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Wozu Redakteure? Die „Rheinische Post“ lässt einfach ihre Leser schreiben.

Vorgestern bin ich geflogen. Nein, nicht raus, sondern nach Berlin. Immer wenn ich fliege, lese ich Blätter, die ich normalerweise nicht lesen würde oder zumindest nicht so intensiv. Ich kann auch Leute nicht verstehen, die bei einem einstündigen Flug keine Zeitung (kost doch nix) in die Hand nehmen, irgendwann gelangweilt zum Bordmagazin greifen und nur darauf warten, dass die Reise überstanden ist. In unseren hektischen Zeiten bin ich froh, eine Zeitung oder ein Magazin nicht nur zu scannen, sondern lesen zu können.

Und so las ich auch die „Rheinisch Post“. Auf die treffe ich für gewöhnlich nur im Coffee-Shop meines Vertrauens. Dort lese ich Lokalteil und Lokalsport, denn nichts anderes interessiert mich an einer Lokalzeitung. Überregionale Anwandlungen örtlicher Blätter finde ich in der Regel eher misslungen. In meiner Heimat gab es zwei exzellente Lokalzeitungen, die sich größtenteils als solche verstanden: die „Westfälischen Nachrichten“ und die „Münstersche Zeitung“. Deren Lokalsportteile erreichen Ausmaße, die ich noch immer nirgends erreicht gefunden habe.

Doch zurück zur „Rheinischen Post“. Dort gibt es jetzt eine Beilage im Zeitschriften-Format namens „Opinio“. Als ich vor einigen Monaten davon gehört hatte, hielt ich es zunächst für eine gute Idee: eine Art Leserbrief-Beilage, das klingt doch nett.

Doch so ist das nicht gedacht. Vielmehr ist „Opinio“ eine Renaissance der Schülerzeitung: Auch da dürfen die Kleinen Journalismus spielen, mal gelingt es, mal nicht.

„Opinio“ handelt von allem möglichen, May Baum (Mal ehrlich: ist der Name echt? Oder hat sich die Redaktion einen Maibaum aufbinden lassen?) philosophiert über Snacks in der Mittagspause, Familie Schürmann macht Werbung für die LTU-Arena (Zitat: „Die Arena ist ganz toll geworden. Es gibt wohl keine bessere Halle als unsere.“), Eric Gartner (auch ein schöner Name) bespricht „The Aviator“ in eher bodenständiger Manier („…nervt schon in den ersten Minuten.“) und das Ehepaar Angelika und Heinz Albers (Urteil: „… aus Essen-Kettwig fühlen sich überall zuhause“) darf eine Ode an Kuba schreiben („Kuba, du Insel des Lichts. Wir werden dich vermissen.“).

Entnommen sind die meisten Werke dem Meinungsportal Opinio. Eigentlich also ist „Opinio“ gedruckt eine Art Weblog auf Papier. Uneigentlich aber alles andere: Ein Weblog zieht seine Faszination maßgeblich aus der Persönlichkeit des Autors. Selbst, wenn man ein neus Blog besucht, kann man sich relativ schnell ein Bild davon machen, wie der Autor einzuschätzen ist. Bei „Opinio“ ist das nicht der Fall. Ich weiß nicht, ob May Baum Ernährungsexpertin ist oder eifrige Konsumentin der Essen-Seite vom „Blechernen Blatt“, Familie Schürmann schon in vielen anderen Stadien war, Eric Gartner am liebsten blutige Gemetzel auf DVD präferiert und die Albers ständig um die Welt reisen.

Natürlich weiß ich das auch nicht, wenn es ein Redakteur schreibt. Der aber bringt den Vertrauensvorschuss einer journalistischen Tätigkeit mit. Und somit ist „Opinio“ aus Sicht unbeteiligter Leser eine Belästigung der man sich per Wurf in die braune Rundablage entledigt – wenn man nicht gerade Zeit hat, dieses Kuriositätenkabinett im Flugzeug zu genießen.

Dem Marketing der „Rheinischen Post“ dagegen könnte es helfen: Welcher Leser sieht sich in unserer selbstdarstelltungsverliebten Welt nicht gern gedruckt? RPSDSSS: „Rheinische Post“ sucht den Schreib-Superstar. Wir freuen uns schon auf den jährlichen Preis für den besten Beitrag, der belohnt wird mit einer wöchentlichen Kolumne, für die es kein Honorar gibt, aber eine zehnten Redakteursstelle eingespart werden kann.


Kommentare


Arthur Dent 19. Februar 2005 um 20:55

Schülerzeitung ist ein Alarmwort, zu dem Journalisten gerne greifen, wenn sie sich bedroht fühlen. Den Grund verraten Sie ja selbst im letzten Satz: Die Zeitungen sparen und sparen, was das Zeug hält. Und wenn die klassische Umsonstschreiberreserve knapp wird (Praktikanten), dann müssen halt die Leser selbst ran. Die sind sogar noch dankbar!

Ist doch prima, oder?

Nein, Sie haben Recht. Das ist überhaupt nicht gut, die Lokalzeitungskrise ist ja da. Die taz stelle regelmäßig sogenannte „Einzeitungskreise“ vor – Städte und Landkreise, in denen Leser sich nur noch aus einer Zeitungsquelle über Lokales informieren können, wo mediale Einöde herrscht statt Meinungsvielfalt. Auch die Rheinische Post ist bei dem Spiel mit dabei, allerdings auf der Gewinnerseite.

Auf Experimente mit Leserbeteiligung nur mit dem alten journalischen Reflex „Schülerzeitung“ zu reagieren, wäre jedoch ein Fehler. Dahinter steckt viel, viel mehr. Es ist der mediale Rückkanal, den erst die Onlinemedien geöffnet haben. Ohne die bequeme Texterfassung per Webformular könnte sich die RP den Aufwand für ihre Leserbriefbeilage gar nicht leisten. Aber die Inhalte gehören nicht unbedingt gleich auf Papier gedruckt. Ihr angestammter Ort ist das Web.

Bei Opinio (Webausgabe) können Sie Persönliches über Themen erfahren, auf die ein Journalist (fast) nie kommen würde. Lesen Sie mal in der Rubrik Körper&Gesundheit die Erlebnisse eines 67-jährigen Mönchengladbachers beim Dauerbrausen: „Das fließende Wasser gibt ihnen Flügel. Es denkt in mir und ich lasse denken.“

Schülerzeitung war gestern, morgen ist Rentnerzeitung!

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Ringfahndung Blog 21. Februar 2005 um 10:37

Spätestens seid Johnny Häusslers Jamba-Sause werden Weblogs in der Ã?ffentlichkeit vermehrt wahrgenommen. Dieser Tage gerät eine weitere Form in den Fokus der etablierten Medien, wie bspw. der Berliner Zeitung von heute, Opinio, das Leserblog von rp-on…

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CJD-Update 12. Juni 2005 um 19:06

Ein Weblog (Logbuch), kurz â??Blogâ??, ist eine Art virtuelles Tagebuch, wenn es eine einzelne Person betreibt. Das Blog einer Firma oder Organisation ist mit einem Online-Magazin oder einer Online-Zeitung vergleichbar.
Im Gegensatz zur herkömmli…

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Philipp Sümmermann (Junge Presse) 4. Mai 2007 um 10:52

Natürlich ist es bedauerlich, wenn Qualitätsjournalismus abhanden kommt. Das Sie dazu aber den Vergleich mit Schülerzeitungen heranziehen, finde ich schade. Ich lese regelmäßig etliche Schülerpublikationen und muss ehrlich sagen, ein Großteil ist lesenswerter als manche \“normale\“ Zeitung. Natürlich ist die Artikelqualität gemischt, man merkt Unterschiede zwischen Fünftklässlern und Oberstufenschülern, aber hier Leserjournalismus, wo jeder einsenden kann, mit Schülerzeitungen zu vergleichen finde ich unpassend.

Gerne lade ich Sie zum JugendMedienEvent ein, wo 500 junge Journalisten zusammenkommen um Fragen an Politiker zu stellen, Redaktionen zu besuchen und in unzähligen Seminaren weiteres über journalistisches Arbeit zu lernen. Als Referent sind Sie natürlich auch gerne gesehen. Alle Infos unter www.jugendmedienevent.de

Schülerzeitung ist vielleicht Journalismus im Kleinformat, aber bitte nicht zu verspotten. Persönlich haben wir dieses Jahr einen Preis beim Spiegel-Schülerzeitungswettbewerb gewonnen. In der Ausgabe, die Zukunftschancen nach dem Abi behandeltete, war auch ein Artikel über Unterrichtsausfall. Dazu hatten wir Frau Eva Luise Köhler, Frau Annette Schavan und Frau Sommer (Bildungsministerin NRW) im persönlichen Gespräch mit unserer Zeitung…

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