Manchmal ist die digitale Inkompetenz in Deutschland derart klischeehaft, dass es niemand glauben würde, erzählte man es jemandem.
Heute Abend gab es einen bemerkenswerten Fernsehabend in der ARD. Ferdinand von Schirachs „Terror“ wurde präsentiert, die Verfilmung eines Theaterstücks, bei dem die Zuschauer am Ende über den Ausgang einer Gerichtsverhandlung abstimmen.
Wer es nicht gesehen hat: Es ging um den Prozess gegen einen Kampfpiloten, der ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug abgeschossen hat, das auf ein Stadion mit 70.000 Zuschauern gefüllt war.
„Terror“ füllt derzeit die Theater und wurde eifrigst in den Feuilletons diskutiert. Es kann niemand überraschen, dass auch der ARD-Abend hervorragende Quoten einfahren würde. Und deshalb ist es nicht verständlich, dass passierte, was die Zyniker unter uns erwartet hatten:
Auch mir ging es so: Erst eine Voransicht, die mich zur Onlineabstimmung begrüßte, nach ein paar Minuten dann diese Fehlermeldung. Und das auf einem Laptop mit drei Browsern, einem iPhone und einem iPad. War ich der einzige?
Ach Mensch, @DasErste. Nun macht ihr so geiles Fernsehen und verkackt es dann im Netz. @Volker_Herres #hartaberfair pic.twitter.com/w1LT53I8sM
— Jens Twiehaus (@JensTwiehaus) 17. Oktober 2016
Mehr noch: Auch die Telefonleitungen waren anscheinend überlastet:
„Versuchen Sie es später noch einmal. Der gewünschte Gesprächspartner ist gerade nicht erreichbar.“ WHAT!? #TerrorIhrUrteil
— Jan David Sutthoff (@jdsutthoff) 17. Oktober 2016
Natürlich kann man nicht vorhersagen, wie viele Menschen Interesse zeigen werden an einer solche Abstimmung. Doch bei einem derart wichtigen Abend (bei dem ich noch dazu ahnen kann, dass die PR-Wirkung massiv sein wird) in den heutigen Zeiten von Lügenpresse-Schreiern buche ich lieber zu viel Kapazität als zu wenig. ARD-Mitarbeiter sehen das anders.
Doch allein die Konstruktion ist natürlich gestrig. Die ARD hätte auch das Social Web einschalten können – zusätzlich zu Telefon und Onlineabstimmung. Einerseits wäre eine Twitter-Abstimmung eine Option gewesen. Andererseits hätte man auch via Twitter eine simple Hashtag-Zählung wählen können (hier droht natürlich die Verfälschung durch Spam-Bots). Und vielleicht hätte Facebook sich sogar überreden lassen, sein auf Gruppen beschränktes Voting-Tool anzupassen.
Auf solche Ideen aber kommt man bei der ARD halt gar nicht. Und die Zuschauer retteten die Sendeanstalt vor einer noch größeren Peinlichkeit. Denn die Abstimmung fiel mit rund 85% zu Gunsten von „unschuldig“ aus. Wäre es knapper gewesen, würden die Mediendienste sicher noch heißer laufen, als sie es ohnehin schon tun werden.
Das Traurige: Faktisch steht die ARD im Jahr 2016, in dem es so viele technische Möglichkeiten gibt, eine solche Abstimmung zu inszenieren schlechter da als einst Frank Elstner mit „Wetten, dass…“. Denn der TED (für die Jüngeren: das war eine Telefonabstimmung) war zumindest in meiner Erinnerung immer erreichbar.
Kommentare
Micha 17. Oktober 2016 um 22:34
Ich konnte abstimmen, sogar zweimal.
Kai ‚wusel‘ Siering 17. Oktober 2016 um 23:54
Nee, TED hatte auch so seine Probleme, und sei es nur eine Bevorzugung von damaligen Testgebieten; IIRC konnten Leute im Hannoveraner Umland(?) damals besser durchkommen, da dort schon von Ratter-Ratter auf 010101 umgestellt war. Da war jedenfalls was, und TED war gerade am Anfang nicht immer erreichbar.
Terror – Ihr Urteil – Gesetz oder Moral? › Henning Uhle 18. Oktober 2016 um 8:49
[…] Abstimmung fand telefonisch oder per Webseite statt. Mal abgesehen davon, dass eben das nicht so wirklich gut lief, muss ich wirklich fragen, ob dieses Voting sein musste. Ja, im Theater wird das auch gemacht, und […]
Bernd Schreiber 18. Oktober 2016 um 20:28
Aus meinem Bekanntenkreis hat komischerweise niemand Probleme gehabt, sich an der Abstimmung zu beteiligen. Aus Facebook heraus hat der Link nicht funktioniert – da kam die Fehlermeldung. Aber direkt über daserste.de oder die hart aber fair-Seite war es kein Problem. Und jemand, mit dem ich zusammen geguckt habe, hat angerufen und ist beim ersten Versuch durchgekommen.