Vor allem große Werbeagenturen ringen heftigst mit der Entwicklung des Internet. Viele von ihnen bringen wenig zustande in der Welt von Social Media und Mobile. Meist schwatzen sie Kunden weiterhin lieber ein Flash-überladene Web-Seite auf oder verticken zu Irrsinnsummen platteste Iphone-Apps.
Daneben gibt es noch einen Fetisch der Großwerber: virale Videos.
Und mit denen ist das so eine Sache. Denn die virale Verbreitung ist schwer vorherzusagen. Weshalb dann gern mal nachgeholfen wird, Seeding heißt es dann. Das Video wird überall rumplatziert und so wird dann ein künstliches Zuschaueraufkommen geschaffen. Der Kunde jedoch glaubt, all das sei ungesteuert. Puh, Glück gehabt.
In den vergangenen zwei Tagen stieß ich auf zwei verschiedene Herangehensweisen an das Thema Viral-Videos. Sie sind für mich beispielhaft für das, was derzeit bei großen Agenturen und großen Unternehmen passiert.
Erster Kandidat: Toyota.
Nach den PR-Desastern der vergangenen Monate versuchen die Japaner in den USA wieder ein wenig was fürs Image zu tun. Ihre Grundidee ist ein wenig verkopft – aber durchdachtes Marketing: Junge Eltern kaufen Minivans wie den Toyota Sienna. Und sie finden diese Autos toll. Gleichzeitig aber empfinden sie ein Rechtfertigungsproblem, weil diese Wagenklasse eher uncool und statusbefreit ist. Also drehte Toyota einen Spot, der Minivan-fahrende Eltern cool wie Hiphopper erscheinen lassen soll.
Swagger Wagon – Angeberwagen. Hübsche Idee. Die Kommentare der Youtube-Nutzer fallen extrem polarisiert aus. Viele finden es saukomisch, genausoviele saublöd. Blickt man genauer hinter die Kommentatoren, ist klar: Hier wurde eine Menge geseedet. Kommentare von Nutzern, die selbst nur Werbespots favorisieren, deuten zum Beispiel auf Profile hin, die von spezialisierten Dienstleistern eingerichtet wurden. Ziehen wir sie ab, überwiegt die Kritik. Verdächtig auch: Die Detail-Statistiken sind nicht freigegeben.
Aber: Das Youtube-Publikum ist sicherlich auch nicht die Kernzielgruppe der Aktion.
Die befindet sich eher in Jungeltern-Foren und ähnlichen Angeboten. Dort aber hat der Swagger-Wagon-Song – so weit ich das sehen kann – wenig Verbreitung gefunden. Die Hoffnung mit dem Begriff „Swagger Wagon“ ein geflügeltes Wort zu erschaffen, scheint sich auch nicht zu erfüllen. Häufiger findet der Film sich schon in Autoblogs und -foren. Ob Vierrad-Liebhaber aber Minivan-Fans sind? Fraglich. Letztlich kommen wir auf 5,4 Millionen Abrufe seit Mai, die Zahl wächst im Moment nicht mehr großartig. Ob das ein Erfolg ist, muss Toyota selbst beurteilen.
Die andere Variante des Viral-Videos setzt auf den Erfolg authentischer Filme im Netz. Und leider, leider wissen wir nicht, ob dieses Video ein Fake ist, oder ob Tennis-Megastar Roger Federer tatsächlich kann, was er scheinbar demonstriert: Jemand eine Dose vom Kopf zu schießen.
Dieses Video ist unpoliert, es wirkt so, als sei es zufällig entstanden – was natürlich schwer zu glauben ist. So oder so: Es macht Spaß, das Teil zu gucken. Und es ist eine kluge Integration eines Youtube-Videos in die Marketing-Strategie von Gillette. Denn Federer wurde nicht für diesen Spot ins Studio geholt, er ist sozusagen ein Abfallprodukt. Und: Das Marketing stellt den Spot nicht in den Mittelpunkt, er ist Teil der öffentlichen Verbindung des Rasiererherstellers mit Federer. 2,9 Millionen Aufrufe hat dieses Video in vier Tagen geschafft. Bemerkenswert: Mir sind keine Kommentatoren ins Auge gefallen, die nach Seeding riechen. Vielmehr hält die Mehrheit der Autoren das Video für einen Fake – die meisten mögen es aber trotzdem. Auch die Statistiken deuten darauf hin, dass Federers Tell-Schuss tatsächlich viral funktioniert.
Welche Variante des Viral-Videos ist besser? Das hängt von den Marketing-Zielen ab. Doch ist die Zahl der Viral-Videos, die abheben, deutlich geringer als die Zahl derer, die relativ unbemerkt in den Tiefen von Youtube verschwinden. Im Fall von Toyota würde dies einen gehörigen Teil der Kommunikationsstrategie aushebeln. Im Fall von Gillette wäre das egal.
(Danke für den Toyota-Hinweis an Andreas Wollin)
Kommentare
fk 20. August 2010 um 10:14
Toyota: „charmante“ (Werberunwort des Jahres) Idee, aber viel zu brav ausgeführt, als dass es wirklich durchstarten würde. Aber mit genug Geld, das siehst Du völlig richtig, geht jeder Clip „viral“.
Gilette: Spektakulärer und mit Roger als Vollsympath halt auch dankbar. Aber Sportler, die irgendwelche krassen Stunts performen, ganz nebenbei und zufällig von einer satten Kamera eingefangen und so weiter und so fort, sind demnächst dann auch durch. Was sicherlich niemand daran hindern wird, noch 400 solcher Clips zu produzieren, denn das beste Argument, eine Idee zu verkaufen, ist paradoxerweise immer noch, wenn sie schon existiert und erfolgreich verbraten wurde.
Ich wundere mich immer wieder, wie schwer es den Marketeers fällt, das zu machen, wozu sie eigentlich bezahlt werden: Unterhalten plus ein bisschen strategisch kommunizieren. Die sind einfach noch zu sehr daran gewöhnt, große TV-Spots per Schrotflinte auf ein diffuses Publikum zu blasen und dann eine willfährige Mafo-Agentur mit dem Tracking zu beauftragen, auf dass alles seine Ordnung hat. Echte Leute mit echter Meinung für sich zu gewinnen, ist halt nicht ganz einfach.
Sebastian 20. August 2010 um 11:14
Ich finde das Toyota Video sehr gelungen, allerdings nicht als virales Tool, dafür ist zu viel Marketing drin. Schön aber, dass man über sich selbst lachen kann. Das Federer Ding hingegen passt, da war ja vor kurzem erst der Clip über seine Probleme mit „this“ und „dis“ – mein Tipp: da kommt noch mehr.
Walter Schärer 21. August 2010 um 21:55
Ich finde den Gillette-Spot brutal raffiniert: Zuerst (und eigentlich bis zum Schluss) sieht es ja wirklich aus wie „zufällig“ gedreht. Ausser dem eigentlichen Stunt weist nichts darauf hin, dass die Sequenz bewusst gefilmt wurde. Erst beim fünften oder sechsten zurückspulen muss man sich eingestehen, dass es einfach nicht sein kann. Und dann beginnt man die Dramaturgie zu verstehen und die vielen kleinen Details zu geniessen. Der Spruch am Schluss „that was a good one, hm?“ ist einfach hinreissend 😉
Sebastian 26. August 2010 um 23:53
VW hat es in den Staaten mit ihren „Unpimp my auto“-Videos vorgemacht, wie man sich originell über sich selbst lustig machen kann und die Leute dabei unterhalten werden.
Besserwerberblog • Marketing für Besserwerber 31. August 2010 um 12:37
Treffer…
Na klar. Der Spot lief schon überall. Rauf und runter. Dennoch: Roger Federer, wilhelmtellalike, für Procter & Gamble (Gilette). Frisch, Vater, zeig’s, daß du ein Schütze bist! Er glaubt dir’s nicht, er denkt uns zu verderben — Dem Wüthrich zum…
Federer landet viralen Supertreffer für Gillette 26. Februar 2011 um 5:58
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Niko 15. September 2016 um 21:19
Ein wenig zu sehr improvisiert wirkt das fast zweiminütige Gillette Video, was letztendlich den Zuschauer erahnen lässt, dass es sich hier nicht um ein rein zufällig aufgenommenes Video handelt. Trotzdem ist die Idee sehr gut. Hätte ansonsten nicht über 2,5 Mio Klicks innerhalb von vier Tagen erhalten.
Vielen Dank für den Beitrag