In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Mehr dazu hier. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Als ich wieder vor dem gesichtslosen Hochaus in London-Hammersmith stand, atmete ich tief durch. Rund eine Stunde lang hatte mich Jim Rose zugetextet wie ein amerikanischer Handelsreisender seine Kunden an der Haustür. Kritische Einwände wischte der Chef des Online-Auktionshauses QXL weg, Zweifel an der eigenen Person waren bei ihm nicht mal in homöopathischen Mengen erkennbar. Und es war ziemlich klar: Das mit ihm und Ricardo – das würde nie und nimmer gutgehen.
Es war der Dezember 2000 und das Führungsteam von Ricardo hatte den Deal seines Lebens geschafft. Die Hamburger hatten ihr Auktionshaus erst hochgezogen, dann im richtigen Moment an die Börse gebracht und schließlich an den britischen Rivalen QXL verkauft – wenn auch schon etwas nachgebessert zu Gunsten der Briten. Wer aber nun Rose erlebte, der wusste definitiv, dass die Ricardos Stefan Glänzer, Stefan Wiskemann und Christoph Linkwitz nie und nimmer mit Rose zusammenarbeiten würden.
Den bulligen Ami mit der Fast-Glanze interessierte das ohnehin wenig – dazu war sein Ego zu groß.
„Ebay Europe is a looser“, verkündete er und: „Wir sind das größte europäische E-Commerce-Unternehmen.“ Nun ja. Zu diesem Zeitpunkt hatte QXL gerade das Kunststück vollbracht, in einem halben Jahr 7,8 Millionen Pfund umzusetzen – aber einen Verlust von 83,2 Millionen zu erreichen. Folge: Der Börsenkurs schmierte von 800 Pence auf 6,5 ab.
Es folgten dürre Jahre – doch nicht das Aus. 2004 übernahm der israelische Investor Florissant das Unternehmen, ein Jahr später war es der Aufsteiger des Jahres an der britischen Börse. 2007 der nächste Verkauf: Diesmal an den südafrikanischen Medienkonzern Naspers – einen stillen Riesen der Web-Szene, der über seine Beteiligung an Digital Sky Technologies sogar seine Finger bei Facebook im Spiel hat. Naspers benannte QXL in Tradus um. Und Tradus ist heute eine nicht mehr börsennotierte Holding verschiedener Online-Auktions- und Kleinanzeigenplattformen mit Schwerpunkt Osteuropa.
Ein Happy-End. Doch das bekam nicht jeder, der vor Weihnachten 2000 trudelte. Die Fusionits brach aus. In Panik geratende Investoren drängten Startups in die Fusion mit nicht viel besser dastehenden Konkurrenten – und das ohne genau hinzuschauen. So brauchte es angeblich eine Mail, einen Anruf und ein halbstündiges Treffen um das Meinungsportal Ciao mit dem Web-Katalog Ideenfinder zu vereinen.
Steine zusammenbinden und zu hoffen, dass sie schwimmen, war jedoch absehbar keine Rettung. Der Tierbedarfshändler Pets.com kaufte beispielsweise im Frühjahr 2000 seinen Konkurrenten Petshop.com – und landete im Herbst selbst beim Abdecker. Ähnlich endeten die Hauslieferdienste Kozmo und Urbanfetch.
Die Krise der Web-Wirtschaft schlug zu dieser Zeit auch auf andere Bereich durch. Zeitungen und Zeitschriften wurden langsam dünner – nachdem sie doch gerade erst Personal aufgebaut hatten, um den immer größer werdenden Platz zwischen den gigantischen Anzeigenmengen, gebucht Startups und IT-Unternehmen zu füllen.
Oder der Sport: Mancher Dotcom-Gründer gönnte sich mit seinem aus Optionen bestehenden Papiergeld das Vergnügen, seinen Lieblingsclub zu unterstützen. Beispiel Metabox: Die Hildesheimer wollten eine Settop-Box produzieren, das das Internet in den Fernseher bringt. Es war eine Seifenoper der New Economy, Details können Sie bei Wikipedia nachlesen. Eine Randaffaire wurde dabei der Braunschweiger Basketball Club. Den übernahm Metabox für vier Millionen DM, flott hieß das Team Metabox Braunschweig. Als die Firma trudelte gab sie ihren Korbleger-Anteil wieder ab – für 1 DM.
Oder Gigabell: Der Telekom-Dienstleister wurde Co-Sponsor bei Borussia Dortmund – bis die Insolvenz die Gelder stoppte. Und die Augsburger Eishockey-Spieler bangten um ihren Arbeitsplatz als der Software-Hersteller Infomatec die versprochene halbe Million an Sponsoring schuldig blieb.
Unsicherheit wo man hinsah. Das Netzwert-Team ging mit einem Magengrummeln und ziemlich ausgepowert in die Weihnachtspause. Und irgendwie ahnten wir: 2001 wird nicht besser werden.
Lesen Sie am 3.1.2011: Hybris beim Handelsblatt
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