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Ich bin der Meinung, dass wir über diese Jahre, die Jahre ab 2006 einmal zurückblicken werden mit der Erkenntnis: Es ist die Zeit, da Deutschland sich aus der Reihe der führenden Wirtschaftsnationen offenen Auges verabschiedet hat. Denn in diesem Kreis kann nur mitspielen, wer die digitale Technologie als den entscheidenden Schlüssel für die Zukunft begreift.

Deutschland tut das nicht. Es beginnt mit einem generellen Hass gegenüber Themen wie Google Streetview. Es geht weiter mit einer elitären Verneinungshaltung im Alltag („Nein, meine Kind bekommt keinen Computer.“). Der mangelnden Fortbildung der Lenker in Staat und Wirtschaft. Und auch einer unfassbaren Nonchalance gegenüber Technik. Noch immer hat Deutschland keinen digitalen Polizeifunk – und niemand regt sich darüber auf. Das große Bundeswehr-IT-Projekt ist ein Exempel extremer Schludrigkeit – wen kümmert’s. Und Informatik-Studenten klagen darüber, dass sie in ihrem privaten Umfeld zu hören bekommen, sie seien noch Nerds und Freaks.

In diese Reihe passt die jüngste Äußerungen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Er ist zwar so etwas wie der Einäugige unter den Blinden. Doch nachdem der neue digitale Personalausweis gehackt wurde, demonstriert er genau jene Nonchalance, die das Problem ist in Regierung und Wirtschaft:

„Irgendwelche Hacker mögen immer irgendwas hacken können, aber die Zuverlässigkeit und Sicherheit des neuen Personalausweises steht nicht in Frage.“

Das stimmt zwar irgendwie – aber nicht so, wie er glauben machen will: Der neue Personalausweis ist nicht sicher. Punkt


Kommentare


Informatik-Student 23. September 2010 um 7:24

„Und Informatik-Studenten klagen darüber, dass sie in ihrem privaten Umfeld zu hören bekommen, sie seien noch Nerds und Freaks.“

Das mag auch daran liegen, dass es zwischen diesen Gruppen eine gewisse Schnittmenge tatsächlich gibt. Ich empfinde es aber im Zweifelsfall nicht als schlimm, Freak oder Nerd zu sein – langweilig kann schließlich jeder. 😉

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Eric 23. September 2010 um 7:32

Ach, komm. Erstens denke ich nicht, dass Deutschland wegen einer kritischen Haltung gegenüber eines Google-Dienstes den wirtschaftlichen Anschluss verliert. Das ist ein bisschen überzeichnet, oder?

Zweitens ist es ja genau das kritische Wesen der einen Seite, die der anderen fehlt: Ganz offenbar findet unser Innenminister es nicht besonders wichtig, über Datenschutz nachzudenken. Das sollte und muss man ihm tatsächlich zum Vorwurf machen. Aber genau deshalb sollte man den Bürgern, die lieber selber mal über Datenschutz nachdenken (und dabei sicherlich im Fall von StreetView auch zu etwas überzeichneten Haltungen kommen) eigentlich keinen Vorwurf machen. Ich finde schon, dass man den Politiker – aber eben auch großen Konzernen (und sogar Google) – sehr genau auf die Finger schauen sollte.

Nicht jeder kann sich in aller Tiefe mit allen Internet-Themen beschäftigen und deshalb kommt es in einer großen Gesellschaft auch merkwürdigen Meinungen. Aber eine kritische Haltung ist immer noch besser als „Klappe halten“. Und, hey: Auch in Sachen StreetView sollte man Meinungsvielfalt akzeptieren…

Die anderen Punkte wie Polizeifunk, mangelnde Fortbildung u.s.w. finde ich alle sehr richtig.
eric

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Sagichnicht 23. September 2010 um 7:53

Ja die Polizei und der Digitalfunk … ich kenne das aus dem bereich der Feuerwehr. Nicht nur, dass der Digitalfunk seit Jahren überfällig und notwendig ist, sondern zusätzlich ist das bevorzugste System auch noch eins der schlechtesten,auf dem Markt angebotenen. Man kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn man solche Projekte, deren Ausführung und deren „Experten“ sieht …

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_Flin_ 23. September 2010 um 8:52

Ich erlebe es tagtäglich bei der Arbeit, dass auch in der Wirtschaft kein Technikverständnis vorhanden ist. Man möchte günstige Systeme, am besten Standards, aber wehe, man muss sein eigenes Tun ändern, um sich dem Standard anzupassen. Nein, da wird lieber viel Geld ausgegeben, um den Standard dem eigenen Tun anzupassen, und sei der Grund auch noch so trivial.

Und wenn man dann so viel Geld ausgegeben hat, dann muss man natürlich auch jeder Zeit behaupten, das sei gut. Sonst steht man ja blöd da. Und das ist, was grad mit dem Perso passiert. Was ich nicht weiter schlimm finde. Schlimm wirds erst, wenn man seinen eigenen Mist auch noch glaubt und solche Dinge wie „Umsatzsteuervoranmeldung nur noch mit ePerso“ oder „Internet ab 18 nur mit ePerso“ veranstaltet und dann damit ganz Deutschland dazu zwingt, den Schrott auch noch zu verwenden.

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redsox 23. September 2010 um 10:59

Ein bisschen polemisch, aber im Kern richtig.

In der IT ist es wie im Energiesektor: keine gebündelte Kompetenz. Da mischt das Innen-, Umwelt-, Wirtschaftsministerium und weiß ich wer noch, mit, stehen sich dabei gegenseitig im Wege.

Keine Richtlinie, kein Ziel, keine Vision. Es ist nichts erkennbar.

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Ulrich Voß 23. September 2010 um 11:39

Ich finde es ebenfalls ewas übertrieben, allerdings kann ja auch niemand verlangen, dass in jeder Diskussion über die Technikfeinlichkeit in Deutschland jedes Mal wieder alle Punkte aufgezählt werden … Würde auch langweilen …

De Maizière hätte mit seiner Einstellung ganz gut in den rheinischen Kapitalismus gepasst. „Et kütt wie et kütt “ oder besser „et hätt noch immer jot jejange“. Ich finde eher, dass de Maizière mehr ein Paradebeispiel für die übliche Problemleugnerei liefert als für Technologiefeindlichkeit. Beim Leugnen des Rentenproblems wurden Jahrzehnte verpennt, in der „die Rente ist sicher“ galt. Beim Leugnen der Schulproblem vergingen Jahrzehnte, in denen mangelnde Mathekenntnisse mit (angeblich) „gutem Demokratie- und Textverständnis“ schön geredet wurden (bis PISA die Maske runterriss und keiner mehr platte Ausreden bringen konnte). Und in der Migrantendiskussion brauchte es einen Sarrazin (Disclaimer: Kenne das Buch nicht und halte ihn für einen Rassisten), damit eine lange überfällige Diskussion in Gang kam. Auch hier wird schon mindestens 20 Jahre lang verdrängt.

Das Problem ist, dass der Zeitraum, den Vertuschung und Verdrängung „bringen“, länger ist als die Zeitdauer, die ein Politiker üblicherweise an der Spitze steht.

Naja, jetzt behaupte ich, dass die Politiker Probleme vertuschen Aber vielleicht ist es schlimmer und sie erkennen die Probleme gar nicht, weil sie einfach keinen Plan haben. Ich weiss dann nur nicht, was schlimmer ist …

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Lars 23. September 2010 um 14:07

Ich glaube, man darf Politik und (Massen)Medien nicht als Spiegel der Gesellschaft ansehen. Natürlich gibt es überall die Ängstlichen, Skeptiker, Verleugner und Ignoranten. Es gibt allerdings auch überall die anderen, die im Zweifelsfall weniger Aufmerksamkeit bekommen oder stiller sind und ich bin mir nicht sicher, ob diese Anderen gerade in Wirtschaft und Gesellschaft wirklich in der absoluten Minderheit sind.
Und ich bin mir auch nicht sicher, dass es in anderen Ländern grundsätzlich besser aussieht.

Und Politiker sagen eh nur das, was sie – aus irgendwelchen schwer nachvollziehbaren Gründen – meinen, sagen zu müssen.

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vivec 23. September 2010 um 14:55

“Und Informatik-Studenten klagen darüber, dass sie in ihrem privaten Umfeld zu hören bekommen, sie seien noch Nerds und Freaks.”

Ich studiere das als Frau, was glaubst du,w as ich zu hören bekomme 😀

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hans 23. September 2010 um 16:48

Solange im Billiglohnland D-Land die Fertigkeit des Kopierens beibehalten wird – unterhaltsam zu betrachten unter www.gruenderszene.de -, braucht man sich keine Sorgen zu machen. Gruenderszene bietet Berichterstattung vom Feinsten und mittlerweile hat man sich auch durchgerungen, nach ein paar Bilanzzahlen zu fragen. Die Pleiten nehmen in letzter Zeit etwas zu.

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Glanzlichter 34 « … Kaffee bei mir? 23. September 2010 um 18:18

[…] Kai Biermann Wenn die Identität weg ist „Das ursprünglich ‘elektronischer’ und jetzt ‘neuer Personalausweis’ genannte System soll eigentlich das Leben im Netz sicherer machen.“ Die Reaktion auf den CCC-Test beschreibt Thomas Knüwer in Das deutsche Problem am Beispiel Thomas de Maizière […]

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Glanzlichter: Sarkozy, zukünftige Grimme-Preisträger und ein digitaler Erstschlag — CARTA 23. September 2010 um 19:07

[…] Kai Biermann Wenn die Identität weg ist “Das ursprünglich ‘elektronischer’ und jetzt ‘neuer Personalausweis’ genannte System soll eigentlich das Leben im Netz sicherer machen.” Die Reaktion auf den CCC-Test beschreibt Thomas Knüwer in Das deutsche Problem am Beispiel Thomas de Maizière. […]

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Ari 24. September 2010 um 14:21

„Und Informatik-Studenten klagen darüber, dass sie in ihrem privaten Umfeld zu hören bekommen, sie seien noch Nerds und Freaks.“
Das mag ja stimmen, dass sie das zu hören bekommen. Aber was ist ein Nerd? Dieser Begriff ist mittlerweile genauso aufgeweicht, schwammig definiert und daher unbrauchbar ist wie der des Hackers.

Die (oft berechtigte) Kritik an der fortschrittsfeindlichen Einstellung in Ehren, mir entzieht sich der Zusammenhang zwischen der Ablehnung von Streetview und den (völlig lächerlichen) Aussagen unsere Innenministers zum elektronischen Personalausweis. In meinen Augen gibt es diverse, gut und schlechte Gründe, einige Angebote diverser IT-Firmen kritisch zu sehen. Das mag auch sehr auf den eigenen Typ ankommen und wie man leben möchte. Nicht jede Ablehnung kommt von Technikfeindlichkeit!

Nur was hat das mit dem ePass zutun? Sie lassen mich diesmal wirklich verwirrt zurück…

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Angelika 24. September 2010 um 18:04

danke Herr Knüwer, entpsricht meiner Analyse und privaten Gedanken zu dem, was nicht nur in diesem Bereich in Dld. so „abgeht“.
und realistische Prognose : es wird sich nicht positiv verändern, au contraire. ebenso das Wissen warum dies so ist.

methinks „Worte reflektieren die Denke.“

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Jeff Kelly 25. September 2010 um 11:47

Das Problem geht tiefer auch wenn die grundsätzliche Analyse recht treffend ist.

Ich habe als Informatiker nun schon fast zehn Jahre Berufserfahrung und meine Erfahrung bisher zeigt, das alles was mit IT und Softwareentwicklung zu tun hat nach wie vor als reine Hilfswissenschaft begriffen wird.

Sehr sehr viele Firmen in Deutschland begreifen Software/Hardware nicht als ihre Kernkompetenz, obwohl sie es meistens ist.

Ein Beispiel: Ich hatte mal mit dem Weltmarktführer im Bereich Bremssysteme für Nutzfahrzeuge zu tun. Eine Firma mit Sitz in der Nähe von Stuttgart und tausenden Mitarbeitern weltweit. In der Systementwicklung gab es keinen einzigen ausgebildeten Softwareingenieur oder Informatiker, weder Uni noch FH ja nicht einmal Fachinformatiker. Stattdessen sehr viele Ingenieure der Regelungstechnik und Elektrotechnik die die Software dort entwarfen. Zum Großteil war deren Wissen zwanzig Jahre alt und sie waren zum größten Teil Autodidakten, da bis fast über das Jahr 2000 hinaus, Softwareentwicklung in den klassischen Ingenieursberufen nicht Teil des Curriculums war.

Außerdem war alles was unbequem war oder nicht als zum Produkt gehörig empfunden wurde längst outgesourct. Auf meine Nachfragen warum das so sei antwortete man mir: „Wir bauen Bremssysteme, keine Computersysteme.“ Dabei total ignorierend, dass das was vor zwanzig Jahren noch ein komplexes elektromechanisches/elektropneumatisches System war, heute von einer kleinen elektronischen Schaltung mit Mikrokontroller und komplexer Steuerungssoftware erledigt wird.

Nimmt man den Teil aus dem System Bremse raus, bleibt fast nichts mehr übrig, ich würde das als Kernkompetenz begreifen, diese Firma tat es nicht.

Gleiches erlebt man überall von der kleinen Klitsche bis zum Großkonzern. Wissen über Softwareentwicklung ist zwei Dekaden alt, es gibt keine ausgebildeten Softwareingenieure vor Ort sondern hauptsächlich Autodidakten. Die Arbeit selbst wird noch nicht einmal als essenziell begriffen sondern am liebsten gleich an Dienstleister im In- und Ausland ausgelagert. Es gibt bei den großen Elektrokonzernen Bosch, Conti und Siemens ganze Abteilungen die nur noch aus einer Rumpfmannschaft bestehen, deren Aufgabe es ist die zahlreichen Dienstleister zu koordinieren.

Über die Arbeitsbedingungen bei den Dienstleistern könnte ich noch einen solchen Post füllen..

Alle von ihnen aufgezählten Projekte sind im Kern reine Softwareprojekte, digitaler Behördenfunk benötigt zwar Hardware, aber die komplette Steuerung wird ja auch im Handy von Software erledigt. Da liegt aber gerade in Deutschland viel im Argen.

Viele meiner Kollegen sind entweder schon oder überlegen ernsthaft ins Ausland zu gehen. Viele Personaler in Deutschland sehen Softwareentwickler mit ähnlicher Verwirrung wie ein Affe, dem man einen Akkuschrauber gibt. Hängt auch damit zusammen wie diese Firmen entstanden sind.

Nimmt man mal SAP und mit Abstrichen Datev raus dann tut man sich in DE schwer echte Softwareschmieden zu finden (es gibt sie aber selten und nicht sonderlich bekannt). Selbst Firmen die angeblich ihr Geld damit verdienen, wie z.B. die T-Systems verhalten sich da wie Anfänger.

Ich persönlich bin ja mal gespannt wie lange die Dienstleister vor allem in Indien und China noch für uns arbeiten und ab wann sie uns Konkurrenz machen. Viele deutsche Geschäftsführer haben da ja eine chauvinistische Haltung ganz nach dem Motto: „Das was wir hier machen ist so komplex, dass begreifen die Eingeborenen dort eh nie“.

Wohin das führt zeigt das Beispiel Japan und der Niedergang der US Automobilindustrie.

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Jeff Kelly 25. September 2010 um 16:03

Verwandtes Thema:

ITler unter Stress: Burn-out programmiert:

http://www.heise.de/newsticker/meldung/ITler-unter-Stress-Burn-out-programmiert-1096291.html (heise.de)

Zitat: „Erschöpfungssymptome, Gesundheitsschäden und Leistungseinbußen: Nur noch 37 Prozent der IT-Spezialisten glauben, ihre Tätigkeit sei auf Dauer durchzuhalten“

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André 26. September 2010 um 13:45

„Und Informatik-Studenten klagen darüber, dass sie in ihrem privaten Umfeld zu hören bekommen, sie seien noch Nerds und Freaks.“

Was die Studenten da zu hören bekommen, ist _ein_ Problem. Ein anderes ist, dass sie sich darüber beklagen, anstatt die Sache aktiv anzugehen. Versucht mal irgendjemand, das zu ändern? Wohl kaum.

Mich hat es auch gewurmt, dass niemand wusste, „was ich als Softwareentwickler den ganzen Tag so mache.“ Also blogge ich jetzt drüber — in der Hoffnung, wenigestens ansatzweise einen Einblick zu geben, woraus unsere tägliche Arbeit besteht.

P.S.: Auf der Mobilversion der Website kann ich mit dem iPhone kommentieren, mit dem Hinweis, ich müsste die Pflichtfelder Name und E-Mail ausfüllen. Hatte ich aber.

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prüfer 27. September 2010 um 16:16

Das Mitgefühl für IT-ler kann ich nicht verstehen. Der technische und und prozessuale Fortschritt kommt bei den Usern doch überhaupt nicht mehr an. Um trendige Gimmicks anzubieten (wir sind ja so modern!) werden bewährte Prozesse eingestampft oder mit neuen Funktionen aufgebohrt, die nur einen grenzwertigen Zusatznutzen für den Anwender bringen.
PS: der E-Perso wurde doch nicht gehackt, sondern ein Lesegerät??

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Dr. D. 29. September 2010 um 12:13

http://n1ls.de/wp-content/uploads/2010/09/Hackers_gonna_hack.png

xDD

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