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Manchmal untergraben Journalisten die Grundsätze ihres Berufsstandes derart, dass selbst mir die Worte fehlen. Denn eigentlich wollte ich diesen Text humorig beginnen, mit einem Vergleich oder Wortspiel. Doch das wäre nicht angebracht. Denn was heute passiert ist, darf als gefährlicher Dammbruch gewertet werden: Es geht darum, dass die ARD Tagesschau sich massiv geschäftsschädigend gegenüber einem Unternehmen verhält. Und das trotz eines Dementis. Warum? Weil ein Mitarbeiter des Unternehmens eine Satire-Seite unterhält.

In den vergangenen zwei Wochen gab es drei massive Shitstorms in Deutschland. Sie erreichten ein Niveau wie wir es in Deutschland bisher nicht kannten. Das überraschte selbst beruflich in diesem Feld tätige und so mutmaßte der Kommunikationsberater Kai Thrun, es habe sich um inszenierte Aktionen gehandelt. Beweise dafür hatte er nicht (über dieses Thema werde ich in den kommenden Tagen aber noch einmal etwas schreiben). Tatsächlich ist es eben sehr leicht, Facebook-Fans zu kaufen – doch Likes zu kaufen, das ist erheblich schwieriger. Deutsche Likes und Kommentare in so hoher Zahl zu kaufen halte ich derzeit sogar für nicht realistisch.

Doch für die Tagesschau gilt anscheinend: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Sie stieß auf die Seite „We shit the storm„. Dabei handelt es sich um eine Shitstorm-Agentur die so für sich wirbt: „Sie haben ein echt mieses Produkt? Ihr Kundenservice ist unter aller Sau? Wir machen Ihren Shitstorm möglich! Individuell. Customized. Fully Reported.“

So, Finger hoch: Wer liest das und glaubt tatsächlich, dass es Unternehmen gibt, die sich freiwillig Shitstorms aussetzen? Noch dazu von einer Agentur, die eine so derbe Sprache pflegt? Deren Homepage von WordPress gehostet wird und ein simples Blog ist, das zum Zeitpunkt jener Shitstorms exakt zwei Einträge hatte?

Seien wir ehrlich: Kein auch nur homöopathisch medienkompetenter Mensch würde das glauben. Womit wir bei den Online-Redakteuren der Tagesschau, besser denen von Radio Bremen (die nämlich für die TagesWebschau zuständig sind) wären.

Die bemüht sich (lesen Sie das als Zeugnisnote: „Sie haben sich sehr bemüht“) seit einiger Zeit eine TagesWebSchau zu produzieren. Die griff jene Shitstorm-Debatte auf und behauptet: Die Online-Agentur Torben, Lucie und die Gelbe Gefahr (TLGG) sei beteiligt. Grund: Ein Mitarbeiter von TLGG betreibt jene Satire „We shit the storm“ als Hobby. Die Tagesschau fragte bei TLGG an – die Berliner dementierten hart. Somit hatte die Tagesschau keinen Beleg dafür, dass irgendjemand tatsächlich die Social-Web-Stürme gesteuert hat – außer einer Seite die für jedermann als Satire erkennbar ist.

Im Hirn eines normalen Journalisten macht es in diesem Moment erst einmal *PUFF*. Dies ist das Geräusch einer Story, die hübsch gewesen wäre – nun aber in sich zusammenfällt wie ein erkaltendes Soufflé. Der Rechercheur hatte eine These, es gibt ein klares Dementi – entweder journalist recherchiert weiter oder die Story ist tot.

Nicht aber für die TagesWEbSchau. Sie zeigt ihre These, zeigt das Dementi – und erzählt danach wie sich angeblich (auch diese Erzählung ist nicht von überbordender Kompetenz durchdrungen) eine nun imaginär gewordene Agentur einen Shitstorm bauen könnte. Durch diese Zusammenstellung entsteht eindeutig der die Aussage: „Wir glauben TLGG nicht“. Ein klarer und angesichts des Absenders kaum zu glaubender Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht.

Im Tagesschau-Blog verweist ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke gern auf die Verantwortung die aus der Arbeit bei einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtenredaktion erwächst. Lesen seine Mitarbeiter dies? Meint Gniffke es ernst, muss aus dieser Vorgehensweise eine Konsequenz erwachsen (und eine öffentliche Entschuldigung ist dabei noch das mindeste). Denn mit dieser Gerüchteküche gefährdet die Tagesschau mögliche Kundenkontakte von TLGG. Was ist zum Beispiel, wenn McDonald’s die unfundierten Vermutung der Tagesschau für bare Münze nimmt? Dann fällt auf, dass TLGG den McDonald’s-Konkurrenten Subway auf seiner Kundenliste hat. Und ganz schnell könnten Anwälte- oder Geschäftsführer-Anrufe oder -Briefe dazu führen, dass Subway die Zusammenarbeit mit TLGG nicht mehr opportun erscheint.

Die Agentur selbst hat die Sachlage auf ihrer Homepage bereits erläutert. Sie schreibt:

„Wir haben unsere Heere von Abmahnanwälten an die kurze Leine genommen und nehmen das gerne sportlich, wie es sich gehört: Shit(storm) happens, und danke für die Klicks, liebe tagesWEBschau!“

Die Abmahnanwälte hätte ich auch nicht aktiviert. Ich hätte eine Anzeige wegen Verleumdung gestellt und die Möglichkeiten einer Schadenersatzklage ausgelotet.

Nachtrag: Mit D64-Chef Matthias Richel meldet sich ein weiterer Betroffener zu Wort. Er beschwerte sich folgendermaßen bei der ARD:

„Wie die Agentur sich in diesem Fall weiter verhält, ist der Agentur überlassen. Allerdings blenden Sie auch mich mit meinen Klarnamen und einem Kommentar auf der Satire-Facebook-Seite ein und suggerieren mit Ihrem Off-Sprecher den Eindruck, dass ich

1. Mitarbeiter der Agentur bin und

2. mit diesen „Shitstorms“ etwas zu tun hätte. 

Der Eindruck wird noch redaktionell verstärkt, in dem Sie ein Agenturfoto zur Bebilderung nutzen und dabei auf einen Mitarbeiter zoomen, der meinem Profilfoto ähnlich sieht.

 Ich stelle dazu ausdrücklich fest:

 1. Ich bin nicht und war nie Mitarbeiter dieser Agentur.

2. Ich bin nicht der Mitarbeiter auf dem abgebildeten Agenturfoto.

3. Ich habe weder besagte Shitstorms auf Facebook initiiert, noch bin ich an einer möglichen Initiierung beteiligt.

4. Ich habe mich auch nicht durch Kommentare, Likes, Shares oder andere Aktivitäten inhaltlich an den Shitstorms beteiligt.

Da ich mich beruflich im Social Web bewege, mir über Jahre eine sehr gute Reputation bzgl. nachhaltiger Kommunikation im Netz erworben habe, beruflich auch im öffentlichen Kommunikationsbereichen arbeite und einige der von Ihnen benannten betroffenen Firmen zu meinem (ehemaligen) Kundenstamm gehören, bitte ich Sie binnen 24 Stunden diesen Bericht richtigzustellen, andernfalls sehe ich mich gezwungen meinen Rechtsbeistand zu konsultieren, da ich diese Reputation in Gefahr sehe und nicht mit Machenschaften in Verbindung gebracht werden möchte, die ich sowohl öffentlich als auch vor meinen Kunden immer aus sehr guten Gründen abgelehnt habe… 

PPS: Wie kann man das nicht als Satire verstehen?“


Kommentare


kevdamerow 9. August 2012 um 15:42

„… doch Likes zu kaufen, das ist erheblich schwieriger.“ Nicht wirklich, lieber Thomas. Und die These von Kai zum Thema „Like-buying“ bezog sich nicht auf die Gesamtanzahl der Likes, die im Endeffekt tatsächlich entstanden sind, sondern auf die kritischen Masse, den Tipping-Point, um dann eine viral organische Verbreitung zu „gewährleisten“ – faktisch anstoßen und Spaß haben.

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Twipsy 9. August 2012 um 15:48

Der Preis für den „schlechtest rechierchierten, dümmsten Dreck der im deutschen Fernsehen zu sehen ist“ bleibt derweil bei Galileo, denn die TagesWebschau ist ja online.

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Alexander Drebs 9. August 2012 um 16:37

Gegen die These mit dem Like-Buying spricht so einiges. Vor allem aber, dass die 15.000 Menschen die den Beitrag liken (und in ihr Freundesnetzwerk tragen um den Ball ins rollen zu bringen) echt sein müssen. Unter Fakeaccounts verbreitet sich gar nichts. Meine Theorie dazu wurde schon an mehreren Stellen von mir dargelegt, aber ich möchte doch noch einmal auch hier darauf hinweisen: http://bit.ly/RyjUiT

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Metho den 9. August 2012 um 20:08

Die Smileys wie “ 😉 “ gibt es genau deswegen weil in Schriftsprache Satire oft nicht erkannt wird. Irgendwer nimmt es dann doch ernst und man läuft in entsprechende Probleme rein.
Wer sich selber für ultralustig hält, kann das natürlich oft erst nachvollziehen wenn er selber technisch nicht mehr mitkommt und vielleicht Volksmusik im TV schaut und Bestätigung darin sucht das die neuen Techniken pauschal böse sind und nur harte Durchgreiferparteien und die wahre deutsche fehlerfreie Qualitäts-Leistungspresse uns erretten und vor Schäden (Neuer Markt, Solar-Subventionen, Stromleitungs-Bau, Euro-Krise, Immobilien-Krise, Klima-Erwärmung, Korruption und Miswirtschaft, rechte Gewalt, Ölkrise, Ost-Investitionen für Ost-Aufbau, Schrott-Immobilien…) wie schon bisher immer retten kann.

Schriftliche Briefe werden ernster genommen. Eine Brief-Vorlage und wie man aus der Überweisung seine GEZ-Mitglieds-Nummer erkennt um sie mit draufzuschreiben wären vielleicht sinnvoll und sollten einem die 55 Cent wert sein. Wichtig wäre die korrekte Adresse. Vielleicht finden sich auch ehemalige Ex-Verfassungsrichter oder lokale Piratenbüros wo man es hinschicken kann und die Bescheid wissen das solche Fehler im GEZ-TV nicht passieren sollten und die Briefsammlung öffentlich (Youtube-Videos) bei GEZ oder dem Senderchef abgeben.

Die vielen Tippfehler sind nur ein Teil und Indikator des Gesamtfehlers. six-sigma zeigt dann sogar mathematisch auf, wie die Fehlergröße sich statistisch verhält. Bei Tippfehlern kann man es messen, aber auch die „Schwere“ der inhaltlichen Abweichung von der Wahrheit ist vielleicht vergleichbar messbar und die meisten Kometen bzw. Sternschnuppen verglühen aber manche sind doch mal größer und vernichten die Dinosaurier was man wohl statistisch schön und gut erklärend aufzeichnen kann. Praktikantenpresse wird sowas manchmal genannt. Die inhaltliche Leere beispielsweise vieler Wirtschaftsberichte ist nur ein weiteres Zeichen des Nicht-Mitdenkens vieler Schreiber.
Das Interessengruppen die Wahrheit dehnen oder z.b. seit Jahren News-Google als bösen Content-Dieb diffamieren und die Internetgemeinde bei Amazon-Kritik heftiger Gegenwehr leistet, ist eine weitere Folge der Akzeptanz weicher Qualität.
Es gibt ja leider auch wenig seriöse Quellen und leider niemanden der sowas aufsetzen will. Schweden, Island, Kuba waren wohl die drei Länder für solche Projekte.

Großen Konzernen wurden Bezahlposter ja nachgewiesen. Aktuell wird über Fake-Klicks bei Werbung auf Facebook diskutiert und Joe-Jobs existieren vielleicht wirklich. Wie üblich doktern Facebook oder Google nur an den Symptomen herum statt an den Ursachen bzw. Quellen von z.B. Klickbetrug oder Spam. Da ist sogar M$ mit der Abschaltung von Botnetzen besser. Anfängen muss man wehren. Die meisten merken das erst, wenn es zu spät ist.

Vor 1-3 Tagen gabs doch bei 6-vor-9 einen Link wie erfundene Artikel in seriösen Publikationen untergebracht werden können und aufzeigen, wie gering die Recherche ist.
Eine Bakterie/Ein unzufriedener Kunde/Fehler ist eine Ausnahme und bedauerlicher Einzelfall. Viele davon sind ein System und haben einen oder mehrere Ursachen wie z.b. mangelndes Interesse an hilfreicher Kundenkommunikation. Im Sommerloch fällt sowas dann mal auf und führt ggf. zu Shitstorms.

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Josch 11. August 2012 um 14:50

Für die Leidmedien gilt schon seit langem: „We storm the shit.“

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