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Afghanistan ist das Lieblingsland deutscher Verlagsmanager und Chefredakteure. Ohne den Krieg in Afghanistan, so möchte man meinen, stünde der deutsche Journalismus vielleicht gar erheblich schlechter da. Denn immer, wenn die Rede kommt auf Blogs und neue Formen des Journalismus, schreit es in Vertretern der klassischen Medien auf: „Wer“, rufen sie, „soll denn künftig aus Afghanistan berichten?“

Das ist eine berechtigte Frage – doch beschäftigt sie sich mit einer Randsituation des Journalismus. Das Problem des Journalismus ist nicht Afghanistan – es sind die „Shopping Hotspots im Big Apple“.

Nehmen wir eine ganz normale Tageszeitung – die „Rheinische Post“ – an einem ganz normalen Tag: dem 23.12.2010.

Die 32 Seiten enthalten exakt einen (!) Artikel aus einem nicht-europäischen Land, der von Korrespondenten der Zeitung geschrieben wurde. Es handelt sich um ein Stück über Obamas Erfolg beim Abrüstungsvertrag und enthält nicht eine Information, die nicht durch das Abschreiben von US-Medien zu bekommen gewesen wäre. Jene „RP“-Ausgabe enthält außerdem einen Artikel aus einem Krisengebiet, genauer der Elfenbeinküste. Als Autor zeichnet RP, was bedeutet: Die Zentralredaktion hat verschiedene Agentur- und PR-Mitteilungen schöngeschrieben.  Am ehesten noch in Richtung Journalismus im Ausland geht eine Geschichte über die politischen Ambitionen von Sümeye Erdogan, der Tochter des türkischen Regierungschefs.

Wenn also beim nächsten Mal einer jener Klassikmedienvertreter fragt, wer künftig aus Afghanisten berichten soll, so antworten wir: Die gleichen, die jetzt schon drüber schreiben – die Nachrichtenagenturen.

Tatsächlich aber sind solche Krisenthemen natürlich wichtig, extrem wichtig gar. Das Problem des Journalismus aber liegt ja nicht in Afghanistan – sondern daheim, in der kuscheligen Hauptredaktion. Das demonstriert ein zutiefst unbedeutendes Stück über Weihnachtseinkäufe in New York, veröffentlicht auf Bunte.de.

Ein Bekannter hat es mir zugesandt, wissend dass ich vor Weihnachten in NY sein würde. Und er wusste, was passieren würde: Ich rief „Haben die einen an der Schacke?“

Dieses Häufchen schlampig  zusammengehauener Buchstaben, verfasst von einer Autorin namens Maren Lamersdorf, zeigt mit aller Deutlichkeit, warum Journalisten immer weniger Ansehen genießen, warum Auflagenzahlen sinken, warum die Online-Refinanzierung so schwer ist: Weil nämlich die Masse dessen, was aus Medienhäusern kommt Leserverarschung ist.

„Wir verraten Ihnen die Shopping-Hotspots für Ihren Xmas-Bummel!“, krakeelt die Autorin und natürlich darf das Ausrufezeichen nicht fehlen. Und was sind für sie die heißesten Orte des „Big Apple“? Geheime Schnäppchenparadies? Coole Designer in abgerissenen Lofts?

Nein.

Williams Sonoma. Eine Haushaltswarenkette, die in jeder größeren US-Stadt zu finden ist. Oder noch bizarrer: Sephora – das französische Douglas, eine Massenparfümerie. Und von der behauptet sie auch noch „Hier treffen sich die hippsten New Yorkerinnen auf der Suche nach den angesagtesten Beauty-Produkten.“ Klar. Und Karl Lagerfeld kauft bei Takko.

Noch am ehesten könnte man ja Henri Bendel nehmen, das 115 Jahre alte Traditionskaufhaus mit der schönste Deko (siehe Foto oben) – ein Geheimtipp ist das aber nicht wirklich.

Aber da war ja noch dieser Teeladen Ito En: „Dieser Teeladen wurde vom New York Magazine zum schönsten im Big Apple gewählt…“ Das stimmt zwar – aber diese Wahl fand im Jahr 2003 statt. Und jeder irgendeine New-York-Geschichte schreibende Autor fände, würde er auch nur drei Sekunden lang auf die Homepage des „New York Magazine“ schauen, ein Füllhorn an tatsächlich aktuellen Tipps. Aber dafür müssten man ja zumindest einen faultieresken Hang zur Recherche spüren – und das ist zu viel verlangt von Bunte.de.

Man kann nun mit den Achseln zucken. Es ist halt einer dieser offensichtlichen Versuche einer Internet-Redaktion, Google-Juice zu bekommen. Im Dezember fahren viele Deutsche nach New York, also suchen sie im Internet nach Tipps, also hauen wir ihnen irgendwas vor die Fresse, stümperhaft zusammengequält von buckeligen Textknechten.

Nur: Es findet eben unter einer Marke statt die, trotz des ekligen Agierens ihrer Chefredakteurin Patricia Riekel in diesem Jahr, noch immer eine andere Ausstrahlung hat als „Das Goldene Blatt“. Es ist halt die „Bunte“. Und die will Glamour versprühen. Das aber geht nicht zusammen mit solchen Texten.

Die Redaktionen glauben, die Leser würden so etwas nicht merken. Sie halten ihre Kunden für dumm. Was für eine Hybris: Natürlich merken die Leser das. Und natürlich sind sie in Bruchteilen von Sekunden von der Seite verschwunden, weshalb die Verweilzeiten so gering und die Refinanzierung so schwer ist. Und natürlich merken sie sich eines: Wenn die „Bunte“ Sephora für einen „Shopping Hotspot“ hält, ist ihre Redaktion von Trends und Glamour so weit entfernt wie Offenburg von einer Weltstadt.


Kommentare


Thomas Wiegold 27. Dezember 2010 um 14:21

Ach ja, Afghanistan. Man sollte mal spaßeshalber eine Liste machen, welche deutschen Medien einen Korrespondenten oder gar ein Büro in Kabul oder sonstwo in Afghanistan unterhalten. Vielleicht, wenn man ganz gemein sein will, auch noch unterteilt nach local hires und entsandten Korrespondenten.

Und wenn man dann genug trocken geschluckt hat, legt man die Liste der Medien daneben, die ihren Hauptsitz im oben genannten New York und ein Büro oder mindestens einen Korrespondenten in diesem Afghanistan haben. Sehr aufschlußreich. Und für deutsche Verleger gar nicht so spaßig (aber Nachrichtenagenturen sind generell zu teuer, gell.)

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Das Problem des Journalismus am Beispiel Bunte.de « Carlosprimeros’s Weblog 27. Dezember 2010 um 17:55

[…] Das Problem des Journalismus am Beispiel Bunte.de By carlosprimeros Lesenswerter Beitrag auf Indiskretion Ehrensache: […]

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Angela 27. Dezember 2010 um 22:15

Herzlichen Dank für diesen allzu wahren Artikel! Ich
arbeite seit sechs Jahren in Los Angeles und verzweifele zusehens
an Kollegen, die nie oder nur kurz vor Ort waren, „Hollywood“ aber
in und auswendig zu kennen glauben & Artikel
dementsprechend „verschlimmbessern“.

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media_log 29. Dezember 2010 um 17:05

Zum Glück gibt es ARTE – weniger Glamour, dafür mehr
Qualität: http://nyminute.arte.tv/de/ Würden die auch noch Print
machen, dann … ich mein‘ ja nur …

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Das Problem des Journalismus? « RESSORTJOURNALISMUS HOCHSCHULE ANSBACH 30. Dezember 2010 um 20:18

[…] Die Konsequenzen dieses Beitrags sind für ihn klar:
„Dieses Häufchen schlampig  zusammengehauener
Buchstaben […] zeigt mit aller Deutlichkeit, warum Journalisten
immer weniger Ansehen genießen, warum Auflagenzahlen sinken, warum
die Online-Refinanzierung so schwer ist: Weil nämlich die Masse
dessen, was aus Medienhäusern kommt Leserverarschung
ist.“ Quelle: indiskretionehrensache.de […]

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Alex 1. Januar 2011 um 17:11

> Es findet eben unter einer Marke statt die, trotz des ekligen Agierens
> ihrer Chefredakteurin Patricia Riekel in diesem Jahr, noch immer eine
> andere Ausstrahlung hat als “Das Goldene Blatt”.
Ist dem wirklich so? Ich kann zwischen beiden Blättchen keinen relevanten Unterschied erkennen. Seit vielen Jahren nicht.

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Ronald 6. Januar 2011 um 19:16

Danke für diesen sinnvollen Artikel. Dem üblichen Journalismus deutscher ‚Hofberichterstattungspragung‘ muss in der Tat ganz schnell der Garaus gemacht werden (sprich: die Auflage genommen werden).
Bin mir nur nicht sicher wie das am schnellsten zu bewerkstelligen ist. Zweifel, ob den der gemeine Leser den Weg zum wirklich informativen Qualitätsjournalismus findet, kommen mir im Angesicht der Tatsache, dass im letzten Jahr die durchschnittliche ‚Fernseh-Guck-Zeit‘ um etwa 11 Minuten gestiegen ist. Aber wahrscheinlich sind diese Zahlen von den Fernsehwerbung Vermarktern schön gerechnet, damit ihnen die Werber im TV nicht alle weglaufen.

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Der Komet kommt. Vom Aussterben der Zeitungen | Das Online-Magazin mit Tiefgang. 25. Januar 2011 um 12:01

[…] ist größtenteils kläglich gescheitert. Das Online-Journalismus eher auf Quantität, denn Qualität setzt, stört die LeserInnenschaft nicht weiter – haben […]

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Journalismus in der Kriese « Störgeräusche 25. Februar 2011 um 12:02

[…] Guter Journalismus braucht Zeit, Arbeitszeit aber ist teuer. Wie viel einfacher ist es doch einfach eine AFP Meldung zu nehmen und abzudrucken, oder über etwas zu Schreiben das der Leser nicht kennt und nicht überprüfen kann, das muss dann auch nicht unbedingt stimmen. (Beispiel siehe hier ) […]

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