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Bodo Hombach muss Zeit haben. Sehr, sehr viel Zeit. Obwohl er Geschäftsführer der „Waz“ ist. Gut, da ist ja jetzt noch jemand neben ihm, Christian Nienhaus, vielleicht entlastet der ihn ja ein wenig, auch wenn die Branche eher von blutigsten Machtkämpfen zwischen den beiden munkelt.

Hombach, jedenfalls, hat so viel freie Kapazitäten, dass er sich einem ausweglosen und noch dazu gegen die Marktwirtschaft verstoßenden Unterfangen widmen kann: das Entwinden aus dem Gefangenendilemma mit einer fast unbegrenzten Zahl von Beteiligten. Die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre sollten Pflichtfach in jeder Schule werden, finde ich. Zum einen würden sie dem Verständnis von Nachrichten förderlich sein, zum anderen bieten sie manchmal auch handfeste Lebenshilfe.

Zum Beispiel das Gefangenendilemma, über das sie bei Wikipedia ausführlich nachlesen können. Kurz gesagt handelt es davon, dass zwei Gefangene zusammenhalten und eine mittelschwere Strafe bekommen könnten. Verrät der eine aber den anderen, geht er straffrei aus. Gestehen beide, bekommen beide eine höhere Strafe.

Dieses Gefangenendilemma lehrt uns derzeit sehr viel über die Medienbranche.

Blenden wir dazu ein paar Tage zurück. Rupert Murdoch kündigte vor zwei Wochen an, im Laufe der kommenden 12 Monate würden alle Online-Dienste seines Reiches kostenpflichtig werden. Diese Aussage tragen nun viele Medienmanager wie eine Monstranz vor sich her, auf der eingeritzt steht: „Wenn schon Murdoch, dann wir auch!“

Abgesehen von der Frage, ob ein 79-Jähriger, der noch immer nicht abgetreten ist und einen derzeit defizitären Konzern führt, das richtige Vorbild ist, hat sich niemand gefragt, ob da nicht etwas stinkt.

Denn man kan Murdoch vieles vorwerfen, eines aber nicht: dass er keine Erfahrung hätte. Er ist ein gewitzter, mit allen Wassern gewaschener, durchtriebener – für die junge Generation: abgewichster – Fuchs. Und dieser Fuchs kündigt eine Strategiewende an, die über Monate laufen soll, ohne ein konkretes Produkt? Sprich: Er verrät der Konkurrenz, was er machen wird? Einfach so?

Hält das irgendwer für nicht naiv?

Natürlich hat Murdoch längst erkannt: Die Medien sitzen im Gefangenendilemma, geht es um bezahlte Inhalte im Netz.

Ihnen bleiben drei Optionen:

a) Alle verschließen ihre Inhalte hinter Bezahlwänden. Eine mittelschwere Strafe wäre das, denn sie würden alle auf substanzielle Werbeeinnahmen verzichten. Gleichzeitig bestünde die Hoffnung, dass die Nutzer reichlich Abos abschlössen, um qualitativ gute Inhalte zu bekommen.

b) Nur einige der Angebote werden kostenpflichtig. Diese gehören dann zu den Verlierern, denn die anderen ziehen Leser und Werbung ab. Und die Leser würden sich mit Recht fragen, warum sie an der einen Stelle für etwas zahlen sollen, was sie an der anderen gratis bekommen.

c) Keiner installiert Bezahlinhalte – dann sind wir in der aktuellen Situation.

Und deshalb verrät Murdoch scheinbar seine Pläne. Er weiß: Allein wird er es nicht schaffen, Leser online bezahlen zu lassen. Und er weiß um seine Funktion als Trendsetter.

Bodo Hombach schlägt bei Mediendienst EPD aktuell in die gleiche Kerbe.
Allen Ernstes fordert er offen ein konzertiertes Vorgehen der Verlage. Das ist bemerkenswert: Denn so etwas könnte als Ausnutzen der Machtposition interpretiert werden. Entschließen sich die Verlage tatsächlich, gemeinsam Bezahlwände zu errichten, könnte ein Kartellverfahren nicht uninteressant werden.

Letztlich aber wird es gar nicht nötig werden. Denn was Murdoch und Hombach anscheinend nicht erkennen: Ihr Gefangenendilemma ist unlösbar.

Selbst wenn sich alle Gefangenen zur Kooperation entschließen, dürfte sie die Höchststrafe ereilen. Verschwinden die Angebote hinter Bezahlwänden, darf trotzdem über das, was sie berichten, berichtet werden. So etwas nennt sich Pressefreiheit und ist in einem Werk namens Grundgesetz festgemauert worden. Und das bedeutet: Sind Der Westen, Spiegel Online oder Focus.de nur noch gegen Abo zu lesen, werden zahlreiche Billiganbieter auf den Markt kommen, die über deren Geschichten berichten.

Sind die Inhalte hinter den Abo-Mauern besser? Möglicherweise. Ist die Qualitätsdifferenz zu den Zitierern so groß, dass er die Geldbörsen öffnet? Unwahrscheinlich.

So ist das Gefangenendilemma der Verlage für diese nie zu gewinnen, weil die Zahl der Gefangenen ins Unendliche geht.

Warum erkennen das die Verlagsmanager nicht? Warum widmet Bodo Hombach seine Zeit einem offensichtlich ausweglosen Kampf?

Nun, vielleicht erkennen jene, die derzeit so laut nach Paid Content rufen ja das Problem. Der eigentliche Gewinner des Gefangenendilemmas ist jener, der den Mitgefangenen verrät, wenn dieser nicht das gleiche tut. Er ginge also hin, böte dem Mitgefangenen einen Schweigepakt an – und zeigte dann bei den Wärtern mit dem Finger auf ihn. Er wäre frei, der andere im Knast.

Das ist natürlich böse.

Perfide.

Fies.

Durchtrieben.

Gewitzt.

Mit allen Wassern gewaschen.

Abgewichst.

Fuchsig.

Oder kurz: ein echter Rupert.


Kommentare


Martin Schneider 19. August 2009 um 14:30

Dem ist nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen!

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Volker Meise 19. August 2009 um 14:32

Fast volle Zustimmung. Einziger Unterschied zum echten Gefangenendilemma: Nachdem sich Rupert in die Freiheit verabschiedet hat, können die anderen sich sehr schnell selbst entlassen. Dann ist außer Spesen nix gewesen…

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nina 19. August 2009 um 14:39

\“Ihnen bleiben vier Optionen:\“

Wo ist die 4. Option? Dass einer die anderen verrät, die dann alle die \“Strafe\“ Paid Content erhalten, entspricht ja Option b) (der Verräter selbst hält seine Inhalte ja kostenlos).
Oder habe ich was übersehen?

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egghat 19. August 2009 um 14:39

Also erstmal Lob. Guter Artikel, der das Problem der Branche gut erläutert.

ABER die Idee von Murdoch kann in einem Gefangendilemma mit unendlich vielen Teilnehmern auch nicht funktionieren. Denn es müssten ja alle mitmachen. Und vor allem mitmachen, bevor Murdoch mitmacht.

Und glaubt ernsthaft jemand, dass jetzt alle Paywalls hochziehen, bevor Murdoch (oder Bild in Deutschland) das machen? So doof kann die Presse nicht sein. Die lehnen sich zurück, lassen Murdoch und die Bild die Paywalls hochziehen und beobachten dann. Solltend ei Erfolg haben, ziehen sich nach oder lassen es sein.

Neeh, ich glaube nicht, dass es so einfach wird. Ich glaube, es wird noch einfacher werden: Ein paar Leute haben so viel so guten Content, dass sich ein Abo lohnen kann (WSJ), die meisten anderen haben den nicht. Die müssen dann ein FT Modell machen (2 Artikel pro Monat umsonst, 10 gegen Anmeldung, danach nur gegen Abo (weitere 10 Artikel für 3 Euro). Die meisten Zeitungen haben aber nicht einmal genug Artikel für ein FT Modell. Und die werden sterben. Und das wird die Mehrzahl der aktuellen Zeitungen sein.

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Thomas Knüwer 19. August 2009 um 15:27

@Nina: Nein, habe es korrigiert. Eigentlich wollte ich das zum Schluss als Option einbauen, deshalb die falsche Zahl.

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Lars 19. August 2009 um 15:34

Vor allem muss man in Deutschland ja auch bedenken, dass man hier nicht auf preiswerte Zweitverwertung ausweichen bräuchte, da tagesschau.de oder heute.de nicht hinter so eine Bezahl-Wand gehen würden. Beide wurden ja schon durch die Rundfunkgebühr bezahlt.

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Oma Hans 19. August 2009 um 15:38

Warum sollte es zu einem Kartellverfahren kommen, wenn sich Verlage konzertiert entschließen sollten, ein Produkt zu verkaufen anstatt kostenfrei abzugeben?

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Tim K. 19. August 2009 um 16:25

Ich würde einfach die erwähnte vierte Möglichkeit d) wählen – dann wüßte keiner was ich mache!

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Tim K. 19. August 2009 um 16:25

Argh zu spät 🙁

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Matthias Zellmer (@Zellmi) 19. August 2009 um 18:46

Und wenn nun alle bestehenden Verlage sich darauf einigen, ihre Inhalte nur noch gegen Bezahlung online zugänglich zu machen, wer gründet dann mit mir einen Free-Online-Verlag?

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IchBinParanoid 19. August 2009 um 19:47

Selbst wenn alle nur noch Bezahlinhalte anbieten wird es auf jeden Fall einen geben der diese doch wieder kostenlos anbietet. Der ist dann der richtige Gewinner. Es ist ja sowieso so das wenn man sich die Meldungen verschiedener Zeitungen Online anschaut, dass dort im großen und ganzen irgend eine Standardmeldung online gestellt wird. Beim Print ist das nicht weiter schlimm, da man in der Regel ja nicht mehr als eine Zeitung liest, aber Online fällt es dann schon auf. Da kann man dann auch gleich die Pressemeldungen Lesen und verzichtet komplett auf diese Bezahlonlinemedien

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Wittkewitz 19. August 2009 um 20:57

Tja, also die Spieltheorie ist nun nicht unbedingt nur zur VWL zugehörig. Aber um mal fern vom Nash-Gleichgewicht (Nullsummenspiel) das Problem des Gefangenendilemmas aufzuklären, dass Sie intuitiv hier meinen: es geht um ein nicht-kooperatives Spiel, sodass die individuelle Rationalität der kollektiven Rationalität widerspricht. Wenn man also weiß, dass der andere Gefangene ein Egoist ist, dann muß man gestehen. Weiß man, dass er ein hoffnungsloser Romantiker und Gutmensch ist, dann wird er schweigen und man selber auch. Es erfordert also in diesem Fall Zusatzwissen, um die dominierende Strategie zu erkennen.

Die Lösung wäre eine kooperative Strategie der Absprachen oder offenen Regeln. (Kartell)

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Jan 19. August 2009 um 22:19

Sehr schöne Parallele.
So, ich bin jetzt beschäftigt, auf Wikipedia alle Arten von Dilemmas (oder sagt man Dilemmata?) der Spieltheorie durchzulesen. Wirklich hochinteressant.
Argh, dieses Internet ist zeitraubend… 😉

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friedrich reimann 20. August 2009 um 8:50

naja, so ganz kann das nicht stimmen.
bundesligafußball nur gegen cash (pay-tv), ab 3. liga nur in der regionalzeitung.
hb-online, welt-online, spiegel-online usw. umsonst ?
da kann dann doch irgendwann nur \“dritte liga unterhalb\“ dabei rauskommen – und wer macht dort schon werbung außer dem bäcker nebenan…
nochmal nachdenken, herr knüwer.

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Christian 20. August 2009 um 8:58

Die Variante, die Du nicht durchdacht hast: Murdoch führt die Bezahlinhalte ein, weil er weiß, dass er scheitern wird damit, wenn sich Online nicht ganz gewaltig am Riemen reißt. Und alternativ hinterher die Abteilungen schließen und die Leute rausschmeißen kann, weil sich die Online-Abteilungen auf einmal nicht mehr rechnen, wenn man den im Mediengeschäft üblichen bilanziellen Bauerntricks (zwei Kosten/Erlösbilanzen für Print und Online, aber der Transfer von Content von Print nach Online wird nicht fakturiert, auch nicht die Nutzung von Markennamen usw.) mal ein Ende bereiten will – und wirklich sehen will, wie so eine Online-Abteilung unter sauberen Vollkosten/Vollerlösen-Rechnungen aussieht.

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Dirk Kunde 20. August 2009 um 11:08

@Friedrich Reimann ihr Fußball- Vergleich hinkt. Die Bundesliga ist eine absolut exklusive Veranstaltung. Da kann man gut Bezahlmauern errichten. Bei Pressekonferenzen von Politikern, Unternehmen, Organisationen und anderen tagesaktuellen Ereignissen geht das nicht. Sie sollen ja gerade von vielen verbreitet werden.
Dank reichweitenstarker Social Media Angebote sind die Absender der Botschaften immer weniger auf die Gatekeeper Verlage angewiesen. Das wird deren klassische Erlösquellwn noch weiter auflösen.

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Falk D. 20. August 2009 um 12:01

Ansonsten: Ich fürchte, dass viele Verlage allerdings auf Hombachs Werben reinfallen, Schiffbruch erleiden und dann noch bitterlicher über das böse Netz weinen.

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Roy 20. August 2009 um 15:28

Vielleicht einmal ein anderer Gedanke.

Im Print-Geschäft wurde noch nie das Gedruckte bezahlt, sondern das Drucken. Dies war im besten Fall ein netter Nebenerlös.

Eine Zeitung selbst war somit noch nie DAS Geschäftsmodell der Verlage, sondern der Inhalt des Blattes.

Eine Lösung muss im Anzeigengeschäft gesucht werden. Meiner Meinung nach ist hier jedoch auch noch enorm viel potential. Jedoch kann ich mir nicht vorstellen, dass man dieses mit Google Adsense wird entdecken können.

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Daniel N. 21. August 2009 um 19:09

Spiegel Online schreibt schon heute schwarze Zahlen. Die haben eh gewonnen. Auffallend ist, ein Wochenmagazin hatte keine Hemmungen, mit tagesaktuellen Inhalten im Internet zu konkurrieren. Während Tageszeitungen Kanabilisierungsängste spüren und dauernd abwägen, was dürfen wir online stellen und was müssen wir zurück halten.

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peter 23. August 2009 um 13:44

50% der Erlöse kommen aus Werbung.
Wenn das ganze Drucken und Verteilen wegfällt, müsste ein Gratisangebot im WWW kostendeckend sein.
Also Druckausgabe einstellen und die ganze Zeitung ,auch alle Anzeigen , gratis ins WWW stellen.

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Thomas Knüwer 23. August 2009 um 15:45

50%? Aber nur in der Krise. Bei den meisten, großen Blättern liegt der Anteil in wirtschaftlich normalen Zeiten höher, sogar bis 70 Prozent.

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umsonstistgeil 23. August 2009 um 23:48

Ich habe das Handelsblatt gekündigt. Steht doch alles kostenlos online. Wer bezahlt Dich eigentlich irgendwann, Thomas Knüwer?

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Thomas Knüwer 24. August 2009 um 9:29

Werbekunden und – so es angeboten wird – Leser/Nutzer, die hoch spezielle Inhalte wünschen oder Inhalte, die auf eine spezielle Art und Weise zu ihnen transportiert werden.

Eigentlich also der gleiche Mix wie heute. Nur wollen sich derzeit Verlage nicht dem digitalen Wandel anpassen.

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