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Vorweg: Ich möchte nicht über die politischen Folgen des FDP-Austritts diskutieren – das können andere besser und kundiger. Mich interessiert vielmehr der kommunikative Auftritt der Partei nach dem Platzen der Sondierungsgespräche, weil ich glaube, Markenverantwortliche können von der FDP und den Erregungswellen der vergangenen Tage einiges lernen.

Social Media ist kein Selbstzweck. Das ist ein so simpler und logischer Satz, der von so vielen ignoriert wird. Wenn Unternehmen sich im Social Web bewegen, dann sollte dieses zeitliche und monetäre Investment natürlich in die Unternehmensziele einzahlen. Damit das aber funktioniert, braucht man eine integrierte Marketingstrategie. Ansonsten besteht in der Regel die Gefahr des Misserfolgs durch Nichtbeachtung – im Fall bereits vorhandener Beachtung dagegen ein Rückschlagpotential.

Womit wir bei der FDP wären.

Da dieser Artikel ja einige Zeit hier stehen wird, eine kurze Zusammenfassung des wilden Novembers 2017: Die FDP verließ am Sonntag Abend die Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung und das offensichtlich überraschend für CDU, CSU und Grüne. Laut Medienberichten, die sich auf Sitzungsteilnehmer berufen, hat Parteichef Christian Lindner dabei am Verhandlungstisch eine Verlautbarung verlesen, die er anschließend draußen vor Kameras weitgehend wiederholt haben soll. (Nachtrag: Ich wurde darauf hingewiesen, dass alle FDP-Beteiligten sagen, Lindner haben nicht abgelesen. Inwieweit man darauf vertrauen darf, mag jeder selbst entscheiden.)

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Kurz darauf erschien auf den Social Web-Präsenzen der FDP diese Schrifttafel:

Etliche Nutzer im Social Web warfen der Partei deshalb eine Inszenierung des Abgangs vor, erst recht weil dieser Vorwurf auch von den anderen Verhandlungspartner kam. Diese Haltung verstärkte sich, nachdem die „Spiegel“-Hauptstadtkorrespondentin Ann-Kathrin Müller den Dateinamen des Bildes entdeckte. Dieser enthielt (absolut professionell angelegt, aber nicht professionell gepostet) ein Datum und dieses lag vier Tage vor jenem Sonntag des Sondierungs-Bumms.

Hier sei natürlich noch die Ironie vermerkt, dass wir durch Müllers Screenshot sehen, dass sie einen Adblocker nutzt, noch dazu den moralisch fragwürdigen Adblock Plus, obwohl ihr Haus auch von Onlineanzeigen lebt.

Die Partei mag an dieser Datei und an dem Spruch nichts Schlechtes finden. Erst wurde erklärt, solch eine Schrifttafel zu erstellen dauere doch nur eine Minute:

Später hieß es, die Tafel sei vorbereitet gewesen, schließlich brauche man einen „Social Media-Plan“:

Und es gebe auch keinen Unterschied zwischen „in einer Minute fertig“ und Vorbereitung solcher Texttafeln:

Nur: Warum wurde dann die schnelle Produktion zunächst hervorgehoben? Sollte der Eindruck einer „coolen“, schnellen Reaktion erzeugt werden?

Am Tag danach übertrug die FDP via Facebook Live die halbstündige Pressekonferenz von Christian Lindner und Wolfgang Kubicki:

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Derweil entbrach eine intensive Diskussion. Einerseits wurde in meiner Filterblase teils hart, aber durchaus interessiert an der Sache über die politischen Folgen debattiert. Andererseits machte sich der Frust über die von der FDP ausgelöste Regierungskrise Luft in Form von Witzen (weitere bei Buzzfeed):

So weit der Stand.

Wer sich auf die Seite der FDP schlägt, sieht eine sauber ausgeführte Kommunikation mit professioneller Exekution.

Ich sehe das anders. Gerade die Partei, die den digitalsten Wahlkampf geführt hat, liefert eine Kommunikation aus dem analogen Zeitalter – nur eben auf Facebook und Twitter.

Was hätte die FDP tun sollen?

Um diese Frage zu beantworten, muss man nach den Zielen der Kommunikation fragen. Meine These: Eine Partei, die als einzige aus solchen Gesprächen aussteigt, will Verständnis für ihre Position wecken. Sie möchte, dass die Adressaten der Kommunikation ihr Recht geben, zumindest aber der Entscheidung Respekt zollen, sie will Ermunterung, Unterstützung, Zuspruch.

Dabei muss man sich eingestehen, dass Kommunikation eben auch immer ein Stückchen Theaterspielen ist. Wenn uns ein Mensch von einer traurigen Erfahrung erzählt, schaut nicht nur er selbst bedröppelt rein, man selbst sollte das Lächeln ebenfalls einstellen, selbst wenn man seine Trauer nicht nachempfinden kann. Wenn wir andere von einer positiven Botschaft überzeugen wollen, sollten wir nicht rumstehen wie in Schluck Wasser in der Kurve. Sprich: Wir erzeugen Mit-Gefühl, indem wir so kommunizieren, wie wir glauben, dass es sich unser Gegenüber wünscht.

Nun haben Parteien eine gewachsene Anhängerschaft und die reagiert anders als die Gesamtbevölkerung. Jene Anhänger sind grundsätzlich positiver gestimmt bei allem, was „ihre“ Partei tut. Vielleicht ist dies vergleichbar mit der Nachkaufbestätigung im Marketing: Wer sich ein neues Auto zulegt, ist nach dem Kaufprozess offener für Informationen, die ihm bestätigen, dass seine teure Entscheidung richtig war. Anderenfalls müsste er sich selbst eingestehen, einen Fehler begangen zu haben – und darin sind wir Menschen nicht so gut.

Die Neutralen und Gegner dagegen dürften nicht ganz so viel Verständnis aufbringen. Denn die FDP-Oberen treten nicht so auf, als ob es ihnen ernst gewesen wäre mit der Sondierung. Im Einzelnen:

Frei reden statt ablesen

Auch wenn, die FDP vier Jahre nicht im Bundestag saß – die Verantwortlichen sind keine Polit-Neulinge. Es musste jedem von ihnen klar sein, dass der Moment der Trennungsverkündung für Journalisten der wichtigste sein würde. Diese würden so lange bohren, bis sie alle Details dieses Moments beisammen haben würden. Sprich: Es war klar, dass die Republik vom Ablesen Lindners erfahren würde. Warum Lindner trotzdem nicht frei sprach, ist mir ein großes Rätsel.

Vor einer Kamera wirkt jenes Vomblattvortragen nicht ganz so unsouverän. Doch leben wir in einer Zeit, in der die Zahl der Menschen steigt, die sich vor Kameras zu bewegen wissen. Die meisten Menschen hätten einen Christian Lindner ebenfalls für objektivtauglich und -willig gehalten – weshalb sein Ablesen kaum dazu beitragen dürfte, Menschen für sich zu gewinnen.

Gefühlslage antizipieren

In Momenten wie dem Sondierungsende ist es ein menschlicher Reflex sich zu fragen: „Was hätte ich getan? Wie hätte ich reagiert? Wie würde ich mich fühlen?“. Ich behaupte: Die meisten Menschen würden antworten mit Begriffen  wie enttäuscht, erschöpft, erschüttert. Schließlich sollen die Verhandlungen doch angeblich anstrengend gewesen sein. Und angeblich soll das Ziel doch gewesen sein, zu einer Einigung zu kommen. Es war also unter diesen Voraussetzungen kein schöner Abend.

Lindner & Co. verhielten sich aber nicht wie Menschen, die nach harten Verhandlungen das gewünschte Ziel verfehlt haben. Sie gerierten sich als Gewinner. Durch diese emotionale Diskrepanz zwischen erwarteter Zerknirschung und wahrgenommener Bulligkeit sinkt die Chance, die Menschen für sich einzunehmen.

Noch dazu ist Schriftsprache keine gesprochene Sprache. Lindners Statement wirkt ungewohnt holprig. Wenn wir beispielsweise um einen Verstorbenen trauern, sprechen uns wohldurchdachte Zeilen Trost zu, wenn wir sie lesen. Gesprochen aber möchten wir ehrliches Mit-Gefühl verspüren. Wesentlich angebrachter erscheint mir zum Beispiel die Tonalität von Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir:

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Vielleicht ist dies auch die größte Differenz zur FDP: Die Grünen verbaseln es in Sachen Plattformkompetenz (leicht peinliches Standbild, Untertitel mitten aus einem Satz, schlechte Ausleuchtung), treffen aber den Ton. Bei der FDP ist es umgekehrt.

Professionalität zurückstellen

Dieser Mangel an Empathie macht auch jene Slogan-Tafel zum Fehler. Solch ein Sharepic ist tatsächlich leicht zu erstellen. Doch trotzdem tun dies die allerallerallermeisten Menschen eben nicht (vielleicht auch, weil sie gar nicht wissen, wie leicht die Produktion wäre). Sie nehmen solch ein Pic als etwas wahr, das sie selbst nicht hinbekämen und nehmen an, in die Erstellung müssten Zeit und oder Geld geflossen sein. Wenn man aber das Gefühl hat, dass die Sondierungsgespräche für Deutschland wichtig sind, dann erwartet man von den Beteiligten, dass sie in solch einem Moment etwas Besseres zu tun haben, als knappe Ressourcen in solch ein Bildchen zu stecken. Wie gesagt: Es ist egal, wie hoch der Aufwand wirklich ist – es geht darum, wieviel Aufwand von Menschen vermutet wird.

Sagen, wofür man ist – nicht wogegen

Es kann die FDP nicht überrascht haben, dass sie am Montag unter Erklärungsdruck stand. Doch es mangelte an klaren Deutungen. Das halbstündige Video von Lindner und Kubicki mäandert hin und her. Einen Tag lang fehlte es an einem nachlesbaren Text, an klaren Argumenten, an Beispielen die den Abbruch der Sondierung erklärt hätten.

Erst am Dienstag Mittag veröffentlichte die Homepage einen Erklärtext, der für Freunde gepflegter Sprache nur unter Schmerzen zu erdulden ist:

„In der Finanzpolitik war es der FDP eine Anliegen, eine neue Balance zwischen Bürger und Staat durch Entlastungen herzustellen. Wir hatten hier weitgehende Kompromisse angeboten. Auf eine große Steuerreform im Umfang von 30 bis 40 Mrd. Euro hätten sie verzichtet; bei der Abschaffung des Solidaritätszuschlages wären sie bereit gewesen, sie in Stufen bis zum Ende der Legislaturperiode durchzuführen.“

Was ist eine „Balance zwischen Bürger und Staat“? Welche Kompromisse wurden angeboten? Wer ist „sie“? Die FDP im Pluralis Majestatis? Die andere Seite? Wer hat diesen Text redigiert? Oder das hier:

„Die Freien Demokraten haben angeboten, bis zu fünf Gigawatt Leistung aus der Kohleverstromung aus dem Netz zu nehmen und noch über zwei weitere Gigawatt in den kommenden Jahren zu sprechen, sofern die Versorgungssicherheit es erlaubt (5+2). Die Energiepolitiker von Union und FDP sahen diese Offerte bereits eher kritisch.“

Die FDP hat es angeboten, sah es aber kritisch? Sollte man das nicht erklären?

Dieser Text ist eine kommunikative Bankrotterklärung. Statt wenigstens die eigenen Anhänger mitzunehmen distanziert sich die Partei schriftlich von sich selbst. Der Artikel wirkt verfasst wie von einem Dienstleister, ist emotionslos und wirr. Wäre er in der Nacht danach erschienen, wäre er noch irgendwie hinnehmbar. Aber nach 36 Stunden?

Hinzu dieser Spruch: „Lieber nicht regieren als falsch“. Er zeigt keine andere Richtung an, die in die es für die FDP gehen könnten, er verweigert das weitergehen und strahlt eine Negativität aus, die eher AFD-like ist. In dieser Gemengelage sind die Liberalen in eine kommunikative Falle gerutscht. Ihre Botschaften und die Fragen, die an sie gerichtet werden, fokussieren sich darauf, was sie nicht wollten. Wichtig aber wäre Botschaften zu platzieren darüber, was man will. Diese zu platzieren, ist der FDP nicht mal im Ansatz gelungen.

Community Management betreiben

Das Klagelied ist altbekannt: sich um all die Kommentare im Social Web zu kümmern, erfordert viel Zeit und somit Mitarbeiter. Unternehmen stellen diese Ressourcen in Form von Mitarbeitern oder Dienstleistern zur Verfügung. Schon Medienunternehmen behaupten, ihnen sei das nicht möglich. Doch ist es im Fall einer Partei nicht vorstellbar, hilfsbereite Mitglieder im Community Management zu schulen und dann einen Schichtplan aufzusetzen?

Dies würde ja nicht nur dabei helfen, jene menschliche Bindung zu schaffen, die für den Transport der eigenen Botschaft im Social Web hilfreich ist. Gleichzeitig bedingt die Funktionalität von Facebook, dass eigene Postings höhere Reichweiten erzielen. Die FDP hätte also erwägen können, Gelder von ihrem Facebook-Mediabudget in Richtung des Community Managements zu verschieben. Stattdessen entbrennen auf den Parteipräsenzen wütende Debatten zwischen Parteianhängern und -gegnern, die aus der eigenen Gefühlslage heraus argumentieren. Was die Partei wirklich sagen will, spielt eine untergeordnete Rolle.

Einige Parteigranden versuchen das aufzufangen. So ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann sehr aktiv auf Twitter. Doch man merkt ihre Genervtheit, ihre Antworten kippen ins patzige – und das ist den Kommunikationszielen auch wieder abträglich.

Plattformkompetenz ist keine Strategie

Die FDP führte den zweitmedienkompetentesten Wahlkampf nach der AFD. Nun aber zeigt sich, dass die Parteikommunikatoren und ihre Dienstleister im Digitalen zwar technische Expertise besitzen, es ihnen aber an einer integrierten Kommunikationsstrategie mangelt. Sämtliche Maßnahmen sind nur im Design miteinander verbunden, jedoch nicht im Denken.

Wie so viele Marken täuscht die FDP Kommunikation nur an. Sie verliest Statements und geht wieder, genau so wie es Politiker im analogen Zeitalter vor Kameras taten. Nur, weil dies im Social Web passiert, ändert dies nichts daran, dass diese Haltung nicht mehr zeitgemäß ist.

Die Herangehensweise der FDP ist geprägt von Marketing. Ungefähr so, wie die Liberalen ihren Abgang kommuniziert, werden neue Autos lanciert, Schokoriegel oder Mobilfunktarife.

Auch Marken übersehen dabei, dass das Social Web eine Änderung gebracht hat. Hier bewegen sie sich auf Augenhöhe mit menschlichen Kontakten der Nutzer. Egal ob Facebook, Instagram oder Twitter: Dem Posting des Ehepartners folgt eines des Schulfreundes, dann kommt eine Marke, die Lieblingsband, Spiegel Online und danach ein Arbeitskollege. Solch eine Ansammlung existierte in den Zeiten vor Web 2.0 nicht.

Dies hat psychologische Folgen, behauptet zum Beispiel Pamela Rutledge, Direktorin des Media Psychology Centers, die ich auf der SXSW hörte. Sie sagt, dass unser Hirn wenig Unterschiede zwischen Facebook und Kohlenstoff-Welt macht bei der Beurteilung, wem wir vertrauen. Im Umkehrschluss bedeutet das eben, dass eine Marke eine emotionale Bindung erhalten kann wie bisher ein alter Bekannter (oder bei Hardcore-Markenfans) wie ein guter Freund.

Wenn das stimmt müssen sich Marken im Social Web so verhalten, wie wir es von anderen  Menschen erwarten. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sie es sich mit Nutzern/Verbrauchern genauso verderben wie jene Menschen, die wir bei der persönlichen Begegnung nicht mögen.

Die FDP tat dies nicht. Sie verfügte über keine Marketingstrategie, sondern einen „Plan“, um die Worte Strack-Zimmermann aufzugreifen. Sie wusste, welche Botschaft sie überbringen wollte und tat dies technisch-funktional korrekt. Doch das allein reicht im Social Web eben nicht – egal ob es um eine Partei oder eine Marke geht.


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