Auch ich gehöre zu jenen, die im deutschen Online-Journalismus viel zu wenig Journalismus entdecken. Gleichzeitig stecken die meisten klassischen Medien derart tief im Krisensumpf, dass sie die Mittel für investigativen Journalismus immer weiter kürzen.
Das eine allein wieder selig machende Mittel für eine Wende gibt es nicht. Doch würde eine winzige Kleinigkeit, eigentlich nur ein Befehlsakt im Rahmen der Online-Auftritte aller Medien schon ein wenig was bewirken.
Und deshalb rufe ich hiermit alle Online-Chefredakteure zu einer konzertierten Aktion auf: Verlinken Sie alle gemeinsam auf investigative Geschichten anderer Medien! Die nun folgende Rechnung ist weit davon entfernt, wissenschaftlich korrekt zu sein. Sie ist ein Zahlenspiel, eine Jongliererei. Aber trotzdem gibt sie eine Richtung an, die vom generellen Problem der Refinanzierbarkeit des Qualitätsjournalismus erzählt.
Nehmen wir einen fest angestellten Redakteur, seit fünf Jahren dabei, bei einer Tageszeitung. Nennen wir ihn Egon Erwin.
Laut Tarifvertrag verdient er rund 3.500 Euro. Nehmen wir der runden Rechnung zuliebe an, er bekäme dies im Jahr 14 mal (Weihnachts- und Urlaubsgeld machen es möglich. Das ergäbe 49.000 Euro. Egon Erwins Arbeitgeber, nennen wir ihn „Tageblatt“, kostet er noch einiges mehr, doch selbst das lassen wir jetzt mal außen vor, weil es sehr schwer zu kalkulieren ist.
Eine Woche von Egon Erwins Arbeitszeit kostet also 942 Euro. Na gut, eigentlich ja sogar nochmal mehr, denn der Urlaub ist in dieser Kalkulation nicht drin.
Nehmen wir weiterhin an, Egon Erwin arbeite an einer investigativen Geschichte. Einem Knüller. Und diese Recherche kostet ihn eine Woche seiner Zeit, in der er nichts anders macht, als nur an dieser einen Story zu arbeiten.
Natürlich ist das eine völlig unrealistische Annahme: Kaum ein fest angestellter Journalist kommt durch die Woche, ohne irgendwo einzuspringen, ein paar kurze Sachen zu schreiben, mitzuredigieren, Telefonate zu beantworten und in Konferenzen zu sitzen.
Sagen wir also, jene spannende Story koste Egon Erwin netto eine Woche Arbeitszeit, was ungefähr 1000 Euro Kosten gleichkommt. Noch nicht mit drin sind natürlich die Reisekosten.
Ob sich dieser Artikel für das „Tageblatt“ refinanziert, ist bei einer Zeitung nicht herauszufinden. Denn wieviele Menschen das Blatt wegen dieses Artikels kaufen, ist beim besten Willen nicht seriös zu ermitteln.
Im Web sieht das anders aus. Nehmen wir einen Tausenderkontaktpreis von 10 Euro an. Es müssten also 100 mal 1000 Leser die Anzeige betrachten, die neben dem Artikel online steht, um jene 1000 Euro Personalkosten zu erreichen, die der Redakteur verursacht hat.
Wohlgemerkt: Damit ist noch kein Gewinn gemacht, die Fix- und kalkulatorische und Reisekosten sind außen vor.
Was passiert nun mit der exklusiven Nachricht? Das „Tageblatt“ vermarktet sie. Sprich: Eine Kurzfassung wird an die Nachrichtenagenturen und an andere Medien verschickt, auf dass die den Ruhm des Produzenten mit Formulierungen mehren wie: „… wie das Tageblatt berichtet…“
Selbst in klassischen Medien tut sich mancher mit dieser Anerkennung guter Arbeit eines Konkurrenten schwer. Lange Zeit, zum Beispiel, waren Zitierungen des Handelsblatts im Rahmen der „FAZ“ eine große, große Ausnahme.
Das Internet aber ermöglicht ja noch eine weitere Chance. Das „Tageblatt“ mit Egon Erwins Exklusivnachricht könnte ja nicht nur genannt werden – es könnte auch verlinkt werden. Dem Leser wäre das wohl nur Recht – denn er könnte den originalen Text auf Tageblatt.de direkt lesen, und nicht eine Zusammenfassung oder Umschreibung.
Technisch wäre das kein Problem, davor steht aber eine altbackene Gefängnistaktik: „Mein Leser gehört mir“, sagen sich viele Online-Redakteure und -Chefredakteure. Gerade so, als ob der Leser nicht von sich aus weiterginge, gerade so, als ob er es nicht als Dienstleistung empfinden würde, auf die Originalmeldung hingewiesen zu werden. Und wenn er eine gewünschte Dienstleistung erhält – würde das nicht seine Zufriedenheit steigern und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass er zurückkehrt?
Nimmt man die Grundthese als gegeben an, dass zufriedene Kunden regelmäßige Kunden werden, dann ist die Verlinkung nach außen eine Steigerung der eigenen Kundenzufriedenheit.
Und noch etwas passiert. Derzeit verfällt die Exklusivität einer Nachricht im Internet in Minuten. Kaum ist die Geschichte von Egon Erwin auf Tageblatt.de erschienen, steht sie auch schon bei Fenster Online, Zenit.de und Globus.com. Die Zahl der Leser, die im Zeitraum zwischen Online-Stellung bei Tageblatt.de und der Vermeldung bei anderen Seiten, den Original-Artikel von Egon Erwin gelesen haben, bewegt sich in engen Bahnen.
Investigativer Journalismus wird somit nicht gefördert. Doch das ginge. Mit einem schlichten Link. Nicht jeder Leser von Fenster Online oder Bayerische.de würde darauf klicken – aber so mancher. So näherte sich die Zahl derjenigen, die Egon Erwins Werk online lesen wenigstens ein Stück weit jener absurd hoch erscheinenden Marke, die zur grundsätzlichen Refinanzierung nötig wäre: 100.000 Abrufe.
Und vergessen wir nicht: Die Einnahmen aus Online-Werbung sollen steigen. Dies wird auf Dauer – und alles andere wäre ungewöhnlich – eine stärkere Unterscheidung im TKP zwischen Billig-Seiten und Seiten mit qualitativ hochwertigen Inhalten bedeuten. Schon mittelfristig scheint eine vervierfachung der Online-Werbung möglich. Und das würde im Umkehrschluss bedeuten, 25.000 Abrufe von Egon Erwins Text wäre nötig – eine Zahl, die nicht abwegig ist.
Doch um dorthin zu gelangen, ist jene Verlinkung nötig. Und deshalb appeliere ich hiermit an alle Online-Chefredakteure, das zu tun, was bei fast allen Bloggern längst Usus ist: Verlinken Sie, liebe Kollegen, investigative Geschichten anderer Medien. Nicht nur gelegentlich und sporadisch, sondern als grundsätzliche Maßnahme. Es wäre ein Beitrag zum Qualitätsjournalismus.
Kommentare
Jörg Friedrich 11. Januar 2009 um 15:32
Schöne Rechnung und schöne Idee. Ein Aspekt, der für dein Zahlenspiel zwar nicht wichtig, für der refinanzierung aber grundsätzlich relevant sein dürfte, hast du aber vergessen: Die meisten deutschen Surfer sind stolz auf ihre Werbe-Blocker, die jede noch so kleine versteckte Anzeige aus dem Browserfenster tilgen. Da sehe ich das größte Problem für die (Re)-Finanzierung von aufwändig erstelltem Online-Content – ob in Blogs oder auf den Webseiten des \“Tageblatts\“.
BrainBomb 11. Januar 2009 um 15:50
Sehr gute Idee!
In modifizerter Form wird das ja schon realisiert. Allerdings nicht von Chefredakteuren sondern erzwungenermaßen von Lesern, die durch eigenes aktiv-werden die übliche PR-Soße und Agenturmeldungs-Wiederkäuung der überall eingeführten News-Desk etwas aufwerten.
Beispiel DER WESTEN. Die Artikel dort sehen häufig so aus, als seien in der zugehörigen Agenturmeldung nur drei Worte umgestellt worden. Trotzdem sind sie manchmal interessant, weil einige Leser zum Thema auf gut recherchierte und wirklich investigative Artikel verlinken.
Z.B. wurde dort im Fall Lichtinghagen immer wieder auf zwei wirklich gute und investigative Stern-Artikel verlinkt, welche die tatsächlichen Probleme der Staatsanwaltschaft Bochum und der Steuerfandung Frankfurt beim Namen nannten, ganz im Gegensatz zu den offiziellen Artikeln der Leitmedien, die immer nur die Sprachregelungen der Staatsanwaltschaft Bochum reproduzierten.
Bei DER WESTEN ist nun vorteilhaft, dass die Kommentare dort noch überschaubar sind, ähnlich einem Blog, wahrscheinlich aber nur, weil nicht soviele Leser auflaufen.
Bei SPON ist das Forum-System völlig beknackt. Da findet man keine relevanten Information zum Thema wegen der unendlich langen Threads. Vielleicht ist das sogar gewollt um Kritik von den Artikeln selbst fernzuhalten.
Bei Welt.DE ebenfalls nicht. Die Kommentare dort ähneln eher ein Shout-Box, vor allem dann, wenn die zugehörigen Artikel die Qualität eines Hetz-Blattes erreichen (z.B. zum Thema Ypsilanti).
Und in der FAZ kann man nicht kommentieren, weil dort der Klarname angezeigt wird. Sollte man im Internet ja eigentlich vermeiden. Dementsprechend einseitig und uninteressant ist die FAZ-Community.
Nur mal so ein paar Beispiele, warum auch Leser zur Attraktivität eines Artikels beitragen können oder aber auch nicht.
Daraus könnte man jetzt auch die Idee eines Mediums ableiten, welches nur noch Agenturmeldungen eins zu eins abdruckt und in dem die Leser die Funktion der Kommentierung und Recherche erfüllen. Ein solches Medium würde die aktuelle Entwicklung des Online-Journalismus in Richtung \“billig\“ konsequent fortschreiben, hätte aber aufgrund der Leser-Partizipation eine höhere Attraktivität, als die aktuelle Praxis, das Tagesgeschehen dilletantisch von Praktis kommentieren zu lassen.
herrnashorn.de 11. Januar 2009 um 20:44
Ein Linkkartell? Nein! Im Vergleich zu anderen Ländern finde ich das journalistische (Online-) Angebot in Deutschland durchaus akzeptabel und vielfältig.
Ein Problem ist sicherlich, dass sich nur wenige Printmedien eine \“richtige\“ Onlineredaktion leisten können. Wenig Mitarbeiter sind für (zu) viel Content verantwortlich. Gerade Lokal bleibt kaum Zeit für eigene, geschweige denn investigative Themen.
Alex 11. Januar 2009 um 22:52
Richtig so!
Was ich absolut nicht leiden kann, sind solche \“Alle Nachrichten aus Ihrer Region\“-Internetpräsenzen, die lieblos all das in ihre Feeds und Seiten jagen, was irgendwie im Netz mit dem entsprechenden Stichwort gefunden wird. Inklusive des 1:1 übernommenen Polizeitickers, versteht sich.
Ich habe in der Vergangenheit – sobald ich mitbekommen habe, dass solche Seiten Artikel von meinem Magazin abbilden, Berichte, die recherchiert und mit Sorgfalt und Zeitaufwand ausgewählt wurden – den entsprechenden Internetauftritten schriftlich verboten, weiterhin diese Beiträge zu verwenden.
Der Versuch der Rechtfertigung \“man verlinke doch nur und würde einem mehr Traffic verschaffen\“ ist sehr dreist! Ich meine spezielle diese Seiten, bitte versteht mich keiner falsch.
Ich persönlich bin sehr dafür, auf Quellen zu zitieren, aber wirklich nur, wenn dieser Verweis mit ein bisschen persönlich, menschlicher Arbeit verbunden ist, wie es eben Weblogs oder Onlineredaktionen machen. Nicht mit dieser Masche, möglichst mit der Arbeit von anderen zu verdienen.
Gleichzeitig hoffe ich natürlich auch, dass sich solche Onlineauftritte möglichst bald gut monetarisieren lassen, denn wie etliche Diskussionen zeigen, ist ist die PI längst überholt.
Um diesbezüglich auf das oben genannte Beispiel zu kommen:
Seite A lädt lieblos alle Möglichen Nachrichten, die ein Stichwort enthalten, teasert diese auf der Seite und verlinkt auf Seite B, C und D, die diese Informationen gut recherchiert und aufwendig geschrieben auf ihren Seiten bereit stellen.
Seite A bekommt evtl diesen Betrag von 10 Euro pro TKP.
Seite B bekommt ebenso diesen Betrag von 10 Euro. Seite C und D auch. Obwohl alle die wahre Arbeit hatten.
Seite A sahnt hier nur ab.
Ich hoffe, da wird es soetwas wie Gerechtigkeit geben, ich hoffe, dass sich solche Sorgfalt irgendwann auszahlt, auch wenn wir eigentlich nicht in so einer Welt leben.
faultier 12. Januar 2009 um 4:47
Welcher Anteil der Einnahmen sind denn Erlöse für Anzeigen ?
Im Spiegel ist jede 2. Seite Werbung.
Also wenn die ganzen Anzeigen mit abgedruckt würden dann könnte man sich die teure Papierzeitung sparen.
Peter Turi 12. Januar 2009 um 5:38
Sehr gute Idee. Machen wirbei turi2 von Anfang an so. Und das Beste daran: Die Leser lieben es!
Claus Mientschen 12. Januar 2009 um 12:08
Auch bei dem Mehrautoren-Blog CARTA (www.carta.info) war es doch von Anfang an die Idee, auch nach aussenhin zu verlinken. Neben eigenen Beiträgen wird immer auch auf interessante Artikel des ganzen WWW verlinkt…was mich als Nutzer natürlich sehr erfreut.
Robin Meyer-Lucht 12. Januar 2009 um 15:21
Lieber Thomas Knüwer,
sehr schöner Vorschlag: Es sollte zur Ethik des Online-Journalismus gehören, dass man die Recherche-Ergebnisse anderer nicht tot zitiert, sondern den guten Quellen Traffic zuführt.
Dabei sollte man nicht verschweigen, dass es bislang gerade auch im Netz die umgekehrte Tendenz gab.
Herrlich auch, dass hier endlich mal mit Zahlen gearbeitet wird – nur leider so günstig sieht die Kalkulation wohl nicht aus.
Für einen normalen Redakteur müssten Sie eher mit 80.000 Euro p.a. rechnen. Sie haben die Sozialabgaben und Gemeinkosten nicht berücksichtigt.
Ein eTKP von 10 Euro erscheint als ein sehr ambitioniter Wert. Leider ist gerade der politische Journalismus als Anzeigenumfeld nicht sonderlich beliebt.
Mit derart korrigierten Werten gerechnet kommt schnell darauf, dass derzeit möglicherweise 300.000 oder 400.000 Seitenabrufe notwendig sind, um einen entsprechenden \“Wochentext\“ eines Recherche-Journalisten zu finanzieren.
Da ist es einfach kein Spass, Verleger zu sein.
Aber die haben vollkommen Recht: Die Linkökonomie des Netzes befördert die guten Inhalte – bei sollte man bei allem Gezeter um Qualitätsverluste im Netz bedenken.
gruss,
rml
politischer.hofnarr 12. Januar 2009 um 22:34
Der Journalismus im Web hat großes Potential. Leider bekommt er nicht genug Aufmerksamkeit.
Die Linkökonomie ist auf jeden Fall verbesserungsdürftig. Als Blogger muss man einfach einmal Glück haben und richtig verlinkt werden von einer großen Seite. Gute Storys helfen einem ohne Leserschaft und Traffic auch nicht.
Alexander Trust 13. Januar 2009 um 3:30
@Herr Nashorn: Ich denke nicht, dass es einen faktischen Unterschied zwischen Online- und Printredaktionen geben \“muss\“. Man kann Artikel für beide medialen Sphären gebrauchen, oder aber Synnergieeffekte ausnutzen. In der heutigen Zeit muss man keine strikte Trennung mehr durchhalten.
super influencer 13. Januar 2009 um 13:19
Vielen Dank für diese Beispielrechnung. Ich nehme die Wechselwirkung Print und Online wie folgt war: Anfangs waren die Leistungen im Netz nicht mit den Printausgaben zu vergleichen und boten kaum einen Mehrwert. Heute sind sie das schnellste Medium überhaupt und stehen einzig im Umfang der Leitartikel den Printausgaben nach. Wesentlich ist aber: Sie sind kostenlos. Ich habe die letzten Jahre sehenden Auges und sehr gerne mit meinem Spiegelabo den Webauftritt quer- subventioniert. Das Gefühl mit der Printausgabe letztlich einen Vorabdruck eines Geschichtsbuchs in Händen zu halten, hat sich allerdings in den Jahren verstärkt.
Ihren Ansatz kann ich zwar nachvollziehen, aber ich sehe die Sorge in den (Online-) Redaktionen mit einem direkten Link zum Mitbewerber Stammleser zu verlieren. Warum nicht die Zeitung XY direkt zur Hauptquelle machen, wenn schon die eigene Zeitung darauf verlinkt? So albern die Annahme auch sein mag, aber so lange sich nicht alle Redaktionen an Ihrem Vorschlag beteiligen, habe die die es nicht tun, in meinen Augen einen Vorteil.
Thomas 13. Januar 2009 um 14:40
Journalismus gibt es doch eh nur noch richtig bei den Nachrichtenagenturen. Der Rest schreibt doch diese Meldungen nur noch schön herunter ohne auch nur annähernd etwas Recherche Arbeit mit einzu bringen. Die einzigen von denen man so eine Arbeit erwwarten kann sind dann Maganzine wie der Stern die aber auch auf andere Quellen zugreifen um möglichst schnell viel Text zu schreiben.
ich 13. Januar 2009 um 21:37
naja, sozialabgaben auszurechnen ist doch wirklich nicht so schwer, herr journalist
Niels 14. Januar 2009 um 5:22
@thomas:
Gucken Sie sich mal an, wie so bei den Nachrichtenagenturen gearbeitet wird. Größtenteils werden dort auch nur Pressemitteilungen umgeschrieben oder zusammengefasst. Und das häufig auch noch schlampig.
Thomas Knüwer 14. Januar 2009 um 9:32
@ich: Dann haben Sie die Zahl sicher parat. Inklusive möglicher Zusatzleistungen des Arbeitgebers, die bei manchen Verlagen üblich sind. Danke für Ihre Hilfe!
stebec 14. Januar 2009 um 10:58
@Thomas: Ich kann Dir hier nur voll und ganz zustimmen, gerade die regionalen TZ und Wochenblätter übernehmen unreflektiert alles was kommt. Hierzu passt aktuell folgender Beitrag http://bonner-wirtschaftsgespraeche.de/index.php/2009/01/03/bonn-insolvenz-gatzweiler-opfer-einer-zecke/. Auch hier http://joernborchert.twoday.net/stories/5422377/ wird am Ende noch einmal auf das Thema Recherche und lokale medien eingegangen.
Manuel 14. Januar 2009 um 11:55
Schöne Idee, aber…
eher friert die Hölle zu 🙂
Verlagskauffrau 22. Januar 2009 um 11:53
Herr Knüwer,
solche Beiträge machen wütend. Genauer gesagt: Solche Beiträge machen die Leute wütend, die in einem Medienunternehmen das Geld ranschaffen müssen. Damit der Laden funktioniert und damit auch Egon Erwin und seine Kollegen bezahlt werden. So sehr die These, dass das Verlinken auf gute Geschichten anderer Medien sinnvoll ist, richtig sein mag, so wenig sind Ihre darauf folgenden Ausführungen ein Geschäftsmodell.
Ein solcher Beitrag ärgert dermaßen, dass ich mir die Mühe mache (halbwegs) ins Detail zu gehen. Vorneweg: auch das Nachfolgende wird an der Oberfläche bleiben, aber näher an der Realität ist es allemal.
*****
Nehmen wir als Erstes die Kosten für Ihren fiktiven Egon Erwin:
1. Laut BDZV-Tarif (ich geh mal davon aus, es handelt sich bei Egon um einen TZ-Kollegen von Ihnen?!) verdient ein Redakteur grob 3.500 Euro, richtig. Aber: Ist Ihr investigativer Starreporter nicht ein Redakteur, von dem „auf Grund besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten regelmäßig redaktionelle Aufgaben erfüllt werden, die selbstständige Entscheidungen und erhöhte Verantwortung verlangen“? – Dann nämlich liegen wir schon ganz woanders: 4.846 Euro, ab Oktober nochmal mehr.
2. Sei´s drum, wir bleiben mal bei den 3.500 Euro. Hinzu kommen, wie Sie richtig sagen, die Lohnnebenkosten. Überschlagen kann man das sehr schnell: Normale Lohnnebenkosten (Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung) sind round about 20% AG-Anteil. Für einfache Büroangestellte kalkulieren Unternehmen mit einem Faktor von 1,4, denn zu den LNK kommen die Primär- und Sekundärkosten. Erstere dürften für den Redakteur deutlich höher sein als für einen Büroangestellten (er braucht vermutlich ein Diensthandy und einen Laptop, er wird Reisekosten haben usw. usf.). Dazu dann eben noch die Sekundärkosten (Gebäude, Energie, Telefonzentrale, IT-Support, Redaktionsassistenz etc. pp.). Und dann noch oben drauf: Ein BDZV-Tarifler hat Anspruch auf die üppige Zusatzvorsorge des Versorgungswerks. All in all sind wir damit – sehr zurückhaltend kalkuliert – bei einem Faktor von 1,6. Vermutlich wird es real mehr sein.
3. Für die Rechnung auf´s Jahr nehmen wir nun 12 Monatsgehälter mit dem konservativen Faktor 1,6 mal, für Ihre 2 kalkulierten Zusatzgehälter (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) schlagen wir nur die LNK mit 20% drauf. Macht round about Kosten p.a. von 75.600 Euro. Die legen wir um auf die 1 Woche Recherche, die der gute Egon für seine Top-Geschichte braucht: 52 Wochen hat das Jahr. Abgezogen werden: 1 Woche Feiertage, 6 Wochen (30 Arbeitstage) Urlaub und insgesamt 2 Wochen kämpft Egon mit Grippe und einem Magen-Darm-Infekt. Die Jahreskosten werden also nicht wie bei Ihnen durch 52, sondern durch 43 dividiert.
Im Ergebnis kostet Egons Top-Geschichte also nicht 942 Euro, sondern 1.758 Euro. Fast doppelt so viel.
Und dabei gehen wir schon davon aus, dass
1.Egon jede Woche eine Top-Geschichte produziert, die überall verlinkt wird,
2. Egon keine Rekrutierungskosten verursacht hat,
3. Er und seine Kollegen im Schnitt niemals länger als 2 Wochen p.a. krank werden,
4. weder er noch seine Kollegen jemals ausfallen, weil sie sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen,
5. Egon unseren Verlag vor Erreichen der nächsten Gehaltsstufe wieder verlässt und dabei
6. keine weiteren Kosten verursacht (Abfindung, arbeitsrechtliche Auseinandersetzung, was auch immer…).
Nun wollen wir den Egon also über Werbung refinanzieren. Auch hier haben Sie (ich weiß: bewusst) die Kosten für die Vermarktung, die Administration der Website, die Personalabteilung, die Buchhaltung und, und, und… weggelassen. Teilweise sind die ja auch in den Sekundärkosten oben drin, überwiegend nicht. Wir halten nur im Hinterkopf: da ist noch was und denken kurz an ihren Satz: „Eine Kurzfassung wird an die Nachrichtenagenturen und an andere Medien verschickt, auf dass die den Ruhm des Produzenten mit Formulierungen mehren wie: \“… wie das Tageblatt berichtet…\““. – Auch das muss jemand machen…
Widmen wir uns nun also der Einnahmen-Seite: Das Ergebnis der oben beschriebenen Kostenrechnung (bei der wir im Hinterkopf haben, dass sie immer noch unvollständig ist), setzen wir nun in eine Gleichung mit dem (wie von meinen Vorkommentatoren richtig angemerkt: ambitionierten) TKP von 10 Euro. Auch hier mal wieder eine kaufmännisch unverantwortbare Gleichsetzung von Brutto- und Nettoerlösen…(Bruttopreis abzgl. Kundenrabatt, abzgl. Agenturprovision…dann noch eventuelle Kickbacks usw. usf.). Aber nehmen wir an, wir kriegen sogar den Zehner auf´s Konto: Demnach muss die Geschichte von Egon 173.000 Clicks bringen. Okay, wir tun damit auch etwas für unser gesamtes Angebot (Marke wird gestärkt) und vermutlich wird mit jedem dieser Visits auch mehr als eine P.I. generiert, aber der Content für diese anderen besuchten Seiten muss ja auch produziert werden. Und sind die schlecht, wirft der tollste Egon eben doch nur 1 P.I. pro Visit ab.
Dabei nehmen Sie an: „Die Einnahmen aus Online-Werbung sollen steigen.“ – Das Umsatzwachstum von Online-Werbung hat sich seit Mitte 2008 deutlich abgeschwächt. Vor allem: Das Wachstum findet bei CPC und CPL sowie Sonderwerbeformen statt, nicht im klassischen Display-Geschäft. Wohin die Reise geht, weiß keiner. Einkalkulieren kann man das Wachstum in dem geschilderten Geschäftsmodell jedenfalls nicht.
*****
Kernpunkt der Kritik: Sie können nicht der kaufmännischen Seite großspurig erklären, wie die Welt funktioniert und die Naivität und Unvollständigkeit ihrer Rechnung mal eben mit „Die nun folgende Rechnung ist weit davon entfernt, wissenschaftlich korrekt zu sein. “ relativieren. Denn Ihre Rechnung ist nicht nur wissenschaftlich inkorrekt, sie ist schlicht und einfach völliger Blödsinn.
Was vor allem stört, ist die Tonalität: „Was Online-Chefredakteure für den investigativen Journalismus leisten können“ heißt dieser Beitrag, der davor war überschrieben mit: „Warum Elke Heidenreichs „Lesen!“ im Internet so etwas wie ein Erfolg ist“. – Kinder, gebt fein acht: Onkel Knüwer erklärt Euch die Welt.
Mit solchen Beiträgen erweisen Sie Ihrer eigenen Zunft einen Bärendienst. Genau das – die Geringschätzung der Arbeit und des Wissens der kaufmännischen Seite gepaart mit eben dieser Überheblichkeit, stärkt ein „wir“ und „die“. Die Bereitschaft, den Wert von gutem Journalismus anzuerkennen, auch wenn dieser nicht 1:1 in Kennzahlen und Umsätzen auszurücken ist, wird so weiter sinken. Die gegenseitige Akzeptanz schwindet.
Thomas Knüwer 22. Januar 2009 um 14:29
@Verlagskauffrau: Ich frage mich, was Sie mit Ihrem Beitrag aussagen möchten. Erstens richtet sich dieser Beitrag weniger an die kaufmännische Seite – denn die verlinkt ja nicht. Zum anderen zeigen Sie doch selbst das Problem auf: Wir müssen daran arbeiten, den investigativen Journalismus zu fördern und nicht das platte Abschreiben von Agenturen.
Aber wenn wir über die kaufmännische Seite reden: Es fehlt einem Großteil der Entscheider an grundlegendem Wissen über neue Medien. Das stelle ich ständig bei Gesprächen fest. Fragen Sie Ihren Chef mal, welchen Feed-Reader er nutzt und welche Iphone-App er am spannendsten findet. Die meisten Verlagsmanager werden Sie mit großen Augen anschauen. Wenn Ihrer direkt darauf antwortet – herzlichen Glückwunsch, Sie arbeiten für einen seltenen Vertreter seiner Branche.
Verlagskauffrau 22. Januar 2009 um 15:05
@ Thomas Knüwer: Ich gebe zu, ich habe mit einer gewissen Wut im Bauch geschrieben und die ist oft ein schlechter Ratgeber.
Worum es mir geht: Sie schreiben zwar an die (Chef-) Redakteure, begründen Ihre These aber mit einem Geschäftsmodell, einer kaufmännischen Rechnung, die so vorne und hinten nicht aufgeht. Es mag ja sein, dass unser beider Chefs keinen RSS-Reader benutzen und (auch) deshalb nicht DAS Geschäftsmodell für die Zukunft haben. Aber: Sie haben es auch nicht. Ich empfinde es als Ohrfeige für jene, die sich den ganzen Tag damit befassen, wie der Verlag gewinnbringend arbeitet, wenn da ein Journalist meint, mal eben in fünf Minuten die Lösung präsentieren zu können und zum Beleg eine Rechnung aufmacht, die vorne und hinten nicht aufgeht.
Meine Kritik richtet sich also nicht an die Link-These oder die Aussage \“Wir müssen daran arbeiten, den investigativen Journalismus zu fördern\“, sondern an den Versuch, die Gretchenfrage der Refinanzierung mal eben so mitzuliefern. Das klingt sehr besserwisserisch und ist angesichts der Falschheit der Rechnung unangemessen. Das allein war und ist mein Punkt.
Michael Finkenthei 22. Januar 2009 um 15:48
@verlagskauffrau: unter dem strich zählt doch, dass es noch immer keiner der Verlagsherren geschafft hat, mal ein funktionierendes, wirtschaftlich tragbares Geschäftskonzept zu erarbeiten – ob mit oder ohne Feedreader und iPhone (obwohl die Kenntnis vom Umgang mit dergleichen natürlich dabei helfen könnte). Da muss man dann Kritik wohl ertragen können.
Herr Knüwer versucht immerhin, einen Ansatz dessen zu begründen und zu relativieren. Und Ihre Antwort besteht in – dem Nachrechnen von Spielzahlen? Sagen Sie Bescheid, wenn Sie mit Erbsenzählen fertig sind. Und wundern Sie sich nicht allzusehr, wenn Printmedien bis dahin noch mehr Probleme am Markt haben als jetzt schon.
Das Gelalle von \“wir brauchen mehr Qualität\“ bei gleichzeitiger Abschaffung und Auslagerung von redaktionellem Potential, wie es jetzt wieder in Schwerin zu bewundern ist, wird jedenfalls keine Lösung erbringen. Just my 2 cents.
Jörg Friedrich 22. Januar 2009 um 16:14
Wenn jemand eine Rechnung aufmacht um irgendwas zu begründen muss er auch akzeptieren, dass jemand die rechnung prüft. Thomas kommt hier nunmal ein zentrales Argument abhanden wenn man ihm zeigt, dass seine Rechnung nicht nur hinter dem Komma, sondern grundsätzlich nicht aufgeht.
medialer 22. Januar 2009 um 19:50
\“Sagen Sie Bescheid, wenn Sie mit Erbsenzählen fertig sind.\“, steht im vorletzten Kommentar. Ich glaube genau darum geht es hier: Wenn Journalisten ihrem Verleger ein neues Konzept vorstellen bei dem sie die Kosten einerseits und die Erlöse andererseits fernab der Realität ansetzen und Kritik daran dann wiederum mit dem Vorwurf der Erbsenzählerei begegnen, müssen sie sich a) nicht wundern, dass sie von den Verlagsmanagern nicht ernst genommen werden und kommt b) eben auch kein konstruktiver Dialog zustande. Insofern hat die Verlagskauffrau nicht unrecht.
Iphone- und Ipad-Apps deutscher Verlage 2. September 2010 um 13:26
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Ipad- und Iphone-Apps deutscher Verlage | Mind the App! 6. September 2010 um 7:37
[…] auf ein anderes Nachrichtenangebot ist seit Anbeginn des World Wide Web zuviel verlangt – obwohl es den Qualitätsjournalismus fördern würde. Man könnte nun zu der Idee gelangen, 12 Jahre nachdem das Netz seinen Durchbruch im Massenmarkt […]
Das Zeitalter der Kuratoren 25. Mai 2011 um 9:45
[…] Ihre eigene Welt ist nicht genug. Sie müssten offensiv zueinander verlinken. Was ja auch eine Förderung des Qualitätsjournalismus insgesamt wäre. Sie könnten technische Lösungen schaffen, die Lesern einen Nachrichtenüberblick aufbereiten. […]