In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Es war ein wilder Web-Westen, damals vor zehn Jahren. Spaß verstanden nur noch wenige, und wenn war es meist Galgenhumor. Erst recht nicht entspannt waren die Karnevalisten – die nehmen ja nichts ernster, als den Spaß.
Simone Wermelskirchen, die Ober-Karnevalistin des Netzwert-Teams, schrieb auf, wie es bei den digitalen Jecken zuging. Munter jagten die sich Web-Adressen ab und schickten sich Anwälte auf den Hals. Koelner-Karneval.com und Koelnerkarneval.com – ein Bindestrich konnte eine Welt bedeuten.
In jenem Jahr aber erreichte die Situation ein neues Eskalationshoch. RTL übertrug eine Woche lang den Kölner Straßenkarneval live ins Web. Das interessierte am Ende nur eine überschaubare Zahl von Menschen (erst recht angesichts der geringen Verbreitung von Breitbandleitungen im Jahr 2001) – ärgerte aber den WDR, der die Exklusivrechte zu erworben haben glaubte.
Wild und westig ging es auch anderenorts zu. Einer der breitbeinigsten Cowboys jener Zeit war Mark Hoffman, Chef von Commerce One, einem Hersteller von Software für B2B-Marktplätze. Selten habe ich einen CEO im Interview so draufhauen hören.
Zu jener Zeit ging das Gerücht, die Commerce One-Rivalen Ariba und I2 hätten ihre breit angelegte Kooperation aufgegeben. Hoffman nahm dies im Gespräch als gegeben hin. Auf meine Nachfrage meinte er lapidar:
„Sie haben noch keine Pressemitteilung rausgegeben. Aber ich denke, sie haben sich definitiv getrennt. Das sehen wir eindeutig im Markt.“
Hätte er das gegenüber dem „Wall Street Journal“ gesagt, wäre vielleicht eine Klage fällig gewesen. Commerce One beantragte dann 2004 Gläubigerschutz, 2006 wurde die Firma verkauft. Hoffman blieb im Geschäft. Heute ist er Chef des SEO-Dienstleisters Eightfold Logic.
Ganz ohne Pieps und durchgestrichenen Balken ließ Netzwert damals Hoffmans Ein-Wort-Antwort auf die Prophezeiung von Ariba-Chef Briant Gentile stehen (was mancher in der Redaktion „Handelsblatt“ unmöglich fand). Gentile behauptete nicht weniger wildwestig, dass es Commerce One bald nicht mehr geben würde. Hoffmans Kommentar:
„Bullshit.“
So ließe sich auch die Idee titulieren, massenhaft Bürocenter mit jungen Gründern zu füllen. „Inkubator“ nannte sich dieses Konzept. Generell schlecht ist es nicht, nur wurden um die Jahrtausendwende leer stehende Immobilien mit Inkubatoren gefüllt wie nichts gutes.
Einer der bekanntesten gab im Februar 2001 auf: die Berliner Venturepark AG, eine Tochter der Multimediaagentur Pixelpark. Mit 60 Mitarbeitern wurden damals sechs Unternehmen unterstützt – ein sanftes Polster von Helfern für eine winzige Zahl von Gründern.
Aber an Geld mangelte es zunächst nicht: Der gute Leumund Pixelparks lockte Investoren wie Goldman Sachs, Dresdner Kleinwort und Daimler-Chrysler. Von August 2000 bis Februar 2001 verbrannte Venturepark 13 Millionen DM. Heraus kam wenig innovatives: ein Online-Shop namens Geschenke24, Boris Beckers missratener Dotcom-Versuch Sportgate und der Gastronomiebedarfsversender Gastro-X. Der eigentliche Punkt aber war: Wirklich gute Gründer brauchten keine Inkubatoren. Sie fanden schnell Geldgeber, die ihnen direkter und individueller halfen.
Doch manche Idee überlebte – und wurde schneller Realität, als man sich so dachte. Von der Mobilfunkmesse GSM aus Cannes berichtete Joachim Hofer, damals Telekom-Experte des „Handelsblatts“, in der Kolumne „E-Mail aus…“ über Schaumschläger mit nicht funktionierenden Technologien.
Zum Beispiel das von den Besuchern bewunderte Handy, auf dessen Display ein glasklares und ruckelfrei laufendes Video zu sehen war. Allein: Es wurde per Kabel vom Computer zugeliefert. Oder die beiden Handys, die sich gegenseitig Live-Bilder zulieferten – leider aber nur, wenn zwischen ihnen ein Kabel langlief.
Zehn Jahre später scheint es erstaunlich, dass Videos irgendwann mal nicht auf dem Handy möglich gewesen sein sollen.
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