide Marketing? „TIBCO schnappt sich Marktanteile – dies bestätig unsere Vision vom Predictive Business.“ Predictive Business? Da lässt sich doch noch mehr draus machen. Sabine läuft warm, sie spürt das PR-Prickeln, jenes Gefühl, wenn echte Knüller aus ihren Fingern fließen. Neue Überschrift: „TIBCO erweitert mit TIBCO BUSINESSEVENTS seine Fähigkeiten für PREDICTIVE BUSINESS„.
Sabine weiß, wie den Redaktionen die Augen übergehen werden, wenn TIBCO seine Fähigkeiten für diesen Bereich erweitert. Erster Satz: „TIBCO Software, ein führendes Unternehmen zur Umsetzung von Real-Time Business und der weltweit größte unabhängige Anbieter von Business Integration Software, bringt mit TIBCO BusinessEvents eine überzeugende neue Software auf den Markt.“
Darauf noch ne Dose, „Julia! Eintüten!“
Inzwischen zittert Sabines rechtes Knie relativ unkontrolliert unter dem Designertisch. „Blöde Zigaretten“, murmelt sie. Als Lars gerade versucht, die anderen für den gemeinsamen Besuch des heimischen Zweitligisten zu begeistern, summt Sabine leise „Eine geht noch, eine geht noch raus“ und tippt die nächste Headline, die Shift-Taste wird gleich mal arretiert, irgendwie scheint das Keyboard heute so widerspenstig: „ANALYSTEN BESTÄTIGEN TIBCO FÜHRENDE MARKTSTELLUNG“ Und danach: „Magischer Quadrant für den Bereich Integration Backbone bestätigt TIBCO Visions- und Umsatzstärke„.
„Mmmh…“, überlegt Sabine während ein merkwürdiger Juckreiz ihren linken Oberarm erreicht. „Vielleicht weiß nicht jeder, was dieser magische Quadrant ist.“ Also, erster Satz: „TIBCO Software, ein führendes Unternehmen zur Umsetzung von Real-Time Business und der weltweit größte unabhängige Anbieter von Business Integration Software, wurde in Gartner’s Integration Backbone Magic Quadrant von April 2005 im ,Leaders‘-Quadranten positioniert.“ Und weiter: „Als Basis für die Einstufung als führendes Unternehmen dienen Gartner die aktuelle Leistung des Unternehmens sowie eine klare Vision davon, wohin der Markt in Zukunft geht“ Sabine singt jetzt laut: „Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause, geht er nicht.“ Dann brüllt sie: „JULIA! TÜTE! ZACKZACK!“
Zwar verschwimmt der Bildschirm langsam vor ihren Augen, aber trotzdem. Es muss doch noch ne vierte Nachricht geben? Freut auch den Chef, wenn der morgen wieder da ist. Drei Pressemitteilungen an einem Tag für einen Kunden, jede an 200 Kontakte – macht 600 Briefe. „Agenturrekord“, jubelt Sabine, bevor sie ohnmächtig auf dem Teppich aufschlägt.
Am nächsten Tag treffen drei Briefe von TIBCO beim Handelsblatt ein. Ein Redakteur sitzt einen Moment lang da, zweifelt an seinen Fähigkeiten und murmelt: „… seine Fähigkeiten FÜR etwas erweitern?“
Kommentare
che2001 30. April 2005 um 16:21
Ja, so geht das. Es gab mal eine Zeit, da waren gewisse Aktienkurse von der Tagesform abhängig, in der ich die Ad hocs getippt habe. War aber eh nur New Economy, und Asche zu Asche….
Dabei hast Du noch eine seriösere Agentur beschrieben. Anderswo nehmen die Anjatanjas kein Red Bull, sondern pudern sich gleich das niedliche Näslein von innen.
public void blog() 23. Mai 2005 um 11:40
Thomas Knüver vom Handelsblatt bloggt. Das ist an sich noch keine all- und erderschütternde Nachricht, aber der gute Herr Knüver scheint mit gewisser Regelmäßigkeit aus der Welt der PR-Agenturen zu berichten, mit geradezu diabolischer Freude, all die …