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Endlich! Nach Tagen des Innendienstes erlebt Olympia-Korrespondent Grischa Brower-Rabinowitsch Winterspiele hautnah. Ein Erlebnisplus. Auf der Minus-Seite: ein paar Handschuhe und ein Feuerzeug. Endlich! Gestern habe ich das erste Mal Olympia-Sport live vor Ort gesehen. Nicht, dass alles glatt gelaufen wäre ? die Hoffnung darauf habe ich nach knapp einer Woche in Sestriere inzwischen abgeschrieben. Aber herrlich war es doch, sich bei den Langläufern zu sonnen.

Der Team-Sprint der Damen und Herren stand auf dem Programm. Erstmals durfte Evi Sachenbacher-Stehle nach ihrer Schutzsperre starten. Doch beinahe hätte ich ihren ersten Lauf in Pratelago, etwa 10 Kilometer von Sestriere entfernt, verpasst.

Um 9.30 Uhr fährt – erstaunlicherweise fast pünktlich – ein Shuttle-Bus, den ich gerade noch so bekomme. Er ist voll mit Fans, deutschen, russischen und kanadischen. Ein paar Minuten vor zehn hält er das erste Mal in Pratelago, die Haupttribüne kann ich schon erkennen.

Doch zu meiner Überraschung macht kein Fan Anstalten, auszusteigen. Also kämpfe ich mich bis zum Busfahrer vor und frage nach dem Media Center. „No comprendo, no comprendo“, sagt er und zuckt mit den Achseln.

Ok, denke ich, frage ich doch mal den netten Carabinieri, der in der ersten Reihe sitzt. Ich verkürze meine Frage schon auf „Media Center?“ Die Antwort ist ein verwirrender Schwall Italienisch und ein wildes Fuchteln mit den Armen. Ich glaube, eine Armbewegung in Fahrtrichtung zu erkennen, und setze mich wieder hin.

Der Bus fährt fünf Minuten weiter und hält dann mitten an der Straße an. Nun strömen die Fans hinaus, also folge ich ihnen. Nach einem knapp siebenminütigen Fußmarsch erreichen wir den Eingang ? den, der ausschließlich für Fans vorgesehen ist. Der Typ an der Sicherheitsschleuse (wie am Flughafen) ist cool. Er kann wenigstens gebrochen Englisch. Uncool ist, was er sagt: „Press Entrance not here. Two Kilometers. This direction“. Er zeigt genau in die Richtung aus der der Bus gekommen war. Mir klappt nicht nur sprichwörtlich die Klappe herunter, was ihn noch zu einem freundlichen „Sorry“ verleitet. So ungefähr muss ein Franzose klingen, der jahrelang in Oberbayern gelebt hat und versucht Englisch zu sprechen.

In diesem Moment merke ich, dass ich irgendwie kalte Hände habe. Meine Handschuhe? Im Bus liegen gelassen. Nun wärmt das edle Ledererzeugnis wohl die kleinen Finger eines Macho-Italieners. Meine Laune steigt…

„Irgendwie nicht mein Tag“, denke ich schon – und habe ausnahmsweise Glück. Kaum bin ich wieder zurück an der Haltestelle – kommt doch tatsächlich ein Bus. Fünf Minuten später bin ich am richtigen Ausstieg, nochmal fünf Minuten durch Matsch und dreckigen Schnee und ich bin auch am richtigen Eingang.

Nun schnell durch die Schleuse – doch so einfach ist auch das nicht. Meine Uhr zeigt 10 Uhr 20, der Wettbewerb läuft seit 20 Minuten. Das interessiert die sieben (!) Carabinieri, die an der einen Schleuse Dienst tun, herzlich wenig. In aller Seelenruhe erklärt mir einer in Zeichensprache, was ich tun soll. Dabei schließt er die Möglichkeit aus, dass ein ausländischer Journalist eventuell schon mal die Sicherheitskontrolle eines Flughafens passiert hat, also ein gewisses Grundwissen mitbringt.

Dann konfisziert er auch noch mein Feuerzeug (es sind rauchfreie Spiele). Ich winke meinem feurigen Begleiter in der Gewissheit, ihn nie wieder zu sehen, zum Abschied noch traurig hinterher.

„Ich bin drin!“, jubele ich trotz aller Widrigkeiten und mache mich auf dem Weg zum Pressezentrum – erst einmal die Lage peilen. Das VPC (Venue Press Center) ist erstaunlich voll. Eine Menge Kollegen sitzen an den Tischen und arbeiten oder schauen sich das laufende Rennen an ? im Fernsehen…

Bevor die Sieger sich ins Ziel kämpfen, wäre ein Frühstück gut – später wird keine Zeit dazu sein. Doch zwei Euro für einen halben Liter Cola? Als ich beim Essen vor dem ersten Gericht eine 6 vor dem Komma sehe, lasse ich die Mahlzeit ausfallen. Mittags wird es leckeres, bayerisches Essen im Deutschen Haus geben – Immer schön deftig.

Die Pressetribüne ist leicht zu finden. Wobei die Bezeichnung „Tribüne“ reichlich geschmeichelt ist: Die Presse musste stehen. Die Sicht ist aber super, ich habe Anzeigetafel, den riesigen Bildschirm, die Zuschauertribüne direkt unter mir und die ganze Strecke gut im Blick. Und die Sonne wärmt das Gesicht. Herrlich.

Nach einigen Minuten wird mir klar, warum ich der einzige Journalist dort bin.

Ich verfolge noch das Halbfinale der deutschen Damen und ziehe dann los, die Mixed Zone zu suchen. Dort werden die Sportler nach dem Rennen durchgeschleust und müssen den Journalisten Rede und Antwort stehen. Natürlich ist zuerst das Fernsehen dran, die Kollegen warten gerade gemütlich auf die Sportler:

Nach den TV-Leuten kommen die Radiosender und erst zum Schluss wir Printjournalisten. Natürlich erzählen die meisten Athleten dann zum dritten Mal das Gleiche, im schlechtesten Fall auch schon zum vierten Mal. Denn bevor sie in die Mixed Zone kommen, werden die deutschen Athleten erst einmal live von ARD oder ZDF interviewt.

Sei’s drum, wir von Print sind natürlich überzeugt, dass wir die besseren Fragen stellen.
Nach der Orientierungsrunde geht es zurück zur Tribüne für das Finale der Damen.
Dabei komme ich noch an der Horde Fotografen vorbei, die hinter dem Zieleinlauf stehen:

Kurz vor Ende des Rennens kommen die hektischen Momente. Ich muss mit meiner Laptoptasche unter dem Arm wieder zurück in die Mixed Zone rennen. Dort ist es inzwischen schön kuschelig, denn es drängelen sich eine Reihe von Journalisten, die meisten davon auch noch deutsche. Die Zahl der Berichterstatter pro deutschem Teilnehmer steigt in unbequeme Höhen.

Ich ernte ein paar böse Blicke, denn so manch ein Kollege mag es nicht, wenn ein „Außenseiter“ bei „seiner Evi“ und „seiner Viola (Bauer)“ auftaucht. Dafür steht ein Kollege von einer anderen großen Tageszeitung neben mir, der auch zum ersten Mal einen Langlauf verfolgt. „Viola Bauer hätte ich nicht erkannt“, gesteht er mir ? und ich beichtet, das es mir genauso geht. Nun, wir Außenseiter lassen uns nicht unterkriegen und drängelen fleißig mit, als die Sportlerinnen dann auftauchen.

Von unserer Position in der Mixed Zone können wir leider aber die Strecke nicht mehr sehen. Und ich stelle verblüfft fest, dass das Herrenfinale schon längst läuft ? zur Tribüne zurückgehen lohnt nicht mehr, denn Viola Bauer steht immer noch bei uns. Aber zum Glück quasselen die Stadionsprecher die ganze Zeit: Abwechselnd in Italienisch, Französisch, Englisch und Deutsch. So bleiben wir alle gleich stehen und hören uns das Herren-Finale an. Das hätte man im Fernsehen besser gesehen.

Wenigstens bekommen wir Jens Filbrich vor die Mikrofone (vorne ist meins, ich lag halb auf einem Kollegen!) und alles ist schon wieder vorbei.

Ich beschließe, wieder zurück zum Deutschen Haus zu fahren um meinen Artikel zu schreiben, denn im Pressezentrum ist es bullig warm und ich habe noch genügend Zeit: Es ist gerade erst 12 Uhr. Vorher will ich aber doch noch einmal nach meinem Feuerzeug fragen (in Zeichensprache). Und zu meiner Überraschung führt mich der gleiche Carabinieri in einen Nebenraum und zeigt in einen Pappkarton. Mein Feuerzeug habe ich zwar nicht gefunden, aber die Auswahl ist ja groß genug:

Autor: Grischa Brower-Rabinowitsch.

Alle Ausgaben des Ringe-Reporters gibt es hier.


Kommentare


ein fan 16. Februar 2006 um 12:06

köstlich!

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Grischa Brower-Rabinowitsch 17. Februar 2006 um 11:07

Danke!

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snouka 18. Februar 2006 um 10:29

zwei Euro für nen halben Liter Cola? Ist doch ganz passabel! Im Cinemaxx in Hamburg kostets mehr! 🙂

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