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Vergangene Woche, auf dem Innovationskongress Picnic, gab es einen Tag lang Diskussionen zur Zukunft des Journalismus. Wer dort zugegen war, atmete Optimismus, Futurismus, er glaubte alles sei gut. Tatsächlich aber saß dort niemand aus der Reihe der Digital-Hasser. Kein Hans-Werner Kilz, kein Bernd Naumann, kein Michael Konken. Es trafen sich dort jene, die an den Wandel des Journalismus glauben, gar auf ihn hoffen – und darin eine riesige Chance sehen.

Aber das war in Amsterdam. Und hier ist Deutschland.

Da fällt es auf, dass keiner der großen Verlage mit dem Facebook-I-Like-Button experimentiert. Als das Social Network ihn präsentiert war meine Meinung: Inhaltelieferanten sollten ihn definitiv testen – für Facebook könnte er ein Risiko werden.

Rund ein halbes Jahr später präsentiert Facebook nun zahlen. Und die sind – wenn auch sicherlich aus Vertriebssicht geschönt – schockierend. Schockierend gut, aus Sicht derjenigen, die mitmachen. Und sie deuten an, was da auf Verlage zukommt: Die nächste große Welle der Veränderung, auf die in Deutschland keiner von ihnen wirklich eingestellt ist.

Nach der Integration des I-Like-Knopfs konnten Nachrichtenseiten ihre Zugriffszahlen laut Facebook in fantastilliardischer Art nach oben treiben: ABC News brachte es auf ein Plus von 190%, Sporting News gar um 500%.

Noch wichtiger: Die über Facebook hereingerauschten Leser blieben anscheinend deutlich länger als die, die über Google kamen. Die Homepage der Eishockey-Liga NHL meldet fast eine Verdopplung der abgerufenen Seiten pro Leser und ein Plus in der Verweilzeit von 85%.

Dahinter dürfte ein schlichtes menschliches Spiel stecken: Wer eine Nachrichtenseite besucht, klickt nur wenige der dort angebotenen Schlagzeilen an. Schickt aber ein Freund eine E-Mail mit dem Hinweis: „Das musst Du lesen“ – so klicken wir. Das war einer der Gründe, warum sich jener I-Love-Virus im Jahr 2000 so schnell verbreitete: Eine E-Mail einer bekannten Person mit einer Zuneigungs-Bekundung –  zack, der normale Mensch klickt.

Persönliche Empfehlungen sind uns mehr wert als die Filterung durch eine anonyme Marke. Das ist nicht neu, wir haben es nur ein wenig vergessen. Social Media bringt dieses Denken zurück. Und das bei Produkten wie bei Nachrichten. Auch die wurden schon immer mit Empfehlung weiter gereicht. „Hast Du schon gehört“ ist nicht umsonst der häufigste in Kaffeeküchen gesprochene Satz.

Immer schon gab es dann auch jene Menschen, die besonders einflussreich waren. Denen man Kompetenz in bestimmten Feldern zutraute und die scheinbar immer am besten informiert waren. Die Nutzer des I-Like-Buttons sind so etwas wie das digitale Gegenstück. Sie haben doppelt so viele Facebook-Kontakte wie der Durchschnitts Gesichtsbucher, ihr Durchschnittsalter ist 34, was für Verlage vielleicht angesichts des deutlich höheren Alters von Print-Lesern interessant ist.

Verlage aber sind größtenteils nicht Teil dieser Empfehlungs-Ökosysteme. Die meisten belassen es bei platten Schlagzeilenvermeldungsinstrumenten wie automatisierten Twitter-Feeds. Jene geringe Zahl von Journalisten, die persönlich Artikel empfehlen, erleben schnell erhebliche Zugriffssteigerungen auf ihre Arbeiten.

Immerhin: Ein klein wenig tut sich was. Die Zahl der Lokalzeitungsredakteure, die bei Facebook auftauchen, steigt. Interessant könnte zum Beispiel das Profil von „Mainpost“-Mann Anton Sahlender werden: Er will mit Lesern diskutieren – ein klein wenig was ist schon los.

Letztlich aber sind dies in Deutschland noch Ausnahmen. Na gut, könnte man denken, wenn es keiner macht… Passieren aber wird etwas, was den Verlagen nicht recht sein wird. Unternehmen werden sich Stück für Stück über ihre Homepages zu Informationsdienstleistern machen. Dabei sind sie viel weiter in ihren Social-Media-Experimenten als die Medienhäuser. So lange aber Tage nur 24 Stunden haben besteht so die Chance, gerade die besonders kommunikativen Online-Nutzer von Verlags-Angeboten abzuziehen – womit diese noch weniger Empfehlungs-Traffic erhalten.

Wenn Verlage nicht bald erkennen, dass Suchmaschinenoptimierung nicht mehr die Zukunft sondern der Alltag und das Fundament ist – die Zeit aber längst weiterschreitet, werden sie online ein noch größeres Problem bekommen, als sie es ohnehin schon haben.

(Foto: Shutterstock)


Kommentare


Sebastian Holzapfel 30. September 2010 um 15:06

Guten Tag,

sehr gut sichtbar ist die Veränderung, die Facebook den Verlagen (gewollt oder ungewollt) bringt, auch an anderer Stelle: Postet ein Regionalzeitungsverlag eine Nachricht auf seine Facebook-Seite, sehen dies vielleicht 500-1000 Fans, ein paar Dutzend drücken den „Like“-Button und eine handvoll kommentiert sogar – vielleicht.
Dann aber kommt der örtliche Bundesligist mit seiner „Presseschau 2.0“, stellt den gleichen Artikel des Verlages auf seine Facebook-Seite (mit 50.000 Fans) und generiert spielend hunderte von Kommentaren. Integrieren die Verlage die Facebook-Social-Graph-Funktionen, sehen sie wenigstens, wie oft ihre Texte wahrgenommen werden. Zudem machen Sie es den Usern leichter, die Nutzung des eigenen Angebots mit der von Facebook zu verbinden. Tun sie es nicht, geht (wieder) alles an ihnen vorbei.

Beste Grüße
Sebastian Holzapfel

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Tak 30. September 2010 um 15:12

Mir fehlt da leider die im damaligen Artikel angesprochene Filtermöglichkeit.
Kurze Zeit, nachdem der Like Button aufkam entstanden bereits massenhaft Seiten, die im Prinzip nur dumme Sprüche listen, wo neben jedem Spruch ein Like Button klebt.
Wenn das Umfeld auf Facebook jung genug ist, wird man dermaßen mit sinnlosen Likes zugemüllt, dass man kaum noch durchblickt. Mir fällt das bei meinem recht engen und in dieser Beziehung vermutlich nicht übereifrigen Kontaktkreis schon auf.
Die Möglichkeit, bestimmte Quellen zu filtern, wie das z.B. bei den Applications ohne weiteres möglich ist, fehlt einfach.

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