Alle paar Jahre erreicht die Genervtheit der Mitarbeiter der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt einen Höhepunkt. Der Grund ist ein Spiel des Chefs, eine Art Wette, seit Jahrzehnten betrieben von ihm und drei Studienfreunden, die ebenfalls in der Kommunikationsbranche gelandet sind. Es ist ein übles, zynisches, die Gesellschaftsgrundlagen verachtendes Spiel
Dem Team der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt schwant schon Böses, als der Chef zum All-Hands-Meeting im gläsernen Konferenzraum ruft.
„Mal sehen, welche politische Karriere diesmal den Bach runtergeht“, murmelt Senior Consultant Sabine. Und ihre Freundin, Junior-Consultant Tanjaanja pflichtet ihr bei: „Wenn er die SPD gezogen hat, fällt es wenigstens nicht so auf…“
„Wie immer gilt: Die Sache ist vertraulich. Wer plaudert, fliegt“, donnert der Chef los. Dann setzt er zum immer gleichen Sermon an: Das die Zeit in der schlagenden Studentenverbindung Notburga Silensia ihn geprägt, ja, ihn zusammen geschmiedet hätte mit drei guten Freunden. Dass sie einen Pakt geschlossen hätten, gemeinsam die Werbe- und PR-Branche zu erobern.
Dieser Pakt halte bis heute. Einmal monatlich treffen sich die drei zum „gemütlichen Beisammensein“, wie der Chef es nennt. Unerwähnt lässt er, dass diese Meetings für gewöhnlich in Etablissements wie der „Pink Mile“ stattfinden. Einer Lokalität am anderen Rand der Stadt, an dem scheckheftgepflegte Servicekräfte sich um die Bedürfnisse der fast vollständig männlichen Kundschaft in vollem Körpereinsatz und im Schweiße des Angesichts aller Beteiligten bemühen.
In Wahljahren verfallen die drei dann auf eine Wette. „Jemand muss doch die Absurdität des demokratischen Systems in diesem Land offenlegen“, rechtfertigt sich der Chef. Die bei diesem Satz in den Köpfen der Mitarbeiter aufwallenden Titulierungen ihres Vorgesetzten überschreiten jede FSK-Regulierung.
Die Wette sieht so aus: Alle zur Wahl Stehenden werden auf Lose geschrieben. Jeder des Quartetts zieht eines und bietet diesem Kandidaten kostenlos Marketingberatung an. Das Ziel ist aber kein gutes Wahlergebnis, sondern das Durchdrücken einer besonders bizarren Kommunikationsstrategie.
„Und wer entscheidet über den Sieg?“, fragt Praktikantin Julia in einem bambiesken Anfall von Naivität.
„Das machen wir unter uns Männern aus. Fair. So sind wir. Ritterlich. Geradeaus. Notburga Silensia.“
Ganz so fair – das wissen seine Untergebenen – geht es aber nicht immer aus. Beim letzten Mal herrschte wochenlang dicke Luft, nachdem die Kumpel des Chefs seine geniale Idee eine Kinderschänder-Anspielung in einem Plakat unterzubringen, nicht zum Sieger gekürt hatten. Grund: Niemand außer ein paar „perversen Bloggern“ (O-Ton Chef) hatte die Sache registriert.
Deshalb muss Rache her. „Der große Schlag. Der sie zum Schweigen bringt. Ein. Für. Alle. Mal“, sagt der Chef und bei jedem Wort landet seine Faust krachend auf dem USM-Haller-Tisch.
Die intensive Ansprache zeigt Wirkung. Vor allem der letzte Satz: „Ansonsten wisst ihr ja, wie es wirtschaftlich aussieht.“
Düster, nämlich. Das muss der Chef gar nicht sagen, das wissen alle. Die kalte Kralle der Krise würgt auch am Hals der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Assistentin Polia hat bereits mitbekommen, dass der Chef und seine rechte Hand Marcel über „ein bis zwei rollende Köpfe“ gesprochen haben.
Und dann hat der Chef bei der Auslosung der zu unterstützenden Politiker auch noch SPD-Chef Frank-Walter Steinmeier erwischt.
„Aussichtslos“, seufzt Senior Consultant Lars beim ersten Kreativmeeting.
„Twittertwitterpopitter“, ranzt in Senior Consultant Alexandra an: „Jetzt müssen wir einfach mal was abliefern! Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir den Kandidaten einen Internet-Ausweis fordern lassen, der die Online-Bewegungen des Nutzers protokolliert, damit die Polizei ihn auswerten kann?“
Lars winkt ab: „Das glaubt doch keiner, dass das Ernst gemeint ist. Und welcher Politiker wäre so blöd, das zu fordern?“
In diesem Moment kracht die Tür des gläsernen Konfernzraums auf. Der Chef steht da, mit hochrotem Kopf. „DIESER SCHREINER!!!“, brüllt er.
Gemeint ist sein Studienfreund Wolfram Schreiner, Chef der Spin-Doktor-Beratung Yrrsynn. Ein Ausdruck landet auf dem Tisch des Konferenzraums. Schreiner hat ein Plakat entworfen für die Linke-Kandidatin Halina Wawzyniak. „Namenswitz wollte er einbauen“, kocht der Chef. „Namenswitz. Und was ist? Er hat sie zum Pseudo-Bunny mutiert! Mann ist der gut! Eine Linke, die sich bei Frauenrechtlerinnen ins Aus schießt!“
Die Mitarbeiter schweigen betreten. Das ist ein Schlag. Nun müssen sie nachlegen. Ein paar Tage später das nächste Meeting. Tanjaanja präsentiert stolz Gutscheine, die sie selbst entworfen hat: „Steinmeier könnte doch fordern, dass McDonald’s-Gutscheine an Schüler verteilt werden, deren Eltern ihnen keine Schulbrote mitgeben.“
Selbst die ihr nicht wohlgesonnene Alexandra will gerade zustimmend nicken, da fliegt die Tür des Konferenzraums wieder auf. Ein kleiner Riss arbeitet sich durch das Glas ob der ruppigen Behandlung. Der Chef steht dort, sichtbar pulst das Blut durch seine Wangen. „DIESER ECKMEYER!“, brüllt er. Gemeint ist Johannes „Eckman“ Eckmeyer, Mit-Gründer der Werbeagentur „Zum Pinken Bambi“. Wieder flattert ein Ausdruck aus der Hand des Chefs auf den Tisch. Es zeigt ein Wahlplakat der Grünen aus Kaarst:
„Und was hat ihn inspiriert?“, zetert der Chef weiter: „SEIN JUNGES WEIBCHEN VÖGELT MIT DEM GÄRTNER AUS KUBA!! KÖNNTE BITTE DIESE AGENTUR ENDLICH DELIVERN?“
Als er die Tür von außen zuschlägt zieht sich der Risse weiter auf die andere Seite des Glases.
Julia beginnt zu schluchzen: „Ich.. ich… will aber nicht mit einem Gärtner schlafen… Oder mit der Frau des Chefs…“
Eiskalte Verachtung trieft aus Alexandras Stimme: „Wär aber mal ne Abwechslung zu den Schlappschwänzen, die Du sonst bevorzugst.“ Noch immer ist sie nicht darüber hinweg, dass Lars nach einem Intermezzo mit ihr selbst, wieder mit Julia zusammen ist.
„Auf jeden Fall“, kommt sie zurück zum Business. „Die Idee mit dem McDonald’s-Gutscheinen ist gut – aber scheiße. Kein Politiker würde ernsthaft Fast Food für Schüler auch nur in Erwägung ziehen.“
Nun beginnt Tanjanja zu schluchzen: „Ich… ich… ich will aber nicht arbeitslos werden…“
Alexandra verdreht die Augen und setzt den nächsten Termin an. Drei Tage später sitzt das Team mit tiefen Augenringen beisammen. Niemand hat mehr ruhige Nächte, alle grübeln über Ideen.
Lars hat einen konkreten Vorschlag: „Es gibt doch dieses Kompetenzteam. Da muss einer rein, der nicht zur SPD passt. Ich sag mal… ein Millionär, vielleicht schwul oder vielleicht einer, der edle Luxusvillen vermietet…“
Alexandra seufzt: „So einer würde doch nie bei der SPD einsteigen. Ein Millionär! Nie!“
In diesem Moment explodiert die ramponierte Glastür des Konferenzraums in tausend Splitter. Im Türrahmen steht der Chef, die Haare wirr, die Krawatte halb abgezogen. „HEEERLINGSFEEEEELD!!!!“, brüllt er und wirft ein Foto auf den Tisch.
Alfried Freiherr von zu Herlingsfeld-Graubünden war der vierte in jenem Studentenbund, das wissen die Mitarbeiter der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Heute ist der Chairman der Zu Herlingsfeld-Graubünden Kommunikation & Cie. Und er hat bei der Wett-Auslosung CDU-Frau Vera Lengsfeld erwischt. „TITTEN! AUF SO WAS KOMMT IHR SAUSÄCKE NATÜRLICH NICHT! TITTEN! GENIAL!“ brüllt der Chef.
Der Blick seines Teams fällt auf das Wahlplakat:
Alexandra weiß: Nun wird es ernst. Eine Idee muss kommen. Denn wenn einer fliegt, dann sie: Schließlich ist sie die teuerste Mitarbeiterin. Tief atmet sie durch. Dann die Erleuchtung:
„Doch, Chef. Natürlich. Wir sind der Meinung. Steinmeier ist die Nummer eins im Land. Er hat den Längsten. Und das muss er jetzt beweisen!“
Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:
Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:
Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
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Bunte Pillen
Sigmar Gabriel
Gastautorin
Jack Bauer
Second Life
Markus Schächter
KPMG
Keine Re-Publica
Biblische Gärten
Der Deutsche Direktmarketing-Verband
Weihnachtsfeier
Winterdepression
BMW
Ruhr hoch n
Kleingruppenhaltung
Oktoberfest
Der Geist der Weihnacht
Kommentare
Stadler 12. August 2009 um 16:41
Wenigstens die Wahlplakate sorgen in diesem langweiligen Wahlkampf für Gesprächsstoff. Intelligenten Wahlkampf stelle ich mir anders vor.
Thomas Koch 12. August 2009 um 16:56
Liebe Mit-Leser, dies ist eine geniale Parodie… und sie wäre noch zwerchfellerschütternder, wenn sie nur der Phantasie eines kreativen Hirns entsprungen wäre. Wäre, wäre, wäre… Ach, wäre doch nur der Wahlk(r)ampf schon vorbei!
Fischer 12. August 2009 um 16:59
Das würde zumindest einiges erklären.
Btw, musste beim Schluss spontan an das hier denken:
http://www.titanic-magazin.de/typo3temp/pics/ce9119d148.jpg
Aber die Realität hat (in Form des Lengsfeld-Titten-Plakats) die Satire eh längst überholt.
Stefan 12. August 2009 um 17:10
Das ist dermaßen genial, dass ich es am Liebsten als Fullquote bei mir einstellen würde 🙂
J 12. August 2009 um 17:24
Großartig! (Und ziemlich traurig …)
Wittkewitz 12. August 2009 um 17:43
Das Schlimme daran ist mal wieder, das die Quelle fiktionaler Erlebnisse immer schwächer wird. Was kann man sich schon angesichts dieser Wahnsinnigen da draußen ausdenken. Leider würde das Land zusammen brechen, wenn es mal einen Monat ohne Speed, Koks und mothers\’s little helpers gäbe. Aber ich würde es gerne mal erleben, wenn der Wahn ein wenig die Arbeitswelt verließe und nur noch im trauten Heim bliebe…
Schtonk! 13. August 2009 um 10:24
Tja, die CDU hatte doch mal \“Zeit für Titten\“ als Motto…udn eine Website dazu!
Owy 13. August 2009 um 10:58
Thomas! Warum schreibst du denn hier in aller öffentlichkeit über unseren alten Schwur? wir sind doch alle bis auf den Lobo noch nicht so weit. Man, willst du auf einmal nicht mehr?
Markus Göbel 13. August 2009 um 10:59
Das angebliche Motiv der GRÜNEN wurde in Wirklichkeit von der NPD in den 90er Jahren bei einer fremdenfeindlichen Kampagne verwendet. Nur waren es schwarze Männerhände auf dem weißen Hintern einer Frau. Ich erinnere mich noch gut an die kleinen Aufkleber an Ampeln und Bushäuschen. Deswegen fand ich den heutigen Beitrag gar nicht so witzig.
Peer 13. August 2009 um 11:13
Sehr schön! So, oder so ähnlich, wird es gewesen sein :)))
Fast noch besser als das Plakat finde ich aber das persönliche Motto von Frau Lengsfeld: \“Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit\“
Alles klar?
Allerdings ein kleiner Nachtrag: Meines Wissens geht es der PR Branche wirtschaftlich gar nicht schlecht. Eine der wenigen Branchen, die sich über Umsatzzuwächse freuen kann.
Peer 13. August 2009 um 13:41
Nachtrag:
Ich konnte leider nicht anders, als mir das anzutun:
***
Sehr geehrte Frau Lengsfeld,
als Redakteur habe ich mich natürlich durch die Berichterstattung über ihr aktuelles Wahlplakat auch dazu verleiten lassen, ihre Seite www.vera-lengsfeld.de aufzurufen.
Als erstes hat mich dort ihr Slogan empfangen: \“Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit\“.
Können Sie mir das inhaltlich kurz erläutern? Denn vielleicht haben Sie ja gar nichts gegen Gerechtigkeit – auch wenn das ihr Wahlspruch vermuten lässt. Zumal ich auch anmerken muss, dass die Deutsche Übersetzung von Fairness \“Gerechtigkeit\“ lautet, was der inhaltlichen Analyse ihres Mottos ebenfalls hinderlich ist.
Mit freundlichen Grüßen …
***
Eine Antwort habe nicht erhalten. Aber wozu gibt es Telefon … 🙂
Anja 13. August 2009 um 14:15
Genial und treffend. Danke, Thomas.
Auch wenn ich dem Ganzen nicht so direkt ausgesetzt bin wie sonst alle hier, man verfolgt ja doch mit, was auf dem heimischen Boden so abgeht.
readsalot 14. August 2009 um 0:44
@Markus Göbel
quote \“Das angebliche Motiv der GRÜNEN\“
/quote
nix angeblich. siehe hier die reaktion der grünen auf die kritik:
http://www.gruene-kaarst.de/kommunalwahl09/plakat-reaktion-09.html
Ursula von den Laien 15. August 2009 um 18:52
Satire kann nur von der Realität übertroffen werden.
Der Hintern der Kandidatin der LINKEN war afair aber eine *Reaktion* auf das T…..-Plakat von Vera Längsfällt; die Erzählung suggeriert etwas anderes.