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Ach, gäbe es doch nur einen deutschen Politiker wie Al Franken. Einen, nur einen, der so kompetent über digitale Themen redet, so leidenschaftlich und unterhaltsam. Ja, sehen wir sogar vom Thema ab: Es wäre schon ein Fortschritt, wenn es auf der Berliner Bühne auch nur einen Hinterbänkler gäbe, der die Menschen so mitnehmen wie der Senator aus Minnesota.

Heute morgen war er einer der ersten Redner und ich hätte mich in den Hintern getreten, hätte ich das verpasst. Wäre aber fast passiert. Denn in Austin herrscht Transport-Notstand: Die Shuttle von den Hotels in Midtown sind am Morgen heillos überlastet, auf das bestellte Taxi haben wir in einer Dreigruppe eine Stunde lang gewartet – dann hat ein anderer Gast des Hotels uns mit seinem Auto mitgenommen.

Zwei Minuten vor Franken saß ich endlich im Hyatt-Hotel. Und erlebt einen großartigen Vortrag. Dazu muss man wissen, dass Franken kein Berufspolitiker von Anfang an war, sondern als Comedien zur Ruhm und Geld kam. 2009 wurde er in den Senat gewählt – in einem extrem knappen Rennen.

Nun ist der Demokrat einer der glühendsten Verfechter der Netz-Neutralität. Diese sieht er extrem gefährdet: „Viele Menschen wissen nicht, dass es das Internet, dass sie heute nutzen bald nicht mehr geben wird.“ Und: „Am Ende werden die Verbraucher mehr Geld für deutlich weniger Leistung zahlen.“ Auch Kreative seien betroffen: „Heute muss sich niemand verkaufen, wenn er es nicht will. Musiker können auch ohne Plattenvertrag ihr Publikum finden.“

Wenn die Telekomkonzerne behaupten, dass sie die Netz-Neutralität nicht ankratzen, „dann verwenden sie eine rethorisches Instrument, das ich nenne: Dinge erfinden.“ Deshalb will er ein Gesetz einbringen, dass die Verletzung der Netz-Neutralität als unlauteren Wettbewerb brandmarkt.

Alle Unternehmen hätten Lobbyisten, „aber Telekomkonzerne haben viele und die besten“. Auch das Internet brauche Lobbyarbeit – von Gründern. „Politiker hören verzweifelt gern Geschichten von Unternehmern, die Jobs schaffen – sie werden ihre Anrufe beantworten“, sagte er in Richtung der Startup-Starter. Aber alle Nutzer insgesamt sollten aktiv werden: „Es ist Zeit, die Instrumente des Internets zu nutzen, um das Internet zu retten.“

Al Franken rockte den Saal – wie eine Reihe anderer Redner heute. Zum Beispiel Takahito Iguchi, der Gründer des Augmented Reality-Startups Tonchidot. Vor zweieinhalb Jahren hatte ich den hitleresk englisch sprechenden Japaner bei der Techcrunch 50 erlebt. Auch weiterhin hat er die Ausstrahlung eines durchgeknallten Genies.

Diesmal pries auf einem Podium über den japanischen Mobil-Markt die Heimat: „Hier in Amerika sehe ich keine Teenager, die auf ihrem Handy surfen, während sie über die Straße gehen. In Japan sind die Jugendlichen ständig online, egal ob auf der Toilette oder in der U-Bahn. Das ist die Zukunft – Tokio wird sie euch bringen.“

Drei inhaltliche Dinge blieben bei mir hängen:

1. Japaner lieben mobile Spiele, weil sie aufwendiger daherkommen als europäische und amerikanische. Sie sind in Flash programmiert – und praktisch alle japanischen Handys sind Flash-fähig. Bis auf das Iphone, natürlich. Doch gibt es anscheinend halbautomatisierte Anpassungsprogramma.

2. Facebook hebt in Japan nicht recht ab, weil sehr viele Japaner weiter kein Englisch sprechen.

3. Die Nutzung mobiler Fotodienste unterscheidet sich maßgeblich zwischen den USA und Japan. Amerikaner fotografieren vor allem Menschen – Japaner sehr stark ihr Essen.

Begonnen hatte die Diskussion mit einem sehr emotionalen Aufruf, den Opfern in Japan zu helfen.

Gerockt hat – wie immer – auch Gary Vaynerchuck. Der Wein-Videoblogger, der aus dem Schnapsladen seines Vaters den größten Online-Wein-Discounter Nordamerikas machte, hat sein zweites Management- und Motiviations-Buch veröffentlicht: „The Thank You Economy“. Wer ihn noch nie hat sprechen hören, sollte das unbedingt versuchen. Er tigert über die Bühne, zeigt keine Folien sondert redet und flucht. Und nebenbei: Er hat jeden der geschätzt 1000 Zuschauer am Eingang zum Saal begrüßt.

Vanyerchuck glaubt an das Zeitalter der Humanisierung des Geschäftslebens. „Wir sind Menschen, wir müssen alles humanisieren.“ Zum Beispiel Tiere. Erst blieben sie ständig draußen, dann durften sie rein. Dann ins Wohnzimmer. Dann ins Schlafzimmer. „Heute liegt Bello im Bett, isst mehr Gourmet-Essen als du und trägt bessere Kleidung.“ Auch Marken würden bald humanisiert. „Wir sehen einen Wandel, der so radikal ist, dass selbst wir hier ihn unterschätzen.“

Große Unternehmen würden das nicht verstehen, kleine schon: „Der Fleischer um die Ecke ist besser auf 2012 vorbereitet als jeder Konzern.“ Was ja auch meine These in Zusammenhang mit meiner Tante Therese ist. „Große Unternehmen müssen sich die DNA der kleinen implantieren.“

Social Media werde aber zunächst einen Rückschlag hinnehmen, „ähnlich war das mit dem Internet – die Leute hielten es nach der ersten Verbreitung für überschätzt.“ Wie er Kundenservice haben möchte, machte er an einem Beispiel seiner Firma Wine Library deutlich: Ein Kunde sorgte mit seinen ersten beiden Bestellungen für 20.000 Dollar Umsatz. „Wir haben ihn auf Twitter gefunden. Dort sahen wir: Er ist ein großer Fan von Jay Cutler (US-Bodybuilder). Schicken wir ihm also als Dankeschön einen Gutschein, damit er mehr bei uns bestellt? Nein, eine Mitarbeiterin ersteigert auf Ebay einen Jay-Cutler-Fanartikel, dem wir ihm schicken.“

Am Ende ließ Vanyerchuck ein Bömbchen platzen: Er stellt sein Videoblog Winelibrary TV nach über 1000 Folgen ein. Stattdessen startet er ein neues Format namens „Daily Grape„, das auch als Iphone-App zu bekommen ist.

Nach ihm noch ein Rocker. Der sich aber schlecht schildern lässt. Der Web-Designer Jared Spool erläuterte verschiedene Stufen des Designs anhand von Bespielen.

Schwer zu beschreiben, deshalb zu etwas, was mich sprachlos gemacht hat: der Newtek Tricaster. Ein transportables Video-Mischpult, das nur eine winzige Greenwall benötigt -und dann ein komplett wandelbares Studio erzeugt, dass selbst Hobby-Videomacher wie RTL-Ableger erscheinen lässt. Mir klappte die Kinnlade runter.

Und auch am Abend rockte es. Pepsi und Foursquare luden zur Konzertparty im alten Kraftwerk. Headliner war Big Boi – aber Hiphop ist nicht so mein Ding. Locksley und vor allem The Sounds mit ihrer wahnsinnigen Frontfrau waren dagegen ein Hammer – reinhören dringend empfohlen, Konzertbesuch ist Pflicht für Freunde gepflegter Gitarren und rauchender Frontfrauen…


Kommentare


SvenR 16. März 2011 um 10:19

Was das Fotografieren angeht bin ich also Japaner…

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Sportwetten und der Kampf um das Internet 12. April 2011 um 7:52

[…] Denn dank Themen wie Internet-Sperren und Netzneutralität ist das Internet, so wie wir es kennen, ernsthaft bedroht. Wer das verhindern will, der sollte dem Aufruf des US-Senators Al Franken von der SXSW folgen: „Es ist an der Zeit um das I… […]

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Der Kampf um das Internet | Verzeitlichung 12. April 2011 um 16:32

[…] Denn dank Themen wie Internet-Sperren und Netzneutralität ist das Internet, so wie wir es kennen, ernsthaft bedroht. Wer das verhindern will, der sollte dem Aufruf des US-Senators Al Franken von der SXSW folgen: „Es ist an der Zeit um das I… […]

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