Alice rauschte einst durch das Wunderland um uns Lesern klarzumachen, dass eigentlich auch unsere Welt voller kleiner, wunderschöner Wunder sein kann. Oder wie es der amerikanische Internet-Unternehmer Jeff Pulver wohl heute auf der Web-Konferenz Kinnernet (laut Twitter-Feed von Heiko Hebig) formulierte:
„If you don’t enjoy your life, you can’t enjoy the little things that might or might not be tweetworthy.“
Diesen Satz halten wir einfach mal fest. Und dann schauen wir auf ein Interview mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz Peter Schaar. Gerade habe ich einen neuen Facebook-Kontakt hinzugefügt. Also, ich habe jemand kontaktiert, aktuell hat er noch nicht geantwortet. Sein Name ist Peter Schaar und ich hoffe, dass ich den richtigen Peter Schaar erwischt habe, denn bei Facebook gibt es mehrere und jener, den ich um Freundschaft gebeten habe, trägt eine Sonnenbrille.
Vermutlich aber ist es dieser Peter Schaar, der Datenschutz-Beauftragte.
Spiegel/Manager-Magazin Online hat er ein Interview gegeben, aus dem ich erfahren habe, dass er Mitglied bei Facebook ist. Bemerkenswert finde ich dabei, das er sagt:
„Ich glaube, ich bin der einzige amtliche Datenschutzbeauftragte in Deutschland, der bei Facebook registriert ist.“
Welche bemerkenswerte Äußerung. Denn müssten nicht eigentlich alle dort sein? Also, zumindest jene, die sich mit Datenschutz und Social Networks/Jugendlichen/persönlichen Informationen befassen? Wie wollen sie sonst vernünftig urteilen, wie es bei diesen Diensten um Datenschutz bestellt ist? Mehr noch: Wären sie nicht sogar Vorbilder, wenn sie Netzwerke so nutzten, wie sie glauben, dass sie genutzt werden sollten?
Nein, Datenschützer, die das übliche Wehklagen über sich in der Öffentlichkeit entblößende Menschen anstimmen, selbst aber keine Erfahrungen gemacht habe, sind wie Nichtschwimmer als Bademeister.
Doch noch etwas anderes hat mich erstaunt: Schaar macht den gleichen Fehler, den so viele Journalisten, Verlagsmanager und auch Politiker machen. Er glaubt, alles, was dort in Netzwerken zu lesen sei, habe ihn zu interessieren:
„Manchmal rege ich mich aber auch über solche Dienste auf.
SPIEGEL ONLINE: Worüber?
Schaar: Zum Beispiel über die völlige Belanglosigkeit von vielem, was da eingestellt wird. Da gibt es drei Arten von Beiträgen: Einmal eine sehr persönliche, bei der man mitteilt, wie man sich fühlt und was man gerade macht. Dass man gerade eine Pizza gegessen hat und diese einem nicht so gut bekommen ist. Das haut mich nicht wirklich vom Hocker…“
Warum sollte es ihn auch „vom Hocker hauen“? Wenn Schaars persönliche Kommunikation nur um Themen dreht, die ihn vom Hocker hauen, dann dürfte sein Körper zum einen von Hämatomen übersät sein – oder es ist sehr, sehr still um ihn. OK, es könnte auch sein, dass er Freunde, Verwandte und Kollegen ständig angrantelt, weil sie Zeugs reden, dass ihn auf seiner Sitzgelegenheit belässt.
Menschliche Kommunikation haut zu 99,99 Prozent nicht „vom Hocker“. Allein schon deshalb, weil das Verlassen desselbigen ja von Erstaunen und/oder Erschrecken getrieben ist und wir stumpfen ab gegenüber Erstaunen und Erschrecken. Ansonsten hätten wir unser ganzes Leben das soziale Gebahren von Kleinkindern und das wäre ja auch nur limitiert begrüßenswert.
Zum anderen hat Schaar vielleicht auch die Kommunikation von Menschen gemeint, die er gar nicht kennt. Und wieso sollte ihn dann etwas persönliches überhaupt nur ansatzweise interessieren? Die der Pizza folgende Übelkeit, zum Beispiel, könnte ja durchaus für ihn interessant sein, so es sich um seine Tochter oder seinen Sohn handelt. Oder um die eines Mitarbeiters. Oder seiner Frau. Und die schlichte Bemerkung, dass jemand seinen Kaffee bei Starbucks erworben hat, kann bei Menschen, die wissen, dass er bekennender Starbucks-Abhänginger ist, ein kleines Gefühl der Nähe aufkommen lassen. Es ist einer dieser Wunderland-Momente, die man nur wahrnehmen kann, wenn man so fühlt, wie Jeff Pulver.
Es überrascht mich, dass Schaar nicht begreift, dass menschliche Kommunikation fast immer banal ist – und das ist auch nichts schlechtes. Banale Kommunikation von Unbekannten aber ist völlig uninteressant. Weshalb medienkundige Menschen diese einfach ausblenden. Aber dahin wird Peter Schaar vielleicht auch noch kommen. Traurig, dass es so lange gedauert hat.
Kommentare
Detlef Borchers 27. März 2009 um 21:04
Vielleicht interessiert es ja den Leser dieser etwas einseitigen Schilderung der Hintergrund, worum es Peter Schaar beim Blick auf die sozialen Netze geht: Selbst wenn die Daten der Nutzer einzelner Angebote nach wissenschaftlicher Methodik korrekt anonymisiert sind, können sie wieder personalisiert werden. Mit anonymen Daten von Twitter und Flickr waren US-Wissenschaftler mit einer nur 12%-igen Fehlerrate in der Lage, die Daten zu de-anonymisieren. Das hat die Datenschützer alarmiert, nicht, was einer für eine Pizza gegessen hat oder welcher Wein geschlabbert wurde.
http://33bits.org/2009/03/19/de-anonymizing-social-networks/
Malte 27. März 2009 um 21:36
Ich kann da leider gar nichts hinzufügen. Also nichts, was einen Datenschützer vom Hocker hauen würde.
Gerade bei Twitter wird das im Artikel erwähnte Kommunikationsprinzip schon im Firmennamen aufgegriffen. Menschliche Kommunikation ist eben auch soziale Fellpflege, fröhliches Gezwitscher und dient nicht allein dem Transport lebenswichtiger Informationen.
Markus Hansen 28. März 2009 um 9:41
Das Peter Schaar der einzige \“amtliche Datenschutzbeauftragte in Deutschland\“ bei Facebook ist, mag sein.
Daraus zu folgern, dass die Datenschutzbeauftragten keinen Einblick in die Materie hätten, ist etwas arg oberflächlich: Eine Datenschutzaufsichtsbehörde ist kein Einpersonenbetrieb. Die Datenschutzbeauftragten (zumindest des Bundes/der Länder) haben Mitarbeiter, die sich mit den jeweiligen Themen – mitunter sehr intensiv – befassen.
Rainersacht 28. März 2009 um 10:18
War das jetzt Pro-Twitter-Propaganda?
Sebs 28. März 2009 um 12:59
Also hier hate mal wieder ein \“falsches\“ Opfer ausgesucht und das durchaus gute interview um die interessaten Sachen kastriert. Aber was solls, ist ja ein Blog hier.
Ich finds auf jeden Fall gut das er bei Facebook aktiv ist. 😉
Seepferdchen 28. März 2009 um 17:12
> Nein, Datenschützer, die das übliche Wehklagen über sich in der Öffentlichkeit entblößende Menschen anstimmen, selbst aber keine Erfahrungen gemacht habe, sind wie Nichtschwimmer als Bademeister.
Das heißt, das Handelsblatt dürfte nur kritisch über die Arbeitsbedingungen bei dem Unternehmen \“Hinz und Kunz\“ berichten, wenn der Autor selbst als Angestellter Erfahrungen bei \“Hinz und Kunz\“ gesammelt hat (wäre vielleicht nichtmal schlecht, aber ist nicht das Gegenteil gewünscht?)
Stefan Niggemeier dürfte nicht über Winnenden-Berichterstattung bloggen, weil er (vermutlich) nie selbst über einen Amoklauf berichtet hat.
Und Sie, Herr Knüwer, haben Sie schonmal in einer PR-Bude gearbeitet? Immerhin nehmen Sie sich das Recht heraus, sich an diesen regelmäßig (großartig) abzuarbeiten.
Ich verstehe das Bademeister-Bild nicht. Wo ist mein Denkfehler?
mirna 28. März 2009 um 17:33
löblich, wenn jemand den es interessieren sollte, registriert ist, und social media zumindest versucht zu nutzen. ich arbeite in einer redaktion und betreue u.a. dort den twitter-account, was von anderen redaktionsmitgliedern freilich nicht ernst genommen wird (eine auswertung der verweisenden quellen spricht andere bände). und so kommt es immer wieder vor, dass jemand herein kommt und eine frage zu twitter hat, oder ich ihm eine info weiterleite, die für seinen bereich relevant ist oder sich an einen bestimmten autor richtete. wenn man dann sagt, hier sind die zugangsdaten, probier es mal aus, jeder aus der redaktion kann den account nutzen, heißt es immer: ach, ich weiß ja wie das funktioniert.
hier liegt aber der entscheidende denkfehler. die meisten wissen eben nicht, wie twitter funktioniert, oder facebook – obwohl es derzeit ein journalistisches lieblingsthema ist. vermutlich kennen das viele von ihrem ersten tweet: \“was schreibe ich jetzt?\“ und viele schreiben: \“ich probiere jetzt twitter aus.\“
auf dieser verständnisebene bleibt es dann zumeist, und vielleicht erklärt sich somit auch die mediale berichterstattung über social media. da hier mangelnde praxis vorliegt, ist die berichterstattung einseitig und irritiert diejenigen, die die nutzung von social media selbstverständlich finden.
und so sagt es herr knüwer ganz richtig: es gibt viel unwichtiges, unnützes, menschliches. genau wie im realen leben, im fernsehen, in der politik. und das probieren wir doch auch aus, und schreiben darüber – in verschiedenen facetten. aber social media – das ist ja für kinder, das probiert man nicht aus – man weiß ja, wie das geht.
wo bleibt denn das für den journalistischen beruf so grundlegende? die lebenslange neugier.
ich 28. März 2009 um 20:55
ziemlich viel gegenwind in letzter zeit für den lieben herrn knüwer. die zeiten werden härter
christoph thamm 29. März 2009 um 16:42
@seepferdchen:
Es ist meiner Meinung eher der Denkfehler des Hausherren. Dieser scheint zu meinen – um den hinkenden Vergleich weiterhumpeln zu lassen -, dass bei der Feuerwehr nur Brandopfer anheuern sollten.
Thomas Knüwer 29. März 2009 um 21:40
@ich: Nö. Nicht mehr als sonst. Möchten Sie auch was zur Diskussion beitragen?
Thomas Knüwer 29. März 2009 um 21:43
@Seepferdchen @christoph thamm: Der Unterschied ist: Er ist kein Journalist, sondern, sagen wir, ein Gutachter. Und in dieser Funktion muss er auch mal in Bereiche tiefer reinleuchten. Das bedeutet nicht, dass jeder Pathologe schon mal tot gewesen sein muss. Aber in den Grenzen des Machbaren erwarte ich von einem Gutachter eben auch Erfahrung. Dass bei der Feuerwehr nur Brandopfer anheuern, ist natürlich Blödsinn. Aber: Bei der Feuerwehr sollten auch nur Leute arbeiten, die in Kursen handfestes Training erfahren haben.
Uwe 30. März 2009 um 8:58
Nichtschwimmer als Bademeister. Like it.