Ich habe Frank Schirrmacher bestohlen. Es war irgendwann im Jahr 1996. Wir Volontäre der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten führten ein Interview mit ihm, dem damals Jungstar unter den Herausgebern der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Auf dem Tisch standen Getränke, dazu Flaschenöffner mit dem Kluger-Kopf-Logo – wir ließen sie alle mitgehen. Auch, weil dieses Logo für uns etwas positives, werthaltiges ausstrahlte, nach dem Gespräch mit Schirrmacher. Er hat uns überzeugt. Von seiner Zeitung, von seiner Art des Journalismus, von sich selbst. Er war beeindruckend.
Vielleicht haben ihm zu viele Menschen dieses Gefühl gegeben, vielleicht dreht man irgendwann ab, wenn man nur lange genug Chef ist, vielleicht hat er damals geschauspielert. Ich weiß es nicht. Sicher aber ist: Die verbrämte Egomanie mit der Schirrmacher derzeit Interview gibt ist erschreckend.
Man kann sich denken, dass ich mit den Thesen seines Buchs „Payback“ nicht übereinstimme. Das aber ist nur der eine Teil der Causa Frank S. Die andere ist seine konsequente Verdrehung der Realität in einer Art, die mancher als demagogisch betrachten könnte.
Und es wird immer schlimmer, scheint mir. Sein heute erschienenes Interview mit der „Rhein-Zeitung“ ist ein neuer Tiefpunkt.
Hier einige besonders absurde Passagen:
„Es gibt jetzt 15 Jahre das World Wide Web und fast 10 Jahre Web 2.0. Ich ich sehe bisher kein einziges Geschäftsmodell, das mit der Zeitung konkurrieren könnte.“
Man ist bass erstaunt. Entweder kennt Schirrmacher die Wirtschaftsdaten vieler Zeitungen nicht, auch von seinem eigenen Haus hört man gemeinhin wenig Gutes. Oder aber er meint das ironisch: Dann gäbe es in der Tat wenige Geschäftsmodelle, die innerhalb von 10 Jahren ein Fünftel ihrer Käufer verloren haben, ohne das Aussicht auf Besserung bestünde.
„Mein Buch ist in bestimmten Kreisen der Bloggerszene diskutiert worden, ohne gelesen worden zu sein. Es ist eine rein mechanistische Reaktion… In diesen ganzen Debatten zeigt sich oft auch ein ziemlicher Hass auf die freie Meinungsäußerung. Da ist in der Internetszene immer die Rede von Holzmedien oder toten Medien. An wen sollte ich meine Pfründe denn verlieren? Ans Internet? Da sind wir Zeitungen auch drin. In meiner Debatte geht es um eine ganz andere Ebene.“
Ja, so muss man erst mal ohne Drogen drauf sein. Wer einen Frank Schirrmacher kritisiert, der hat ihn nicht gelesen. Und wer ihn kritisiert, der hasst die freie Meinungsäußerung. Und die Zeitungen sind im Internet drin – auch ohne, dass sie verlinken oder am Diskurs teilnehmen.
Diese Tage, diese Monate, diese Jahre sind die Zeit eines gewaltigen Umbruchs in der Medienszene. In einigen Jahrzehnten werden Historiker lechzen nach den Äußerungen Schirrmachers. Sie werden zitiert werden wie nichts Gutes, so wie wir heute uns mokieren über Kaiser Wilhelm II. und seinen Ausspruch: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“
Immerhin: Schirrmacher wird es in die Geschichtsbücher schaffen. Aber mit einem Erbe, mit dem man erstmal leben können muss.
(Foto: Shutterstock)
Kommentare
vera 31. März 2010 um 17:32
Bei der TV-Gesprächsrunde neulich abends ‚Im Palais‘ hatte ich noch den Eindruck, das sei der Mann, der das Internet erfunden hat…
f.h. 31. März 2010 um 17:36
naja, wenn man an der uni siegen „promoviert“ wurde
Krischn 31. März 2010 um 17:43
Ach, Schirrmacher halt…
Der Typ auf der Marke is übrigens Prinzregent Luitpold :/
Cihan 31. März 2010 um 20:14
Im Gegensatz zu Markus Reiter und seinem Buch „Dumm 3.0 – Wie Twitter, Blogs und Networks unsere Kultur bedrohen“ ist Herr Schirrmacher echt harmlos.
gsohn 31. März 2010 um 21:29
Sehr guter Beitrag und ein treffender Vergleich!
Gunther 31. März 2010 um 22:01
In einem Forum würde ich denken, der sei ein Troll. Problematisch ist nur, dass er kein kleiner Nerd ist, den man getrost ignorieren kann.
Maschinist 31. März 2010 um 22:31
@Krischn
Unter dem Namen „Luitpold“ wird wenigstens ein Bier vertickt dass es wahrscheinlich in 20 Jahren noch geben und das darüber hinaus noch über die Maßen genutzt wird. 😉
Cortex 31. März 2010 um 23:39
Naja, letztendlich ist das doch alles Marketinggestammel. Der Mann muss eine Tageszeitung vermarkten, natürlich muss er so auf den Putz hauen. Das Problem erledigt sich irgendwann von selbst.
Chat Atkins 1. April 2010 um 8:59
Warum wohl einige immer noch glauben, nach einer Medienrevolution müsse wie selbstverständlich ein ’neues Geschäftsmodell‘ aus den Fluten auftauchen?
Mirko 1. April 2010 um 10:22
@Chat Atkins: Ich weiß nicht, ob es wirklich der Glaube ist oder doch nur die Hoffnung. Die stirbt ja bekanntlich zuletzt – und viele „alte“ Geschäftsmodelle funktionieren halt nicht mehr. Die Werbung bringt deutlich weniger Geld, weil jeder veröffentlichen kann und plötzlich auch Klickzahlen statt Aufmerksamkeit zählen. Micropayment ist vielen noch zu umständlich. Es gibt viel kostenlose Konkurrenz. Abos kommen auch nicht recht an (was teilweise aber auch an völlig überzogenen Preisen liegt). Kein Wunder, dass man an Wunder glauben will, oder? 😉
Glanzlichter 5 « …Kaffee bei mir? 1. April 2010 um 16:24
[…] Thomas Knüwer Frank “Wilhelm II” Schirrmacher […]
Marc 4. April 2010 um 16:22
Eigemtlich hat Schirrmacher recht, denn er sagt (im auf Wilhelm II. übertragenen Sinne): “Es gibt jetzt 15 Jahre den Otto-Motor und fast 10 Jahre das Automobil. Ich ich sehe bisher kein einziges Geschäftsmodell, das mit dem Pferd konkurrieren könnte.”
Das ist irgendwie richtig. Internet ist nicht Zeitung und Pferd ist nicht Automobil. Aber dennoch haben die Menschen sich neu orientiert, weil sie in dem neuen Ding mehr Vorteile als in dem alten sahen. Pferdezüchter haben das nicht erkannt oder keine Chance gesehen da einzusteigen, deswegen sind andere dann Autoproduzenten geworden.
wilko0070 5. April 2010 um 21:00
Ich kenne das Buch „Payback“ nicht, ich habe nur in sein Werk „Das Methusalem-Komplott“ hineingeschaut, und ich muss sagen, dass ich so etwas noch nie erlebt erlebt habe: da schreibt ein Journalist (wohl weil „Demographie“ gerade im journalistischen Trend lag) 200 Seiten lang über Dinge, von denen er nicht den Hauch einer Ahnung hat und auch nicht gewillt ist, sich wenigstens ein Hintergrundwissen anzueignen.
Ja, diese Schirrmachers (Poschardts, Jörges‘ etc.) sind die „Leistungsträger“ der Nation!