Skip to main content

Haßloch ist Deutschland, Deutschland ist Haßloch – zumindest, wenn es um Konsumgüter geht. Die lassen viele große Hersteller zuerst von der GFK in diesem pfälzischen Örtchen testen, weil dessen Bevölkerung angeblich so tickt wie ganz Deutschland.

Überall gibt es solche Orte und Regionen, deren Demographie oder Bevölkerungsverhalten sich in ausreichendem Maße deckt mit einer größeren Grundgesamtheit. Und ich habe das Gefühl, für den Digital- und Wirtschaftsstandort Deutschland gibt es auch so ein Haßloch. Es heißt: Düsseldorf.

Betrachten Sie dazu bitte dieses Bild:

Pokemon Go Düsseldorf

Es zeigt eine kleine Brücke, die beide Seiten der Königsallee verbindet, jener legendären Einkaufsstraße. Bis vor einigen Wochen war es tagsüber etwas leerer. Abends aber so ähnlich wie hier – am Wochenende wurden auch noch Grills angeworfen.

Für einige Zeit war jene Girardet-Brücke nämlich einer der heißesten Pokémon Go-Orte der Welt, standen doch an allen vier Seiten Pokéstops und sorgten so einerseits für die Möglichkeit, diese alle paar Minuten zu melken und so Zubehör zu erhalten, andererseits ziehen solche Pokéstop-Häufungen eine erhöhte Zahl von Pokémons an.

Die Stadt musste reagieren: Die kleine Brücke wurde für den Autoverkehr gesperrt, der ohnehin nicht durchkam. Große Auswirkungen hatte das nicht: Düsseldorfer leben seit rund einem Jahrzehnt auf einer gigantischen Baustelle, für sie sind Sperrungen und Umleitungen der Normalzustand. Auch mussten zwei Dixie-Klos her, denn öffentliche Toiletten gibt es in dieser Gegen keine (was der Stadt auch nicht gerade ein gutes Zeugnis ausstellt).

Mit einem Mal war Düsseldorf – cool.

Aus der Region reisten Menschen heran, trafen sich, regelmäßig sah man Interessierte Nicht-Spieler ins erklärende Gespräch mit Spielern vertieft. Und die Kö – am Abend so belebt wie in Kleinstadtfriedhof um Mitternacht – war auch bei Dunkelheit zum ersten Mal belebt. Mehr noch: Die Beraterin einiger Handelsunternehmen berichtete beim IBM Futurist-Treffen vor der DMEXCO, einige ihrer Kunden hätten sich darüber gefreut, dass „endlich“ mal jüngere Verbraucher angelockt würden und diese tatsächlich Käufe tätigten.

Und heute?

Ist alles wieder wie in den Jahrzehnten zuvor, denn zwei dieser Pokéstops existieren nicht mehr und vermutlich lag dies daran, dass die Stadt Düsseldorf den Spielanbieter Niantic gebeten hat, sie abzuschalten.

Gut, Düsseldorf ist spießig, werden viele denken (und haben damit natürlich recht – Düsseldorf ist furchtbar spießig). Doch will die Stadt ja gerade anders sein. Mehr noch: Mit donnernden Worten behauptet Oberbürgermeister Thomas Geisel, sein Reich sei eine Startup-Metropole. „Eine Willkommens-Kultur für Startups„, forderte er vergangenes Jahr in einer geschmacklich volatilen Verwendung des Begriffes, die Stadtsparkasse solle Startups fördern und direkt nach seiner Wahl schwärmte er laut „Rheinischer Post“ davon, dass sich „bei der „Start-up-Unit“ um ein Reisestipendium für internationale Konferenzen bewerben könnten und in der Innenstadt „Start-up-Showrooms“ entstehen sollten, „um auch bei Bürgern das Gefühl für den Start-up-Standort Düsseldorf zu wecken„.

Wer nüchtern auf solche Pläne blickt, schwankt zwischen Verständnislosigkeit und haltlosem Kichern. Denn es gibt sicher nur wenige Städte in der Republik, die weniger als Startup-Standort geeignet wären: Die Büromieten in der Stadt sind hoch (trotz ordentlicher Leerstände), die Lebenshaltungskosten sind hoch, die Stadt hat nicht die Coolness, um junge Menschen anzuziehen, die Breitbanddurchdringung ist so dürftig wie im Rest Deutschlands.

Schon mit dieser Differenz steht Düsseldorf so stellvertretend für den digitalen Wirtschaftsstandort Deutschland wie es Haßloch für die Verbraucher tut. Zu gern möchten Volksvertreter bei den coolen Kids im Internet mitspielen – aber bitte nur, wenn nichts verändert werden muss. Düsseldorf in Deutschland, das ist Deutschdorf in Düsselland.

Beispiel: Kostenloses Wlan sollte es für alle in der Düsseldorfer City geben. Groß waren die Worte im Sommer vergangenen Jahres, hier ein Auszug aus der Pressemitteilung der Stadt:

„Als erste Stadt in Nordrhein-Westfalen erhält die Landeshauptstadt Düsseldorf Zugang zum kostenlosen WLAN-Netz des Kabelnetzbetreibers Unitymedia. Zum Montag, 3. August, wird der Zugang für Bürger und Gäste Düsseldorfs an ausgewählten Flächen und Straßen freigeschaltet. „Mit der Bereitstellung der öffentlichen WLAN-Spots von Unitymedia geht Düsseldorf einen weiteren Schritt in Richtung ‚Smart City’. Die Landeshauptstadt baut nicht nur die moderne Infrastruktur für die Kommunikation weiter aus, sondern ebnet damit auch den Weg in die digitale Zukunft für ihre Bürgerinnen und Bürger sowie für Besucherin- nen und Besucher“, so Prof. Dr. Andreas Meyer-Falcke, Dezernent für Personal, Organisation, IT und Gesundheit der Landeshauptstadt Düsseldorf.

„Das WLAN ist ein attraktiver Mehrwert für alle Düsseldorfer, die nur über einen kleinen Datentarif verfügen. Auch Gäste aus dem Ausland können kostenlos auf das mobile Netz zugreifen“, ergänzt Stephan Schneider, Vorstandsvorsitzender der Digitalen Stadt Düsseldorf e.V.“

Das Ergebnis ist – traurig. Wer die Hotspots nutzen will, muss sich ständig neu einloggen. Das ist so alltagstauglich wie eine Hummer-Stretchlimousine. Und sonderlich flächendeckend ist all das natürlich auch nicht.

Könnte man natürlich ändern. Will die Stadt aber nicht. Antenne Düsseldorf berichtete:

„Von einem flächendeckenden und kostenlosen WLAN ist unsere Stadt noch weit entfernt. Ein Grund: Es ist zu teuer. Die Stadt spricht von einem hohen zweistelligen Millionenbetrag. Der wäre fällig, wenn man ganz Düsseldorf vernetzen wollte. Es gibt zwar mittlerweile hunderte verschiedene Hotspots, zum Beispiel in der Altstadt oder im Medienhafen. Die funktionieren für sich auch gut, läuft man aber ein Stück weiter, wird man wieder abgemeldet und muss sich neu einloggen. Die Stadt sieht sich im Moment nicht in der Pflicht, daran etwas zu ändern. Flughafen und Messe geben zu, dass WLAN ein Geschäft für sie ist. Die Messe berechnet zum Beispiel 40 Euro am Tag für freies Internet.“

Und nicht, dass wir hier zum ersten Mal darüber reden, dass Düsseldorf eher off- denn online ist.Einst zürnte schon EU-Kommissarin Nellie Kroes über den Düsseldorfer Flughafen:

Inzwischen kann jeder Fluggast 30 Minuten lang kostenlos surfen. In Worten: dreißig Minuten.

Und genauso, wie sich die Düsseldorfer Institutionen verhalten – so verhält sich auch Deutschland insgesamt. Gern würde man mit den coolen Kids spielen. Internet, Startups, Industrie 4.0 – die Zukunft. Doch dafür etwas tun, etwas verändern, vielleicht gar Ärger riskieren mit Besitzstandswahrern, das geht natürlich nicht.

Störerhaftung tilgen? Dagegen hat die Musik- und Filmindustrie etwas. Leistungsschutzrecht? Wollen die Print-Verlage. Glasfaserausbau? Da steigt uns die Deutsche Telekom auf’s Dach.

lehrerverband-homepageFast ist das schon verständlich. Denn selbst wenn ein so selbstverständlicher Plan vorgelegt wird, wie die simple Idee, endlich mehr Internet in Schulen zu bringen – kommt der Präsident des Lehrerverbandes (und wir dürfen uns sicher sein: gestützt von zahlreichen Eltern) und will  verhindern. 

Ganz nebenbei: Wie zeitnah dieser Verband ist, demonstriert seine hochwertig gemachte, optisch opulente Homepage, die vor allem auf tiefe Information der Öffentlichkeit ausgerichtet ist (nein, das ist kein Uralt-Screenshot aus den 90ern).

Das heißt ja nun nicht, dass Politiker immer nur populäre Entscheidungen suchten. Heiß diskutiert wurde in Düsseldorf in den vergangenen Monaten die aufwendige Sanierung des Theaters, ein mögliches Aus für Gaslaternen oder das Investment in den Start der Tour de France. Immer hielt der Bürgermeister dagegen, auch wenn er Gegenwind bekam.

Doch egal ob in Düsseldorf oder Deutschland: Auffällig ist, dass bei jeder Entscheidung Rücksicht genommen wird auf Bezugsgruppen, die sich empören. Sie werden wieder und wieder angehört um an Ende auf Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Nur bei digitalen Themen ist das nicht der Fall.

Beispiel Leistungsschutzrecht: Das wurde in Deutschland eingeführt. Und als im Bundestag Experten nach einem Jahr ein Fazit zogen, viel das deutlich aus. Der Münsteraner Jura-Professor Thomas Hoeren nannte das Gesetz eine „Katastrophe„, sein Kollege Axel Metzger von der Humboldt-Uni Berlin bezeichnete es als „unausgegoren, kurzatmig, lobbygetrieben„. Judith Steinbrecher vom Digitalverband Bitkom dagegen sagte: „Alle beklagen sich darüber, dass Google keine Konkurrenz hat, wenn es um Suchmaschinen geht, dabei ist die Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger das wirksamste Mittel, um alternative Angebote auszubremsen“.

Und was folgt aus all der Kritik? Die Bundesregierung drängt auf ein europäisches Leistungsschutzrecht, mutmaßlich weil die Verlage es sich so wünschen. Klingt wie eine Satire, ist aber die Realität. Genauso wie die Ankündigung, bald hätten alle freies Wlan und dann ein System aufzustellen, dass alltagsuntauglich ist – aber einen Ausbau für zu teuer zu erklären.

So ergibt sich dann dann eine durchgängige Haltung: Das Digitale steht in der Umsetzung hinten an – obwohl man mit vollmundigen Worten gern erklärt, man wäre vorne dabei. Egal ob in Deutschdorf oder Düsselland.


Kommentare


Christoph Mathieu 8. November 2016 um 22:05

Die Analyse zum digitalfeindlichen Deutschland stimmt sicherlich. Aber könnten die Tatsache, dass die Pokémon-Jäger weniger geworden sind, nicht auch damit zusammenhängen, dass der Hype um das Spiel (zumindest in Deutschland) abgeklungen ist und sich die Veränderungen, die du durch Pokémon Go damals prognostiziert hast, leider noch nicht ankündigen?

Antworten

Thomas Knüwer 9. November 2016 um 7:17

@Christoph Mathieu: Ja – und nein. Der Rückgang der Spieler ereignete sich exakt einen Tag nach dem Aus von 2 Pokéstops. Das ist auch nur logisch, denn von jetzt auf gleich tauchten weniger Pokémons auf.

Was die Veränderungen betrifft: Dies war ein Blick auf die mittelfristige Zukunft. Und ich bin weiterhin überzeugt, dass da noch eine Menge kommt. Leider hat sich Niantic einige dicke Patzer erlaubt. Doch wir werden sehen, dass ein nächster Anbieter daraus gelernt haben wird. Mein Artikel damals endete ja so:
„Es kann sein, dass der Wirbel um Pokémon Go in einigen Wochen wieder verebbt. Doch die Vergangenheit hat immer gezeigt, dass etwas bleibt. Beispiel Tamagotchi: Die Mechanismen des Pflegehuhns beeinflussten maßgeblich Farmville, Farmville begründete eine Spielekategorie, die noch heute floriert. Und deshalb ist die spannendste Frage für mich, was von Pokémon Go bleibt, wenn die erste Hitze sich abgekühlt hat.“

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*