Eine der für mich unappetitlichsten journalistischen Verwerfungen der jüngsten Zeit dürfte erst einmal beendet sein. Steve Jobs hat das kommunikative Chaos bei Apple beendet und eine Stellungnahme zu seiner Gesundheit abgegeben. Es geht ihm gut, eine hormonelle Störung habe zu seiner starken Abmagerung geführt.
Und nachdem klar ist, dass all die ominösen Quellen, die von einer erneuten Krebserkrankung sprachen, Unrecht hatten, können wir mal ein wenig darüber sprechen, wie Journalisten mit diesem Thema umgegangen sind. Wir Journalisten sind oft gefangen in einem Rudelzwang. Es gibt Geschichten, die wir eigentlich gar nicht für so bedeutend halten. Aber dann macht sie eben ein Konkurrenzblatt und wir fühlen uns genötigt mitzuziehen. Denn beim Leser zählt tatsächlich oft nur, wo er eine Meldung zuerst gesehen hat – selbst wenn diese Meldung erstmal nur ein Gerücht ist.
Und so schrieb die gesamte Journaille – egal ob deutsch oder international – munter die Gerüchte über den Gesundheitszustand von Steve Jobs ab. Die Quellenlage war dabei fast immer klar: Es gab bestenfalls sehr ominöse. Nicht einmal das „Wall Street Journal“ oder die „New York Times“ konnten handfeste Informaten vorweisen. Allein das nie um ein wolkiges Gerücht verlegene Gizmodo behauptete, eine „sonst verlässliche Quelle“ zu haben.
Und so bleibt die Frage: Wo kamen sie eigentlich her, all die Gerüchte? Ganz einfach: Laut Medien aus dem „Markt“ und dem „Internet“.
Der „Markt“ ist natürlich der Aktienmarkt. Wann immer die Möglichkeit bestand, dass Jobs tatsächlich gehen könnte, sackte der Apple-Kurs ab. Beispiel 30. Dezember: Kaum veröffentlichte Gizmodo die bewusste Story, stürzt die Aktie mit hohem Handelsvolumen ab. Doch offensichtlich wollte sich keiner der „Marktteilnehmer“ befragen lassen.
Dann das „Internet“. Die klassischen Medien mögen ihre Quellen auch hier nicht nennen. Es sind immer „Apple-Fans im Internet“, die sich Sorgen machen sollen. Zititert werden sie nie, auf welcher Plattform sie sich „sorgen“ wird auch fast nie genannt.
Alles bleibt im Ominösen. Und wenn Apple selbst dann sagt, an den Gerüchten sei nichts dran, stoppt das die Berichterstatter nicht. Zu gern wird gerade in Europa übersehen, dass die US-Rechtslage die Verantwortlichen bei Apple in den Knast bringen würde, gäben sie Falschinformationen heraus – von den Schadenersatzklagen ganz zu schweigen. Eine Apple-Lüge über Jobs Gesundheit hat das Potenzial, den Konzern zu ruinieren.
Zugegeben: Die Art, wie Apple kommuniziert ist höchst unglücklich. Viel schneller könnten die Kommunikatoren reagieren, längst hätten sie einsehen müssen, dass jenes ewige Wir-nehmen-keine-Stellung-wenn-alles-gut-ist-erst-wenn-es-schlimm-wird-sagen-wir-etwas kontraproduktiv ist.
Doch trotzdem müssen wir Journalisten uns eine Frage stellen: Hätten wir auch bei einem anderen Unternehmen auf der vorhandenen Quellenlage die Gerüchte über den Gesundheitszustand des Firmenchefs veröffentlicht? Sind wir selbst so Apple-verliebt, dass wir gerade jene „Fans“ sind, die sich um Jobs sorgen? Oder sind wir dem Apple-Hype so abgeneigt, dass wir uns daran erfreuen, etwas Negatives schreiben zu können?
Ich behaupte: Bei einer anderen Firma hätten die Medien anders berichtet. Und das ist kein gutes Zeugnis für den journalistischen Berufsstand. Der Fall Steve Jobs dürfte zwar mit seinem jüngsten Statement erstmal erledigt sein. Wie Journalisten aber sollten uns Fragen, ob wir nicht das Selbstbewusstsein aufbringen müssen, häufiger aus jenem hetzenden Rudel auszusteigen. Und Geschichten, die wir für keine Geschichten halten, einfach nicht zu veröffentlichen, wenn wir sie nur schreiben wollen, weil jemand anders sie geschrieben hat.
Kommentare
Arnulf 5. Januar 2009 um 18:14
Es kann gut sein, dass über andere Firmen anders berichtet würde. Aber andere Firmen betreiben auch nicht den Personenkult um ihren Chef, wie Apple und seine Kunden es tun.
Und was ist schon eine Lüge? Jobs\‘ PR-Brief schweigt sich ja geschickt über die Ursachen der vermuteten ominösen Hormonstörungen aus. Stattdessen beschreibt er nur die Symptome und wie man diese bekämpfen kann. Aber die Apple-Fans unter den Journalisten sind offensichtlich leicht zufriedenzustellen.
christian 5. Januar 2009 um 19:51
Es ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Frage zu stellen, inwiefern das Abschreiben von gelesenen Artikeln noch Journalismus ist.
Hier wird ja gerne der Niedergang des Print-Journalismus und der einhergehende Aufstieg von Blogs bzw. Online-Journalismus im Allgemeinen thematisiert. Aber es ist doch zu beobachten, dass insbesondere im letztgenannten Segment das Aufgreifen von Meldungen anderer Quellen Hochkonjunktur hat und die tiefgründige Recherche oft ausbleibt.
Lukas 5. Januar 2009 um 19:57
Was ich fast noch beunruhigender finde als das Verhalten der Journalisten ist der Umstand, dass die Börse derart empfindlich auf die Gesundheit eines einzelnen Mannes reagiert und offensichtlich auch durch geringste Meldungen derart zu manipulieren ist.
Das ist gruseliger als die nächtlichen Schalten auf den Petersplatz im April 2005.
Detlef Borchers 5. Januar 2009 um 22:31
Das mit dem Rudelzwang ist völliger Unsinn. Vielleicht sehen Sie mal den Tatsachen ins Auge, dass Apple unter Jobs auf den Personenkult ausgerichtet wurde wie vielleicht nur noch die KPdSU unter Stalin. Vor Jobs konnte man Apple-Chefs wie Schindler oder Ellen Hancock auf Messen wie der Comdex zwanglos auf einen Kaffee an einem Verpflegungsstand treffen und schwätzen, mit Jobs wurde es dann schwer konspirativ und seine Bodyguards tasteten einen nach Waffen ab. Jobs hat die Personality-Show erzeugt, selbst gewollt, hervorragend instrumentalisiert und muss nun mit den Konsequenzen leben. Deshalb kann ich überhaupt nichts Unappetitliches an den Spekulationen sehen, da kann ich nur grinsen wie bei der Yoghurt-Nachricht. Jobs hat immer große Stücke auf Ernährung gehalten und sich sehr verächtlich über Leute geäußert, die sich nicht fit halten. Es dürfte jetzt eine harte Lektion für ihn sein und sein \“uneheliches-Kind-Trauma\“ verstärken, aber noch einmal: Es war Jobs, der diese Einmann-Show gewollt und sorgfältig komponiert hat.
Rainersacht 5. Januar 2009 um 23:00
@Detlef Borchers: 100% Zustimmung!
Gunther Heinrich 5. Januar 2009 um 23:44
Auch ich stimme Herrn Borchers absolut zu. Nur: was sagt dann wieder über den Journalismus aus, wenn sich dieser so unkritisch, unreflektiert und bereitwillig vor den Wagen des Personenkultes und auch des Markenkultes spannen lässt?
Klar, Apple-Produkte sind im Moment der absolute Hype für jeden, der nichts anderes hat. Aber sollte der Journalismus nicht ein wenig \“durchdachter\“ mit so etwas umgehen und ein wenig Distanz wahren?
Oder bin ich trotz der regelmässigen Besuche hier einfach noch zu naiv?
Ich persönlich halte zum Beispiel die Verbreitung jedes Gerüchtes bezüglich der bevorstehenden Macworld für grenzwertige Schleichwerbung und in jedem Fall Verkultung and scheinbare Anbetung der Marke.
Und das hinterlässt bei immer einen schalen Nachgeschmack.
Thomas Knüwer 6. Januar 2009 um 7:27
@Detlef Borchers: Wir sollten zwei Dinge auseinander halten. Wollen Sie wirklich den Rudelbetrieb des Journalismus bestreiten?
Was Steve Jobs Inszenierung betrifft: Klar gibt es die. Wenn dies aber der Grund für eine weniger durchdachte Berichterstattung ist, erledigt sich dann nicht auch die Kritik an \“Bild\“-Berichten über Prominente? Dürfen Britney Spears und Amy Winehouse damit öffentlich vorgeführt werden, weil sie sich doch noch wesentlich mehr selbst inszenieren? Hätte über Zetsche während der Dr.-Z-Kampagne auch so berichtet werden dürfen, wie über Jobs? Und wer mag darüber entscheiden, welche Berichterstattung ab welchem Grad der Selbstinszenierung erlaubt ist?
Rainersacht 6. Januar 2009 um 9:29
Das Problem kann man auch fast philosophisch sehen: Wieviel Persönlichkeitsrecht hat eigentlich ein Individuum, das eine virtuelle Persönlichkeit inszeniert? Ist die vorgeführte Amy Winehouse identisch mit dem real existierenden Individuum gleichen Namens? Gibt es einen Jobs hinter/neben/nach His Steveness? Ist er nicht bloß eine Marke, die als Hebel für den Apple-Kurs installiert wurde (evtl. auch von ihm selbst)? Fragen über Fragen…
Tapio Liller 6. Januar 2009 um 9:30
Mit Gerüchten ist das ja so eine Sache. Es liegt in der Natur des Menschen, Gerüchte und Klatsch sowohl zu verbreiten als auch gern zu konsumieren. (Der Boulevard lebt ja auch davon.) Klatsch ist sogar im soziologischen Sinne eine \“kommunikative Gattung\“. Sie erfüllt die Funktion, sozialen Zusammenhalt zwischen Klatschenden und Klatsch-Konsumenten zu schaffen. Sogesehen ist das \“Rudelverhalten\“ der Journalisten sogar sozial sanktioniert.
Ganz abgesehen davon bringen Berichte über Apple reichlich Klicks. Da ist Verhypung Apples durch den von Steve Jobs\‘ selbst gewollten Personenkult und in dessen Folge die Medien nur eine selbsterfüllende Prophezeiung. Dass darüber auch der journalistische Anstand hintenüber fällt, mag man beklagen oder auch nicht. Herr Knüwer, ich glaube auch ihr Blog profitiert durch diesen Post vom Apple-Hype, in dem er viele Leser bekommt, oder?
Aus Sicht der Unternehmenskommunikation hat Apple vor allem den Fehler gemacht, seit Jobs\‘ Krebserkrankung die Strategie nicht geändert zu haben. Dazu ein paar Gedanken hier: http://www.opensourcepr.de/2009/01/05/steve-jobs-himself-als-krisenkommunikator/
Detlef Borchers 6. Januar 2009 um 14:16
@Thomas Knüwer: Ich habe mich nicht zum Rudelbetrieb der Branche geäußert, sondern speziell zu Steve Jobs. Seine Stilisierung wurde bewusst aufgebaut, er ist dabei von PR-Leuten beraten worden, aber auch von Bazon Brock und Hartmut Esslinger. Auch Zetsche und Dr. Z. ist mit allen Vor- und Nachteilen so als Figur des Corporate Marketing entstanden.
Brines Spears und Amy Whinehouse wie die ganze Yellow Press würde ich absolut nicht mit Jobs vergleichen wollen. Und zur Ehrenrettung des Rudels jedenfalls im IT-Bereich im Unterschied zur Yellow Press: Soweit ich sehen kann, ist die Privatsphäre gewahrt worden, hat niemand von des Eskapaden der Jobs-Tochter Lisa Nicole berichtet. Hier ist kein einziger Wolf losgerannt 🙂
Alex 6. Januar 2009 um 17:12
> Aber dann macht sie eben ein Konkurrenzblatt und wir fühlen uns genötigt mitzuziehen. Denn beim Leser zählt tatsächlich oft nur, wo er eine Meldung zuerst gesehen hat – selbst wenn diese Meldung erstmal nur ein Gerücht ist.
Ganz ehrlich, das halte ich für ein Gerücht.
Ich kenne keinen Leser, der sich darüber aufgeregt hat, dass seine Zeitung eine Boulevard-Geschichte einen Tag später aufspießt. Seitdem Radio und Fernsehen auch durch das Internet ergänzt wurden, kann die Zeitung diesen Wettbewerb eh nicht mehr gewinnen.
Wenn ich mich umhöre, warum Leute mit ihrer Tageszeitung unzufrieden sind, habe ich ganz andere Ursachen gehört:
– Käseblattqualität (einige Lokalzeitungen)
– Mangelnde Informationen, was vor Ort los ist (überegionale Zeitungen)
– Langweilige, schlechte oder miefige Schreibe
– zu viel Ideologie statt Information (TAZ früher) bzw. unerwünschte politische Themensetzung (FAZ)
– Zu viele Rechtschreibfehler (Gerade beim Berliner Tagesspiegel sehr oft gehört, einige Bekannte haben deshalb ihre Zeitung gewechselt)
– Zu dicke Zeitung (Zu dicke Zeitung überfordert die Zeit beim Frühstück, Papiermüllaufkommen)
– Zu großes Zeitungsformat, kann man schlecht lesen
Und, ganz wichtig: zu teuer (Zeitungen sind in den letzten Jahren auch massiv teurer geworden!)