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„Das ist doch eine Sekte hier!“, rief die Dame Anfang 50 und verließ mit ihrer Freundin fluchtartig den Trainingsraum.

Wer dies hörte, fiel fast lachend vom Standfahrrad. Denn irgendwie musste es ja auch so wirken. Das kleine Hinterhof-Fitnessstudio, in dem ich einige Jahre trainierte, hatte Spinning zu einem seiner Schwerpunkte erklärt. Und weil Studiochef Hans in gewissen Punkten zum Fanatismus neigte, hatte er den Spinning-Raum komplett verdunkelt, mit Lightshow und Stroboskop ausgestattet und drehte die basslastigen Boxen auf volle Leistung. Näherte sich die elektronische Musik dann ihrem Höhepunkt (bester Spinning-Song ever: „Sandstorm“ von Darude) gingen wir zum mit lauten, endorphingetriebenen Jubelschreien zum Sprint über.

Das muss auf Spinning-Anfänger sehr abschreckend gewirkt haben. Und wie eine Sekte. Die beiden Damen sah das Studio nie wieder.

shutterstock_222584950Lewis Tse Pui Lung / Shutterstock.com

Was hier passierte, erleben viele Marken nun auf Facebook – und es ist eine der spannendsten Herausforderungen des Digital-Marketing: Wie können die Wünsche und Ansprüche von überzeugten Fans eines Produktes in Einklang gebracht werden denen jener Menschen, die noch überlegen, ob sie ein Produkt erwerben sollen, ohne eine der beiden Gruppen zu verlieren?

Die Lösung dieses Problems könnte das aktuelle Vorgehen von Barack Obama liefern.

Die meisten Social Media-Auftritte von Marken auf textlastigen Plattformen wie Facebook oder Twitter erinnern an das Spinning-Studio. Sie sind ein Hort der Fans, nicht im Facebook-Fan-Sinn, sondern der wahren Liebhaber einer Marke. Keksanhänger bejubeln jede neue Variante, Auto-Anhänger verlieben sich immer wieder neu in eine Felge, Haarfarbenveränderer beteuern nur diese eine Tönung zu verwenden. Sprich: „Das ist ja eine Sekte hier.“

All das ist nicht verwerflich. Gut geführt Marken begeistern ihre Zielgruppe und berühren sie emotional. Mitlesende Zyniker seien hier auch an Apple, Star Wars oder Borussia Dortmund erinnert – auch dies sind gut geführte Marken von hoher Emotionalität.

Betrachtet jedoch ein Noch-Nicht-Fan diese Präsenzen, dürfte eher Skepsis geweckt werden. Fan-Seiten entwickeln schnell eine eigene Tonalität, eigene Kontexte und Kodizes. Und je größer die Seite, desto weniger schaffen es die Markenverantwortlichen, darauf noch Einfluss zu nehmen. Wer nicht überzeugt ist von jener Marke, wird sich nicht die Mühe machen, sich in diese bestehende Gemeinschaft hineinzuleben.

Das gilt natürlich in dieser Radikalität nicht für jede Social Media-Präsenz einer Marke, aber eben doch für viele. Deren Entscheider stehen nun vor der Herausforderung, einerseits neue Kunden zu gewinnen und sie dazu zu bewegen, den Social Web-Auftritten zu folgen – und andererseits die Stammkundschaft nicht zu verprellen.

Exakt so geht es Barack Obama und seinen Beratern. Hier tummelt sich die Stammkundschaft nicht nur auf seinen eigenen Social-Präsenzen, sondern genauso in den klassischen Medien. Diese sind in den USA so sauber polarisiert, dass ein Interview kaum noch Auswirkungen auf die Einstellung der Zuschauer, Leser oder Zuhörer hat. Fox ist konservativ, die „New York Times“ liberal – und ihre Leser ebenso. Hinzu kommt der Medienwandel: Nur 20% der 18- bis 24-Jährigen in den USA lesen Zeitung.

Also bewegt Obama sich dorthin, wo Nicht-Anhänger zu finden sind und versucht so seine eigene Marke in einen neuen Kontext einzubringen: Er gibt „Funy or Die„, Vox und Buzzfeed Interviews, sogar mit drei Youtubern sprach er:

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Die Wahrscheinlichkeit, dass vorhandene „Fans“ dies abstoßend finden ist gering – denn es taucht nur am ihrer Community auf. Mit einem Haken: Die klassischen Medien reagieren säuerlich. So gesteht CNN den Youtubern zwar, „hart hitting questions“ zu Themen wie Dronen zu stellen. Doch die bekomme der Präsident häufiger, weshalb der Nachrichtensender sich lieber auf die Kuriositäten konzentrieren möchte. Verächtlicher geht nicht.

Diese Situation aber ist politikspezifisch. Was Marken aus Obamas Weg lernen können: Wer heute Neukunden erreichen möchte, tut gut daran, den Kontext seiner härtesten Fans zu verlassen – in der Frage der Werbeplatzierungen wie bei der Wahl der Ansprache.

Dies führt dann schnell zu dem Thema, das für mich eines der wichtigsten Marketing-Felder 2015 werden könnte: Influencer Marketing. Will eine Marke neue Kunden erreichen, sollte sie sich fragen, ob sich ein substanzieller Teil der Zielgruppe in spezifischen Kontexten und Communities aufhält. Wenn ja, sollte sie versuchen dort aufzutreten. Tut sie dies aber auf die gleiche Art wie in der auf die Masse zielenden Werbung, wird sie unauthentisch wirken und als nicht verständnis- und respektvoll gegenüber jener Gemeinschaft. Sinnvoller ist deshalb die Zusammenarbeit mit Mulitplikatoren, die in jener Gemeinschaft oder jenem Kontext verwurzelt sind: zum Beispiel Blogger, Künstler, Youtuber, Sportler oder Podcaster.

Oft genug kann die Kooperation mit einem solchen Multiplikator, der seine Reichweite oder Anerkennung aus einer sehr speziellen Zielgruppe zieht, aber nicht auf den Markenpräsenzen im Social Web gespielt werden – dort würde sie Unverständnis hervorrufen.

Ein Beispiel: Nehmen wir an ein Hersteller von Werkzeugkästen wollte versuchen, Frauen als Neukunden zu gewinnen. Dazu lädt er im Rahmen eines Product Placements Beauty-Youtuberinnen zu einem Handwerks-Kurs. Bei deren Zielgruppe dürften die Videos gut ankommen. Auf der Facebook-Seite des Werkzeugproduzenten hingegen dürfte sich mancher Widerstand regen, ist doch für Nicht-Fans solcher Youtuberinnen deren Herangehensweise, sagen wir, manchmal schwer erklärlich.

Auch weiterhin wird es natürlich Massenkommunikation in Form der großen, teueren Spots geben – vorerst zumindest. Denn die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Flut von Marketingkontakten im Laufe eines Tages immer höhere Investments in dieses Feld nötig machen, will ein Unternehmen gehört werden. Umso wichtiger wird die Erzeugung neuer Kontakte in spezifischen Zielgruppen durch eine genau gezielte Ansprache.

Oder um es mit entsetzten Fitnessstudio-Testerinnen zu sagen: Es geht darum, neue Sektenmitglieder zu finden.


Kommentare


Daniel Florian 11. Februar 2015 um 22:58

Für Marken mag diese Sichtweise neu sein; in der Politik ist das die älteste Weisheit überhaupt – und weiß Gott auch keine Erfindung von Barack Obama. Gerhard Schröder hatte bereits 1998 einen Gastauftritt bei GZSZ (der 1990er Jahre-Version von YouTube), und auch Schröder hat sich in seinem Wahlkampf ja von Clinton und Blair inspirieren lassen. Vielleicht sollten Unternehmenskommunikatoren viel öfter einmal auf die Trends der politischen Kommmunikation schauen als immer nur anders herum?

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Torsten Williamson-Fuchs 12. Februar 2015 um 10:56

Der Spinning-Vergleich ist gut! Leider begegnet man noch zu oft der Einstellung, ein „Jetzt fb Fan“ werden reicht, und man mische mit bei S’l Media.

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Lesenswerte Links – Kalenderwoche 7 in 2015 > Vermischtes > Lesenswerte Links 2015 13. Februar 2015 um 8:00

[…] Was Marken im Social Web von Barack Obama lernen können: Influencer Marketing – das beschreibt Thomas anschaulich. […]

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Rückschau Februar 2015: Besuch bei den Blognachbarn – Meine Firma und ich – 26. Februar 2015 um 22:57

[…] https://www.indiskretionehrensache.de/2015/02/influencer-marketing-obama/ […]

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