Skip to main content

Morgen wird Ursula von der Leyen einen Gesetzesentwurf zum Thema Internetsperre für Kinderpornographie im Kabinett einbringen. Es ist davon auszugehen, dass dieser durchgewunken wird. Wer nun glaubt, der Kampf gegen dieses eklige Geschäft gewinne an Fahrt irrt – der Kampf gegen Kinderpornographie wird faktisch wohl eher verlangsamt.

Es ist in Berlin fast unmöglich, einen Politiker zu finden, der kompetent in Internet-Fragen ist. Ganz schlimm sieht es aber bei der CDU aus – dort fällt mir praktisch niemand mehr ein.

Das kommt Ursula von der Leyen auf ihrem Kreuzzug zugunsten der Internet-Filterung aber vielleicht gelegen. Ansonsten hätte jemand aus der eigenen Partei ihr entgegen halten können, dass ihr Vorgehen zwar viel PR bringt – aber praktisch nichts im Kampf gegen Kinderpornographie.

Gleich auf mehreren Ebenen ist das, was morgen mutmaßlich im Kabinett durchgehen wird, verfehlt.

1. Die Technik:
Auch das BKA will anscheinend eine DNS-Sperre durchsetzen. Ein Sprecher der Deutschen Telekom, mit dem meine Kollegin Sandra Louven heute sprach, versucht, den Haken daran allgemein verständlich zu erklären: Jede Internet-Seite ist nicht nur über ihren Domain-Namen zu erreichen, sondern auch über die dahinter liegende Zahlenkombination, die IP-Adresse. Erstellt das Bundeskriminalamt eine Liste mit illegalen Seiten-Namen, so kann die Telekom zwar die Namen sperren, die IP-Adresse bleibt aber weiterhin gültig.
„Damit würde man vielleicht einigen unbedarften Surfern den Zugriff erschweren… Die hart gesottenen Nutzer solcher Seiten finden die IP-Adresse aber heraus und schicken sie sich untereinander per SMS zu“, sagte der Konzernkommunikator.

Überhaupt spielt nach Meinung von Kennern das alltägliche Ich-klicke-eine-Seite-an bei jenen, die knallharte Kinderpornos haben wollen, nur eine untergeordnete Rolle. Sie finden sich in Peer-to-peer-Tauschbörsen zusammen oder umgehen das Internet komplett. Bestes Beispiel: Der jüngst durch den Tausch von Kinderpornographie in die Schlagzeilen geratene SPD-Mann Jörg Tauss – er tauschte Bilder und Videos per MMS aus.

2. Das Tagesgeschäft:
Die Erstellung einer Liste mit Seiten, die zu sperren sind, ist eine rechtlich kitzelige Angelegenheit. BKA-Beamte sollen ein inhaltliches Urteil fällen, ohne ein Gericht befragt zu haben. Diese Beurteilung ist keine Sache von einem kurzen Hingucken. Das beweist die angeblich erfolgreiche Aktion „Himmel“. Zwischen Dezember 2007 und April 2008 bekamen über 12.000 Deutsche Internet-Anschlussbesitzer Besuch von der Polizei, über 500 davon aus Berlin. Die Staatsanwaltschaft feierte Ende vergangenen Jahres den Abschluss von „Himmel“ per Pressemitteilung. Auf Nachfrage kannte ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft noch keinen einzigen Fall einer Anklage oder einer Verurteilung. Jedes gefundene Bild müsse eben genau überprüft werden, das brauche Zeit.

Einerseits verständlich. Andererseits ist es verwunderlich, dass noch nichts passiert ist. Immerhin gab es bei einer ähnlichen Aktion, „Mikado“ getauft, zahlreiche Geständnisse. Wieviele Prozesse es gab, wird die Staatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt vielleicht noch verraten – auf meine E-Mail gab es bisher noch keine Reaktion.

Auf der Whistleblower-Seite Wikileaks gibt es Listen mit gesperrten Web-Seiten, angeblich handelt es sich um die Sperrlisten aus Norwegen, Dänemark und Australien. Die australische Regierung behauptet, die Liste sei nicht echt. Nur: Einer der kuriosesten Fälle, der dort gelistet ist, scheint bestätigt: Ein Zahnarzt ist dort zu finden, ich bin außerdem auf ein Tanzsportforum gestoßen, in dem sich Spam-Kommentare gesammelt haben. iiNet, der drittgrößte australische Zugangsanbieter, hat die Zusammenarbeit mit den Behörden inzwischen aufgekündigt.

Bemerkenswert auch: Bei der dänischen Liste tauchen deutsche Seiten auf, bei der norwegischen Seiten aus Portugal. Warum ist es nicht möglich, im Rahmen einer europäischen Zusammenarbeit, den Betreibern dieser Seiten das Handwerk zu legen? Ohnehin weisen Kritiker ja darauf hin, dass statt einer Liste viel leichter die Hoster strafrechtlich relevanter Angebote kontaktiert werden könnten. Warum also wird der gewaltige bürokratische Apparat angeworfen?

3. Die Umsetzung und die rechtlichen Folgen
Vieles ist unkonkret bei dem, was von der Leyen vorlegt. Gerd Fuch, Referent Medienpolitik beim Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) meint: „Wie diese Sperrliste zusammengestellt wird, von wem, wer sie kontrolliert, wie man Einspruch erheben kann – all das ist weitgehend nicht geklärt. Natürlich muss man gegen kinderpornographische Inhalte vorgehen. Aber es braucht ein Gesetz, nicht einfach nur ,freiwillige‘ Sperren seitens der Provider. Wie etwa bei der Telefonüberwachung muss klar sein, wer was wann darf.“
Diese Unklarheiten könnten auf mehreren Ebenen Wirkung zeigen. Zum einen dürfte es, wie bei der Vorratsdatenspeicherung, Klagen bis hoch zum Bundesverfassungsgericht geben. Zum anderen könnten dem BKA auch kräftige Klagen ins Haus stehen: Denn nach den Wünschen von der Leyens soll die Kriminalbehörde für Schadenersatzansprüche herhalten.

4. Das Denken hinter der Maßnahme
Gern betont von der Leyen, Kinderpornographie sei eine Einstiegsdroge für Gewalt an Kindern. Diese Annahme ist logisch. Doch Logik allein reicht nicht immer. Zum einen gibt es den erstaunlichen Zusammenhang zwischen Aufkommen des Internets und einer laut Kriminalstatistik sinkenden Zahl von Sexualstraftaten an Kindern in Deutschland. Hätte die Familienministerin Recht, müsste die Kurve genau anders verlaufen.
Und da ist eine Studie des renommierten Berkman-Centers der Uni Harvard. Wer sie herunterlädt, dem sei ein Blick in das Kapitel 5.2. „Child Pornography and Sexual Solicitation“ empfohlen, beginnend auf Seite 36. Zusammenfassung: Es gibt Studien und Zahlen, die in beide Richtungen gehen, sicher ist derzeit nichts.

Die Bekämpfung von Kinderpornographie ist wichtig. Und weil sie so wichtig ist, sollte man von der Leyen nicht davonkommen lassen mit einem wirkungslosen Mittel wie jenem, das morgen in Berlin seine erste Hürde nimmt. Statt eines bürokratischen Apparates mit rechtlich fragwürdigen Folgen zu erschaffen, sollte eher investiert werden in die tatsächliche Bekämpfung der Produzenten des Ekel-Materials und organisierten Schlägen gegen ihre Abnehmer. Die Polizei klagt über zu wenig Personal und zu schlechte technische Ausstattung – das ist der Hebel, an dem die Familienministerin ansetzen sollte.

Warum also doch diese Sperre? Vielleicht, weil sie nur der Anfang ist. Wenn mit Kinderpornographie der erste Straftatbestand eine Sperre erlaubt, werden bald weitere folgen: Gewalt, Glücksspiele, Sportwetten. So entsteht ein gewaltiger Wust an Seiten, die sich sperren lassen. Und jene, die Sperren kritisieren und in dieser Kritik darauf verlinken, die kann man wieder sperren, wie jüngst bereits geschehen. Dann wäre die freie Meinungsäußerung maßgeblich bedroht.

Natürlich gäbe es noch eine andere Erklärung für dieses Vorgehen von der Leyens: Wahlkampf. Als Streiterin gegen die Kinderpornographie lässt sich gut Stimmen einsammeln, so einfach könnte das sein.

In der Beurteilung dessen, was morgen in Berlin passiert, hat man also die Wahl: Ist Ursula von der Leyen einfach inkompetent in technischen Fragen, ist sie eine perfide Beschneiderin der Bürgerrechte – oder einfach heiß auf einen Bundestagssessel, den sie früher mal nicht wollte?

Nachtrag: Bemerkenswert ist auch, dass der Gesetzgeber Kinderpornographie weiterhin als Bagatelldelikt wertet mit einer Höchststrafe bis zu drei Jahren, wie mir gerade ein Staatsanwalt schilderte. Das bedeutet: Auf Kinderpornographie steht eine geringere Höchststrafe als auf Ladendiebstahl. Wenn aber schon ein Bagetelldelikt eine Internet-Sperre rechtfertigt – dann öffnen sich hier Tür und Tor für eine Online-Zensur.


Kommentare


Politiker 24. März 2009 um 18:55

Ich denke da kommt alles zusammen. Diese Sache ist etwas, da kann man als Politiker nur gewinnen. Dass es nicht funktioniert merkt niemand, Kritiker können einfach als Kipo-Freunde diffamiert werden, dem Parteifreund Schäuble tut man auch mal wieder was gutes und es sieht im Wahlkampf gut aus. Und die diversen Äußerungen der werten Frau lassen auch nicht gerade überbordende Ahnung vom Internet vermuten.

Kurz: Wenn ich Frau von der Leyen wäre, würde ich den ganzen Tag nichts machen, als solche Sperren zu fordern.

Antworten

Tux2000 24. März 2009 um 18:58

Bezeichnend ist, wie viel Energie in eine so offensichtlich wirkunslose Pseudolösung gegen die Verbreitung von Kinderpornografie investiert wird, statt direkt gegen die Produzenten und Verbreiter vorzugehen. Das Ziel ist offensichtlich NICHT, Kinderpornografie zu bekämpfen, sondern Zensurfilter zu implementieren. Schön, dass das endlich nicht mehr nur technische Experten das erkennen.

Wie war das noch mit Art. 5 Abs. 1 GG? \“Eine Zensur findet nicht statt.\“ Aber das GG scheint in letzter Zeit ohnehin keinen Volksverrät–äh–vertreter mehr zu stören.

Tux2000

Antworten

Paul Hill 24. März 2009 um 20:04

Die Stellungnahme von Jörg Tauss wirft Licht auf die Kinderporno-Tauscher-Szene: http://daten.tauss.de/StellungnahmeTauss110309.pdf – interessant ist hier vor allem, dass das Internet eigentlich nur der Kontaktaufnahme dient, der Bezug des Materials findet darüber an sich nicht mehr statt.

Antworten

Martin 24. März 2009 um 20:35

Ich denke, Ursula \“ahnungslos\“ von der Leyen ist tatsächlich inkompetent und beratungsresistent. Ihr ist nur an der eigenen Profilierung im kommenden Wahlkampf gelegen. Anderen in der CDU kommt der Vorstoß vermutlich gerade recht, um eine Zensur-Infrastruktur zu etablieren.

Interessant ist zu dem Thema auch das hier:
http://www.carechild.de/news/politik/internetzensur_carechild_versuch_blamiert_deutsche_politiker_566_1.html

http://www.carechild.de/news/politik/internetzensur_die_grossen_luegen_der_ursula_von_der_leyen_572_1.html

Antworten

Michael 24. März 2009 um 21:04

Und zur gleichen Zeit holt sich Obama eine echte Expertin in
die Regierung, eine, die exakt weiß, was es mit IP Adressen etc.
auf sich hat. Mir fehlen einfach die Worte.

Antworten

Sebs 24. März 2009 um 22:16

Hmmm, das Thema ist von Sieten der POlitiker so schlau aufgestellt das ja eigentlich kein (technisch) ahnungsloser Bürger widersprechen kann.

Einige Dinge fallen aber sofort ins Auge

1. Die Pressefreiheit ist klar bedroht. Der Polizeieinsatz gegen den Blogger zeigt, das schon Verantwortung für den Link eines Links übernommen werden muss. Was passiert wenn z.B. das handelsblatt auf so einer Liste steht? Ich müsste ja nur mal die entsprechenden Links in deine Kommentare Posten oder woanders wo nicht jedes Posting kontrolliert wird.

2. Der technische Teil (bei dir) geht noch nicht mal auf die Möglichkeiten ein das ein Zwischenserver (Proxy) benutzt wird. Szenario: Einwahl via Deutschland, verschlüsselte Verbindung nach Irgendwo und von diort werden dann die Seiten abgerufen. Kein Filter möglich. Diverse andere Spielzeuge stehen zur Verfügung.

3. Diverse mal kam die Erweiterung um Glücksspiel, Killerspiele etc. schon in Diskussion. In Thailand wurden schon unliebsame Äusserungen geblockt. Ist eine Einschränkung zu befürchten wenn Tatbestand a 2010 noch legal war aber 2011 filterbar wird? Müssen dann alle Artikel beim Handelsblatt und anderen Medien entfernt werden weil diese die Filtergefahr mit sich bringen?

Das Internet gibt es jetzt 20 Jahre, und durch meine Bekanntschaft mit einem Ermittler aus dem Bereich Computerkriminalität habe ich die Anfänge, gerade von Polizeiseite, komplett mitekommen. MIt ein bischen Willen von Seiten der Politiker wären wir wirklich ein Stück weiter. Der hat aber gefehlt.
Der Staat tritt momentan um sich wie ein schlecht erzogenes Kind das sich bedroht fühlt und nur noch zur reinen Gewalt greifen kann. Leider liegt im Wohnzimmer vom Vater die ungesicherte, geladenen Waffe der Gesetzgebung rum die grade zum Amoklauf durch unsere Freiheiten benutzt wird. Die ersten toten sind schon zu beklagen … aber wann setzt sich mal jemand zur Wehr?

Antworten

Thomas Knüwer 25. März 2009 um 10:53

Kinderpornographie ist, wie mir gerade erst ein Staatsanwalt erklärte, aus Gesetzgebersicht immer noch in Bagatelldelikt (siehe Nachtrag oben im Text). Womit sich die Frage stellt, warum nicht an einem höheren Strafmaß gearbeitet wird.

Antworten

HCL 25. März 2009 um 11:35

hast du diesen traurigen zeit-artikel gelesen?
http://www.zeit.de/2009/13/Meinung-Kinder

Antworten

Tina Guenther 25. März 2009 um 12:41

Gut, von der Leyen ist Initiatorin dieser unsäglichen \“Maßnahme\“, aber abgesegnet hat doch nun das Kabinett – ich finde es zu billig, allein Frau von der Leyen dafür verantwortlich zu halten. Viel mehrhat hat Berliner Große Koalition fertig und bringt, wie Dein Beitrag zeigt, nun solche Beschlüsse durch, die bei normalen politischen Verhältnissen komplett indiskutabel wären und auf Einchränkung von Bürgerrechten, Meinungs- und Informationsfreiheit hinauslaufen. Werde \“Maßnahme\“ als Beispiel dafür verwenden, wie man ein vertrauenswürdiges Internet nicht bekommt.

Antworten

Hoba 25. März 2009 um 14:18

Der Artikel trifft es absolut!

Ich denke an der Stelle ist unsere Demokratie wirklich kaputt. Wir, die Ahnung von der Materie haben und keine Wirtschaftlichen Interessen verfolgen, können einfach nichts gegen so einen offensichtlichen Unsinn ausrichten. Nur wieder klagen und hoffen das uns das Bundesverfassungsgericht rettet.

Das kann aber in einer Demokratie nicht die Lösung sein.

Antworten

Valmont 25. März 2009 um 15:17

Sehr guter Artikel, der gleich auch in die Print-Ausgabe des Handelsblatts gehören sollte, damit mehr Menschen darüber nachdenken, was die Politik da eigentlich macht. Stimme vollkommen zu!

Antworten

PS 26. März 2009 um 0:02

hat vorhin jemand die Tagesthemen gesehen?
war 110%ig auf von der Leyen-Kurs.
Journalismus Fehlanzeige…
Zum Erbrechen…

Antworten

PS 26. März 2009 um 0:17

es sei ergänzt.
Heute Nacht war keinen Deut besser.

Das ist als ob legastehniker über die Buchmesse berichten.

Könnte jetzt wirklich kotzen..

Antworten

Fokko 26. März 2009 um 21:26

@ PS: Hast Du im Ernst etwas anderes erwartet?

Antworten

NewsShit! 28. März 2009 um 18:43

Mal schnell konstruiert: Herr Tauss (SPD) wird wegen Kinderpornographie in die Mangel genommen und 2 Wochen später will Frau von der Leyen (CDU) eine sinnlose Initiative durchs Kabinett wuchten.

Der größte Widersprecher gegen das Vorhaben wäre Tauss selbst gewesen…

Antworten

Leserbrief 29. März 2009 um 16:29

via Brigitte Zypries: Die mögliche Höchststrafe liegt mindestens seit letztem Oktober bei fünf Jahren (Besitz, Verbreitung, Herstellung). Die drei Jahre werden gerne genannt, aber auch Staatsanwälte dürfen sich z.b. hier schlau machen: http://dejure.org/gesetze/StGB/184b.html . Inhaltlich volle Zustimmung, gerade auch zum ersten Kommentar.

Antworten

Linda Berger 30. März 2009 um 13:24

\“Gesellschaftspolitisch das richtige Signal, technisch kaum ausführbar\“ so beurteilt der Geschäftsführer der Gesellschaft für technische Sonderlösungen, Juhl, den Kampf der Bundesregierung gegen Kinderpornographie letzten Freitag in einem Interview. Ich bin kein Techniker, aber das sagt doch schon alles aus, oder

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*