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Gestern Abend, beim TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz, sahen wir die journalistische Filterblase bei der Arbeit. Denn Sandra Maischberger, Maybrit Illner, Peter Kloeppel und Claus Strunz fragten nach dem, was sie bewegt – nicht nach dem, was für Deutschland wichtig ist oder (crazy Vorstellung) werden könnte. Es waren Fragen, die in Talkshows gestellt werden, Fragen, die immer den Unterton von Angst mitbringen, Angst vor einem rechten Mob, vor einem Ende unserer Gesellschaft, Angst vor Hass.

Mit Angst macht man Quote und halten wir kurz fest, dass dies nun mal das Tagesgeschäft von Maischnerpelrunz ist: Quote machen. Journalismus ist in ihrer Welt ein Nice-to-have, mehr nicht. Am deutlichsten demonstrierte dies Sat1-Chefpopulist Strunz, der ohne Zeichen von Reue ein Schulz-Zitat fälschte: Im TV-Talkshow-Geschäft sind Fake News ein gern gewähltes Instrument.

Komplexere Themen sind nicht die Welt von Sanbrit Clauspeter. Wenn mal so was diffiziles kommt wie Digitalisierung, darf in den handelsüblichen Shows der intelligente Herr mit dem roten Iro als Quotenirrer ein paar Worte sagen. Wirtschaft? Viel zu komplex. Finanzmärkte? Kann man nicht erklären. „Vertreter der Wirtschaft“ in deutschen Talkshows bedeutet „unterbezahlte Krankenschwester“.

Wer ein derart eingeschränktes Weltbild produziert, dessen Hirn wird irgendwann von einem berufsbedingten Defekt ereilt: Der Talkshowmoderator hält seine wöchentliche Welt für die reale.

Bei allen vieren war dies zu beobachten. Gefragt wurde nach den Themen der angeblich so besorgten Bürger, deren Bedenken niemand ernst nehmen mag. Die Option, dass gewisse Ängste derart irrational sind, dass ein Ernstnehmen nur in Gestalt einer ebenso irrationalen Politik bestehen kann – deren Folgen wir in Großbritannien und den USA beobachten dürfen–, ploppt gar nicht erst in den gut gefönten Köpfen der Moderationsroboter auf, niemand hat sie auf ihre Karten geschrieben, den Teleprompter entsprechend betextet oder flüstert entsprechende Fragen in den Ohrstecker.

So war der gestrige Abend einer des Fremdschämens. Nach Kirchgängen wurde gefragt, ganz viel nach Flüchtlingen und Integration sowie nach dem Islam. Dass die vier Reiter der Apohypnose damit durchkamen lag natürlich auch daran, dass die eine Diskutantin nicht an einer Debatte interessiert war und der andere sich in leicht konfuser Hilflosigkeit erging. Ich glaube noch immer: Martin Schulz könnte ein guter Kanzler sein. Doch geht ihm absolut alles ab, was es braucht, um Kanzler zu werden.

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Es sind noch drei Wochen bis zur Bundestagswahl und angeblich die Hälfte der Deutschen ist noch unentschieden. Ich kann das nachvollziehen: Mir geht es genauso und auch Nora-Vanessa Wohlert hat ihr Befinden in EditionF so beschrieben. 

Das liegt vor allem an der Diskrepanz zwischen der rosigen Gegenwart und meiner Angst vor dem, was uns rational gesehen bevorsteht: Wir werden in 10 bis 20 Jahren die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik haben und dank der Regierung Merkel werden wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen.

Sprich: Kurzfristig ist Angela Merkel eine sehr gute Regierungschefin – langfristig ist sie der Todesengel des Wirtschaftsstandortes.

„Wie wir mit der Digitalisierung umgehen ist alles entscheidend für unseren Wohlstand.“ Ein wahrer Satz – von Angela Merkel, ausgesprochen jüngst bei bei einem Interview mit „Handelsblatt“-Jungverleger Gabor Steingart.

Leider stellte Steingart keine einzige kritische Frage und unterließ es auch hier. Dabei wäre gerade an diesem Punkt eine scharfe Frage mehr als angebracht gewesen. Genauso wie viele Netzaffine gestern ein paar Fragen zu Merkels Schlusswort vorgetragen hätten, in dem traurigerweise das einzige Mal das Digital-Thema auftauchte.

Denn wie geht denn die Regierung Merkel um mit der Digitalisierung? Sie ist „Neuland“ laut Kanzlerin, sie selbst sei neugierig. Das klingt immer wieder putzig, doch für Putzigkeiten ist die Lage zu ernst.

Die Breitbandgeschwindigkeit in Deutschland bewegt sich weiter auf Drittweltniveau – ohne Aussicht auf Besserung. In Schulen kommen Digitalthemen kaum vor, was angesichts fehlender Unterrichtsmaterialien nicht überraschen kann. Die angekündigte Investitionsoffensive in diesem Bereich taucht im Bundeshaushalt nicht mehr auf. Gesetzgebungsverfahren zielen nicht auf eine Öffnung digitaler Märkte hin, sondern auf ihre Beschneidung und werden von Rechtsexperten als dilettantisch formuliert gebrandmarkt.

Wenn also für unseren Wohlstand entscheidend ist, wie die Politik mit der Digitalisierung umgeht, dann bedeutet das für Merkel entweder, dass man Digitalisierung verhindern muss – oder sie will, das Deutschland arm wird.

Natürlich ist das zynisch formuliert, denn beides stimmt nicht. Man muss vielmehr annehmen: Digital hat keine Priorität.

Das ist kurzfristig erstmal nicht so schlimm für Deutschland. Denn die anderen Industrien tragen das Land, den Menschen geht es gut. Deshalb auch verfängt das Thema Soziale Gerechtigkeit nicht, mit dem die SPD den Wahlkampf dominieren wollte.

Langfristig aber bewegen wir uns in eine düstere Situation. Es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass nicht ein massiver Teil der aktuellen Arbeitsplätze durch Roboter und Algorithmen ersetzt werden wird. Das reicht von der industriellen Fertigung über die Finanzberatung bis zum LKW-Fahrer.

Die große Frage ist: Was machen wir dann? Arbeitsministerin Andrea Nahles gab sich bei der re:publica erschreckend gelassen:

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1964, sagte sie, hätte jeder zehnte Deutsche noch in der Landwirtschaft gearbeitet und die Hälfte in der Industrie. Heute seien zwei Drittel aller Menschen in Dienstleistungsberufen. Das mag richtig sein. Nur hatten Ökonomen dies damals auch so angekündigt. In meinem Studium vor 20 Jahren wurde dies so propagiert. Heute gibt es meines Wissens nach nur diffuse Ideen, dass ein weit größerer Teil der Menschen psychologisch beratend tätig werden könnten, beispielsweise als Coach oder Trainer. Doch das wird kaum reichen, um die Massen an Arbeitslosen zu beschäftigen. Auch Nahles Idee von der Arbeitszeitverkürzung wird nicht reichen.

Doch sie meint locker-flockig, dass da schon etwas kommen werde, was die Menschen beschäftige. „Et hätt noch immer jot jejange“ ist Teil des rheinischen Grundgesetzes und Nahles hat in Bonn studiert, so was prägt anscheinend.

Als überzeugter Marktwirtschaftler bin ich gegen die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Doch ich sehe keine andere Lösung, um die Ruhe in der Gesellschaft zu wahren: Wir werden irgendwann massiv höhere Unternehmenssteuern brauchen, also eine Art Robotersteuer, um den finanziellen Spielraum für ein Grundeinkommen zu schaffen. Nahles Idee der temporären Teilfinanzierung greift zu kurz, weil es nicht mehr genügend Arbeitsplätze geben wird. Und auch die Idee von Arbeitszeitverkürzung plus Umschulung wird keine Ruhe bringen: Trump wurde auch deshalb Präsident, weil Menschen, die sich über körperliche Arbeit definieren nicht glücklich werden, wenn sie bei Wholefoods an der Kasse sitzen.

Doch Nahles weist die Diskussion um ein Grundeinkommen von sich: „Ich will das nicht“, lautet ihre Begründung. Rationale Politik habe ich mir immer anders vorgestellt.

Deutschland wird vom anstehende Wandel so hart getroffen, wie kein anderes Land – dank der Autoindustrie. Die ständige Betonung, dass uns der Diesel noch lange erhalten bleibe, ist entweder sehr flach gedacht – oder nur Opium für’s Volk. Denn wir reden hier über ein disruptive Situation und bei der geht es nicht darum, wann der letzte Diesel ausrollt. Die Frage ist: Wann wird der Anteil von Elektrofahrzeugen so groß, dass er bestehende Geschäftsmodelle unwirtschaftlich macht?

Die alleinige Betrachtung der Autohersteller reicht dabei nicht. Elektroautos benötigen weniger Teile, halten länger und müssen seltener zur Inspektion. Folge: Arbeitsplatzabbau bei Autozulieferern und in Werkstätten. Offen sind die Auswirkungen auf Tankstellen: Natürlich müssen Autofahrer weiterhin auf längeren Strecken zwischentanken und dies wird länger dauern als bei Verbrennungsmotoren. Dies eröffnet dann gastronomische Chancen für Tankstellenbetreiber. Gleichzeitig wird die Zahl der Tankstellen sinken, denn sehr viele Menschen werden daheim Strom zapfen. Wieviel Prozent ihres Umsatzes darf also eine freie Autowerkstatt verlieren, bevor sie aufgibt?

Wie nah der Wandel ist, zeigt das Beispiel der kalifornischen Pizzalieferkette Zume: Erst führte sie Roboterarme ein, die für das Belegen zuständig sind, nun kommt ein Lieferfahrzeug mit eingebauten Öfen. Nächster Schritt: Der Lieferwagen wird autonom fahren. Der Pizzadienst (fast) ohne Mitarbeiter könnte schon bald Realität werden.

Das alles wäre schon turbulent genug. Doch hat die deutsche Autoindustrie derzeit kein massenmarkttaugliches E-Modell abgesehen vom Opel Ampera. Einerseits könnte dies aufholbar sein, wenn man es möchte. Schließlich ist es der Deutschen Post DHL gelungen, auf eigene Faust ein E-Lieferfahrzeug auf die Reifen zu stellen, das auf Dauer einen eigenen Konzernzweig darstellen könnte. Das Beispiel zeigt aber auch: Autos bauen wird im E-Zeitalter einfacher und dies wird wahrscheinlich völlig neue Konkurrenten auf den Markt bringen. Somit wird der Markt für Autos nicht nur auf Technik- sondern auch auf Markenebene neu aufgerissen.

Ahnt die Politik all dies und will nur für Ruhe sorgen? Oder ignoriert sie die Situation? Da wage ich keine Prognose.

Doch bin ich mir ziemlich sicher, dass wenn die aktuelle Übergangsphase endet, wir in der westlichen Welt vor einer Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes stehen. Deutschland wird von ihr besonders betroffen sein, weil gerade die Industrien tangiert sind, die das Land stark gemacht haben, die politischen und wirtschaftlichen Eliten besonders wenig Gespür für neue Technologien aufbringen und sich schließlich die digitale Infrastruktur auf einem so erbärmlichen Niveau befindet.

Dies hätte man beim TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz diskutieren können. Stattdessen aber haben sich die Moderatoren die Agenda nicht von der Zukunft diktieren lassen – sondern von der AFD.

Disclosure: Opel und die Deutsche Post DHL sind Kunden von kpunktnull.


Kommentare


Stefan Weigl 5. September 2017 um 14:41

Der Satz „Doch bin ich mir ziemlich sicher, dass wenn die aktuelle Übergangsphase endet, wir in der westlichen Welt vor einer Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes stehen“ ist für mich der Kern. Es geht nicht um die Frage, ob man Technik mag oder nicht und wie unsere Haltung zum Thema Digitalsiierung ist. Sondern um die Basis unseres Wirtschaftssystems, aber genau das scheint niemanden zu interessieren. Danke für die klaren Worte, die man sonst vielleicht noch von Richard David Precht hört, man mag sich wünschen, dass diese nicht ungehört bleiben.

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Severin 6. September 2017 um 8:57

Der Opel Ampera ist sogar gar kein reines Opel Produkt. Es wurde zusammen mit General Motors entwickelt und GM hält die meisten patente an dem Fahrzeug.
https://de.wikipedia.org/wiki/Opel_Ampera
GM verkauft ihn als Chevrolet Volt.

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Jannis 6. September 2017 um 9:07

Sehr lesenswerter Artikel. Vergessen hast du allerdings die Tatsache das nicht Frau Merkel für Innovationen in der deutschen Industrie zuständig ist.
Die deutsche Wirtschaft hat sich _trotz_ der Politik so gut entwickelt. Ich kenne ein paar Unternehmer und Visionäre und davon gibt es noch viel mehr als ich kenne. Ein paar von denen werden mit Ihren Unternehmen und Ideen erfolgreich sein und den Fortbestand der deutschen Wirtschaft sichern. Die großen Autokonzerne sind ohnehin zu groß geworden. Ein Untergang dieser riesigen Apparate und eine Verlagerung hin zu kleineren, neuen Unternehmen kann der deutschen Wirtschaft nur gut tun. Das wird auch das Gehaltsgefüge wieder zurechtrücken. Konzerne bezahlen aktuell viel zu viel Geld an Ihre angestellten und kleine Unternehmen viel zu wenig – obwohl in kleinen Unternehmen vom einzelnen oft mehr geleistet werden muss.

Nicht nur Politiker tragen die Verantwortung für dieses Land sondern jeder hier lebende Mensch („das Volk“)!

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Lars 7. September 2017 um 6:06

Seit wann kann man denn in einer Marktwirtschaft „zu viel“ bezahlen? Je mehr Geld in die Angestellten gepumpt wird, umso besser.

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gast1234 6. September 2017 um 11:17

Forschung und Entwicklung findet in Deutschland kaum noch statt. Das wissen Merkel und Schulz, daher wurde das Thema nicht angesprochen. Sie agierten bewußt nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. Das Problem ist noch größer als beschrieben, denn die KI ist die Zukunft, und hier hat Deutschland praktisch Null vorzuweisen. Wenn man aber keine Firmen mehr hat, die wettbewerbsfähig sind, gibt es auch kein bedingungsloses Grundeinkommen. Dann sind diese Ideen Makulatur. Hier wird in ca. 15 Jahren die 3. Welt einziehen, in jeder Hinsicht.

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Lars 7. September 2017 um 6:04

„Schließlich ist es der Deutschen Post DHL gelungen, auf eigene Faust ein E-Lieferfahrzeug auf die Reifen zu stellen, das auf Dauer einen eigenen Konzernzweig darstellen könnte.“

Das ist falsch! Der Ideengeber und Hauptgründer von e.GO in Aachen, Prof. Schuh, hatte eigentlich nur das Ziel neue Produktionsmethoden und -technologien zu erforschen. Deshalb hat er mit Kollegen Kapital gesammelt um eine moderne Fabrik zu bauen und dort zu forschen. Dass diese Fabrik als Produkt Elektroautos baut, ist eher Zufall. Und die Leistung der Deutschen Post AG liegt auch nur darin Jahre später Geld investiert zu haben.

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Moddemann 8. September 2017 um 19:53

Ganzheitliche Zukunftsorientierung ist nichts für Politbeamte. Die lösen Zukunft über Geldverteilung, siehe Kernkraft, Kohle und Klma. Auch Griechenland, Flüchtlingsdesaster im Süden wird nicht von Arbeit schaffenden Ideen gesteuert.
Wir bewältigen die Zukunft nur über den Wettbewerb der Ideen mit einer langfrist Strategie. Das ist aber nichts für Frau Merkel der letzten Legislaturperiode!!!
Wir fallen statt dessen von einem Behördenskandal in den nächsten. Strassen, Brücken Bundesbahn, BAMF und KBA, Verfassungsschutz, Schule, KITA, Streiks von Verdi etc.
H. J. Moddemann

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