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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jede Woche, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

„Wut“ ist wohl die richtige Bezeichnung für die Stimmung in der Netzwert-Redaktion am Ende jenes Junis 2002. Produziert wurde die vorletzte Ausgabe der montäglichen Beilage und es passierte, was die Redaktion vorhergesagt hatte: Es gab Anzeigen. 1,25 Seiten kamen zusammen, dazu eine Seite mit Online-Links, die als Rubrikenanzeigen bezahlt wurden. Keineswegs also war der Markt tot – auch weiterhin schrieb Netzwert schwarze Zahlen.

Ein von der Redaktion vorgeschlagenes Kompromissangebot war abgelehnt worden: Das Team hätte als Bestandteil es Unternehmens-Ressorts weitergemacht, jede Montag hätte es mindestens zwei Seiten gegeben – und bei Anzeigen mehr. Damit hätte sich selbst in düsteren Zeiten das Projekt „Netzwert“ gehalten. Doch die Verlagsgruppe Handelsblatt wollte nicht mehr: Es ging nicht um die Personalkosten – es ging allein um die Auffassung, dass IT und Internet und dieses ganze Zeugs für das „Handelsblatt“ sowohl im Leser- wie im Anzeigenmarkt auf Dauer keine Bedeutung mehr haben würden.

Bei der Betrachtung jener Ausgabe vom 24.6.02 fällt auf, wie sehr manche Themen damals so wichtig waren wie heute. „Server im Hotel“ stand über der Seite-1-Geschichte und es drehte sich um die Probleme Geschäftsreisender. Ihre Laptops in Hotelzimmern online zu bringen war damals weitaus beschwerlicher als heute – aber definitiv nicht günstiger. Damals tickte oft schon der Gebührenzähler, wenn sich der Gast in eine gebührenfreie Nummer, zum Beispiel bei AOL oder T-Online, einwählte. „Schließlich entstehen uns Kosten für die Wartung der Telefonanlage“ behauptete rotzfrech das Münchener „Hilton“. Gern wurden die Kosten dabei verschleiert. Wer sich per Modem zum Ortstarif einwählte, konnte nirgends auf dem Zimmer des Hyatt Regency in Köln nachlesen, wieviel für solch eine Ortsleitung berechnet wird.

Traurigerweise hat sich gerade bei deutschen Hoteliers wenig daran geändert. Vor allem die großen Ketten verlangen zehn Jahre später Mondpreise für Wlan-Zugänge, wie ich jüngst mal wieder im zu meidenden Kempinski „Taschenberg Palais“ in Dresden erfuhr. Als ich jüngst eine Nacht in Mannheim verbrachte wollte ich eigentlich das „Sir Friedrich“ buchen – bis ich sah, wieviel das Online-Zugang kostete. Im wirklich sympathischen „Guesthouse“ dagegen war er gratis. Passend dazu ergab nun eine Studie unter 500 Vielreisenden verschiedener Nationalitäten, dass 86% von ihnen kostenloses Wlan im Hotel erwartet – und 37% machen dies zum Kriterium bei der Buchung.

Einen Vorgeschmack auf die LTE, die vierte Mobilfunkgeneration, lieferte die „E-Mail aus London“ des damaligen Korrespondenten Andreas Hoffbauer. Er berichtete von einsetzender Ernüchterung der Briten über das damals neue UMTS:

„Wer am Tag drei oder vier E-Mails sendet, dazu monatlich zehn Fotos anhängt, vier Musiktitel aus dem Internet auf sein Handy holt sowie drei Videoclips und einige Spiele – bereits solch ein Otto Normalkunde muss nach den Berechnungen von O2 im Jahr knapp 1000 Euro zusätzlich zahlen. Der Hightech-Vernarrte oder Geschäftskunden können locker mit dem Doppelten rechnen.“

Wenig geändert hat sich auch im Bereich der Raubkopien. Während heute die Gema das Feindbild du jour ist, war es in Unternehmenskreisen damals die BSA, die Business Software Alliance. In ihr hatten sich Softwarehersteller wie Microsoft, Adobe, Apple und Symantec zusammengeschlossen um gegen Raubkopien ihrer Programme vorzugehen. Das Vorgehen der BSA aber hatten den Ruf flauschig zu sein wie Rambo beim Anblick eines Kommunisten.

So mochte ein Interviewpartner seinen Namen nicht nennen: „Die schicken mir die Lizenzwächter auf den Hals, wenn ich Lärm mache.“ Ein anderer klagte: „Ich kenne keine andere Branche, die ihre Kunden potenziell als Kriminelle betrachtet.“ Nun, 10 Jahre später wissen wir: Auch die Musik-, die Film- und die Verlagsindustrie ist zu dieser Sichtweise gelangt.

Ein Drittel aller Software in Unternehmen sei raubkopiert, behauptete die BSA. Und sie setzte alle PR-Instrumente ein, um Firmen von der Verwendung solcher Programme abzuhalten – auch das Instrument namens „Lüge“. So rühmten sich die Softwarehersteller, in Deutschland seien neuerdings „zivile Durchsuchungen ohne Vorankündigung möglich“ – die Staatsanwaltschaften sahen und sehen das aber anders: Selbstverständlich kann die BSA nicht einfach bei Unternehmen einmarschieren.

Dabei warb die BSA mit den gleichen kundenverachtenden Ideen wie heute GEZ oder Filmindustrie: Eine Broschüre zeigte groß eine Gefängnismauer unter der Schlagzeile „Wollen Sie sich diese Aussicht ersparen?“ – nur dass Gefängnisstrafen für Softwarevergehen die Ausnahme sind.

Zehn Jahre später existiert die BSA noch immer – und noch immer wirbt sie mit eher dümmlichen Methoden, wie das Video auf ihrer Homepage (die offensichtlich seit langer Zeit keinen Besuch von einem Webdesigner mehr hatte) demonstriert. Auf Facebook hat sie 806 Freunde, ihr Twitter-Account hat keine 1000 Follower. Aus Gründen.

Heftig schmunzeln musste ich über die von mir geschriebene Kolumne „E-Mail aus Düsseldorf“. Zu jener Zeit besaß ich noch kein einziges Apple-Gerät, in der gesamten Redaktion gab es gerade mal eines, den PowerMac der Bildredaktion. Und der stand wie ein Gruß aus der Zukunft in seinem Büro während der Rest der Redaktion sich abmühte mit grausam langsamen und rückenzerschmetternd schweren Compaq-Laptops. Damals schrieb ich:

„Gäben sich die PC-Hersteller mehr Mühe beim Design, könnten sie nicht nur die Preise anheben sondern auch Hemmungen abbauen, sich einen Rechner in die Wohnung zu stellen…

Die Hoffnung, dass es so weit kommt ist gering. Wenn bisher noch niemand aufgefallen ist, dass Design sowohl Preis als auch Absatz steigern kann – dann ist kaum damit zu rechnen, dass irgendwann Einsicht einkehrt.“

Dass sich Geschichte wiederholt, zeigt eine Netzwert-Geschichte über den Zustand von Großkonzern-Homepages. Denn was sich dort vor 10 Jahren abspielte, spiegelt sich exakt so heute im Bereich Social Media.

Rückblende auf die späten 90er Jahre. Mit einem Mal war dieses World Wide Web da. Und nichts beschreibt den Umgang mit der Technologie in jener Zeit besser, als dieser legendäre IBM-Spot:

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Homepages wurden errichtet – ohne zu fragen, was man damit anfangen könnte. Im Jahr 2002 hatte sich bei den meisten davon bestenfalls das Design geändert. Weitere Gedanken machte sich offensichtlich niemand:

„,Die Metro leistet sich auf ihrer Web-Seite ein Impressum, das gegen mehrere gesetzliche Vorschriften verstößt – und zwar eklatant“, urteilt Pirner aus der Kanzlei Wannemacher & Partner…

Für Netzwert hat Pirner die Homepages der 30 Dax-Unternehmen unter die Lupe genommen und als Saubermänner Fresenius Medical Care, Daimler-Chrysler und Degussa ausgemacht. Weit überwiegen jedoch die ,vielen dilettantischen Seiten’…

Überhaupt kein Impressum fand die Internet-Expertin bei der Deutschen Post, der Deutschen Telekom, Infineon und der Lufthansa. Nur mit Mühe kam Pirner denen der Hypo-Vereinsbank, MAN, MLP, SAP, Siemens oder Thyssen-Krupp auf die Spur.“

Genau das spielt sich nun häufig im Social Web ab: Selbst große Unternehmen missachten die Facebook-Gewinnspielregeln oder dilettieren inhaltlich auf Twitter. Aus „Wir müssen ins Internet“ ist „Wir müssen Social Media machen“ geworden.

Und dann war da noch die Geschichte über deutsche Programmierer, die nach Bali ausgewandert sind und dort als Lohnarbeiterfirma für europäische Kunden wirkten – im Balicamp, ausgestattet mit Pool, hochwertigen Kaffeemaschinen und hübschen Räumlichkeiten. Und jene Überschrift finde ich noch heute verdammt gut:


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