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Machen wir uns auf die Suche nach dem Skandal. Den verspricht uns die „Süddeutsche Zeitung“:

„Wie der Skandal um die Internet-Tauschbörse „The Pirate Bay“ zum bemerkenswerten Erfolg der Piratenpartei beigetragen hat – nicht nur in Schweden.“

Dies ist der Einstieg zu einem Text, in dem es um den Erfolg jener Partei in Schweden und dem deutlich kleineren, aber doch erstaunlichen, in Deutschland. Und der demonstriert, wie wenig manche Journalisten derzeit Lust haben, den Leser unvoreingenommen und informiert durch die Welt zu geleiten. Das System der Demokratie beinhaltet die Vertretung des Volkes. Irgendwie sind wir der Meinung, der Bürger an sich ist nicht vollpfostig deppert, er weiß, was gut für ihn sein könnte. Deshalb darf er Vertreter an einen zentralen Ort entsenden, die dort seine Ansichten vertreten.

Die „Süddeutsche Zeitung“ scheint das nicht mehr so gut zu finden. Oder besser Thomas Steinfeld, der Literaturchef der Zeitung. Er versucht sich im Feld des politischen Feuilletons – und landet bei demagogischen Anwandlungen.

Steinfeld berichtet von der Piratenpartei, die in Schweden bei der Europawahl einen bemerkenswerten Erfolg errungen hat. Er schreibt, es habe in Schweden einen „Skandal“ gegeben, der dieser auf Internet fokussierten Partei geholfen hat. Nun gibt es ein Problem: Das Wort Skandal taucht im Text nicht weiter auf. Interpretativ bleibt aus meiner Sicht aber nur eine Passage, die damit gemeint sein könnte:

„Vor etwa zwei Wochen, als sich abzeichnete, dass die Piratenpartei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament einen Erfolg erzielen könnte, hörten die alten Parteien in Schweden auf, den politischen Zusammenschluss der Raubkopierer zu bekämpfen. Plötzlich war nicht mehr von Autorenrechten und Diebstahl die Rede. Statt dessen hieß es, das Urheberrecht sei nicht mehr zeitgemäß, es gebe da einen erheblichen Handlungsbedarf.“

Steinfeld darf gern der Meinung sein, das Copyright müsse nicht überdacht werden – womit er sich ja gegen das eigene Haus stellt, das derzeit wie viele Verlage an einer Änderung des Urheberrechts für Texte arbeitet. Dass aber Politiker dem Willen ihrer Wähler folgen ist vor allem eines: Demokratie. Gut, wenn ein Autor der „Süddeutschen“ das in die Nähe eines Skandals rückt, gibt es tatsächlich einen solchen. Einen self fulfilling scandal, sozusagen.

Was der Autor von der Wahl insgesamt hält, verrät er auch mit einem Wort. Die Piratenpartei drohte nicht, die zweitstärkste Partei zu werden, sondern der zweitstärkste „Verein“.

Es muss die Frage erlaubt sein, wie lange sich Steinfeld überhaupt mit der Piratenpartei beschäftigt hat. Eine Minute? Oder waren es gar kostbare zwei? So lang dauert es für einen Langsamleser, um die Stichpunkte im Parteiprogramm abzuhaken. Und festzustellen, dass die Piratenpartei nicht alles kostenlos rippen und kopieren und tauschen will:

„Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte und die Interessen der Urheber entgegen anders lautender Behauptungen von bestimmten Interessengruppen nicht negativ tangiert.“

Solche Feinheiten wurden früher von Journalisten – gerade im Feuilleton – ausführlichst seziert. Damals, als Journalisten noch Lust auf intellektuelle Debatten mit Anspruch hatten.

Nach weiteren ein, zwei Minuten (Feuilletonisten genießen ja das Lesen) könnte einem solchen Autor auch auffallen, dass die Partei mehr Programm hat als das Urheberrecht. „Informationelle Selbstbestimmung“, zum Beispiel. Eigentlich auch ein schönes Feuilleton-Thema. Wenn man es verstehen würde.

Leider ist dies derzeit kein Einzelfall. Die „Stuttgarter Nachrichten“ macht sich in einem dümmlichen Text über die Partei lustig. DPA hat sich am Wahlabend schon in einen akuten Anfall von Dilettantismus geflüchtet.

Die Europawahl hätte eine schöne Vorlage geliefert für das politische Feuilleton. Denn es ist doch bemerkenswert, dass die Wahlbeteiligung nicht so weit gefallen ist, wie mancher befürchtet hat – dafür jedoch Kleinparteien wie die Tierschützer (nach meiner Meinung) erstaunliche Stimmenzahlen errangen. Ist das der Long Tail der Parteien? Erleben wir eine Zersplitterung der Interessen? Oder gehen eigentlich Nichtwählenwollende aus Angst vor Stimmengewinnen extremistischer Parteien zur Wahl – und entscheiden sich für die Winzlinge?

Schöne Idee? Würde aber Recherche erfordern. Nachdenken. Philosophieren. Und – besonders blöd – weder ein Witz noch ein Skandal wären drin gewesen.


Kommentare


Mattias 10. Juni 2009 um 20:13

Urheber- und Verwertungsrechte an immatriellen Gütern sind keinesfalls ein natürliches Recht ihrer Inhaber, sondern entwickeln sich in einem ständig hinterfragten gesellschaftlichen Diskurs vor dem Hintergrund einer gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung. Hier sollte nicht nur der monetäre Nutzen erfasst sein — also die Maximierung der Wertschöpfung, sondern ausdrücklich auch der immaterielle Nutzen, wenn man beim Lesen eines raubkopierten Zeitschriftenartikels seinen Horizont erweitert oder beim Anschauen eines Filmes Spaß empfindet.

Nicht einmal beim leichten Zugang für die Wissenschaft herrscht Konsens wie die Falschmeldungen der Zeit zu Open Access zeigen. Vollends auseinander driften die Ansichten, wenn Künstler Musik remixen, ich eine gekaufte DVD auf einem iPod sehen möchte und ich auf Teufel komm heraus einen Film suche, der im Laden längst vergriffen ist.

Tatsächlich bringen die Piraten einige interessante Ansätze ein, die vielleicht radikaler formuliert sind, als ich das täte: Soll das Urheberrecht den Urheber schützen oder seine Erben? Warum wird dann ein Werk erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers gemeinfrei? Wieviel eines ursprünglichen Werkes darf in einem neuen werk stecken, damit dieses legal ist? Oder: Ist Dangermouse\’s \“Grey Album\“ nicht gerade ein Beispiel dafür, wie das Urheberrecht Innovation und Kreativität verhindert?

Ja, es muss philosophiert werden. Dummerweise sind viele von uns Medienschaffenden diejenigen, die den größten Druck und die größte Angst haben, in ein paar Jahren nix mehr zu kauen zu haben. Anstatt sich neuen Technologien zu öffnen, neue Formen von Kreativität, Interaktion, Medienkonsum und Auseinandersetzung mit den Schöpfungen von einem selbst und anderen zu suchen, versucht man mit Gewalt sogenannte Urheberrechte zu stärken — ohne Rücksicht auf eine gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsoptimierung.

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seeräuber jenny 10. Juni 2009 um 20:21

Hallo Herr Knüwer, ich habe die Piratenpartei aus mindestens zweierlei Gründen gewählt; ich habe mich VOR der Wahl belesen und tatsächlich gehe ich auch wählenwollend trotzdem aus Angst vor Stimmengewinnen extremistischer Parteien (Wilders zum Beispiel) zur Wahl – und entscheiden mich für einen \“Winzling\“, der meine Interessen am ehesten vertritt. Es gibt sicherlich auch einen Long Tail der Wählerschaft, die weder eine Mehrheitsmeinung vertritt, noch einer solchen ihre Stimme gibt.

Skandalös ist die niedrige Wahlbeteiligung in ganz Europa und besonders bedauerlich, die in Deutschland.

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Usul 10. Juni 2009 um 20:28

Bei der Stuttgarter schreiben die auch solchen Mist? Sie hätten mal den ehrenwerten Herrn Glaser fragen sollen, wenn dieser dort schon ein Blog pflegt.

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Arnulf 10. Juni 2009 um 21:21

Ein Blick in die (gedruckte) SZ hätte genügt, um zu sehen, dass Steinfeld an keiner Stelle von einem \“Skandal\“ schreibt. Den Vorspann haben sich einzig und allein die Leute von sueddeutsche.de aus den Fingern gezogen, und auf sowas hat ein Autor (wie man als Journalist eigentlich wissen sollte) zunächst keinen Einfluss.

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Markus 10. Juni 2009 um 23:12

Leider habe ich keine Ahnung, aus welcher Zeitung der Ausriss auf der verlinkten Seite ist, aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass es von dem selben Verlag sowohl die Stuttgarter Zeitung als auch die Stuttgarter Nachrichten gibt. Die \“Stuttgarter Zeitung\“ lese (und habe dort den Ausriss nicht gesehen) und schätze ich seit mehr als 10 Jahren als gelungene Mischung aus regionaler, nationaler und internationaler Berichterstattung. Die Stuttgarter Nachrichten kenne ich kaum, sie sind aber gerüchteweise im Niveau deutlich tiefer anzusiedeln.

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Sanddorn 11. Juni 2009 um 14:17

Die \“Stuttgarter Nachrichten\“ fassen doch wunderbar die Ziele der Piratenpartei zusammen.

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